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Was war. Was wird.

Weisheit, was ist schon Weisheit. Wo Bobos ihr grausliches Haupt erheben, Avatare vor sich hingammeln und Interface-Nazis dräuen, ist aller Weisheit Ende, gesteht Hal Faber zu.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Ob der Goldene Bär ein Problembär ist, mögen die Filmkritiker entscheiden – dass manche bayerischen Politiker nicht nur Brunos und Horsts, sondern auch Leute, die Filme machen, wie sie auf der Berlinale zu sehen waren, nur zu gerne zum Abschuss freigeben würden, ist dagegen kaum der Rede wert, da als bekannt vorauszusetzen. Viel mehr als über den Goldenen aber mag ich mich über all die Silbernen Bären freuen, für Nina Hoss in "Yella" etwa oder für das Team von Robert de Niros "Der gute Hirte" und besonders für Joseph Cedar, der meinte, er habe Angst vor dem Krieg – und dies auch allen politischen Führern wünsche und den Mut, Kriege zu beenden.

*** Es gibt weisere Menschen als mich, die können Filme beurteilen und möglicherweise auch Kriege beenden. Auch sind weisere Menschen als ich der Ansicht, dass der Journalismus tot ist. Oder, wenn noch nicht ganz mausetot, das Geschäft jedenfalls von Halbblinden betrieben wird, die jedem Blogger hinterherhinken. Was ist schon die einfache Meldung über Pamela Jones gegen den aufregenden Blog von der Suche nach Pamela Jones, von dem berühmten Koffer ganz zu schweigen? Was ist die schlichte Erzählungen von den kleinen Nachrichten gegen die vermaschten Wunder des Web 2.0? Was ist ein WWWW gegen den neuen Superblog der deutschen Eliteleser, die mit den staubigen Nüstern und den prallen Nüssen?

*** Auf der anderen Seite hat einfacher Text seine unbestreitbaren Vorteile, weil er zweideutig, dreideutig und vierdeutig ausfallen kann. Da kommt kein Mashup mit. Ich kann sooft meinen Desktop zwischen Gnome und KDE wechseln, wie ich will , bekomme aber nicht die abgründige Bezeichnung Interface Nazi zu sehen, über die gerade wieder mal heftig debattiert wird. Interface Nazi und das noch von jemanden aus einem Lande mit problematischer Nazi-Vergangenenheit gebraucht, oh, oh. Selbst das beliebte Fallbeil namens Godwins Gesetz darf nicht fehlen. Wahrscheinlich denkt Linus Torvalds viel amerikanischer als diejenigen, die sich jetzt über seinen Sprachgebrauch aufregen. Seit den Tagen, als ein amerikanischer Rezensent die Groupware "Communicator" als Nazi-Software charakterisierte, scheint sich wenig geändert zu haben. In diese Form der gedankenlosen Attributivierung passt übrigens auch die Rede von der Communist-Software, nur weil Kuba auf Open Source setzt.

*** Wer dabei mit dem Finger auf die USA zeigt, zeigt mit drei Fingern auf sich. In ihrer Rede vor dem europäischen Polizeikongress ging Bundesjustizministerin Zypries auch auf die Hakenkreuz-Versprecher-Debatte ein. Mit einem Rahmenbeschluss wollen die Deutschen im Rahmen ihrer EU-Ratspräsidentschaft das Hakenkreuz in ganz Europa verbieten, so der Vorwurf. Besonders betroffen reagierte die Alien-Religion der Raelianer, die gerade erst wieder ihren Mashup aus Davidstern und Hakenkreuz zum offiziellen Symbol kürten, nachdem man vor 15 Jahren eine andere Erleuchtungsgrafik genommen hatte. Dagegen argumentierte Zypries in Berlin durchaus vernünftig: "Es geht nicht um Hakenkreuze. Es geht darum, dass es in der gesamten EU verboten wird, aus rassistischen oder fremdenfeindlichen Gründen zu Hass und Gewalt aufzurufen."

*** Mit der Rede der Justizpolitikerin bin ich wieder einmal bei der Online-Durchsuchung angekommen, zur der es in dieser Woche wahrlich genug Nachrichtenmeldungen gab. Im Chor der Durchsuchungspaniker hat Brigitte Zypries noch eine gemäßigte Position angenommen. Etwa härter schon Günther Beckstein, der wie beim Großen Lauschangriff einen Katalog schwerer Straftaten forderte, bei denen online überwacht werden darf. Die üblichen frei drehenden Verschwörungstheoretiker nehmen das natürlich zum Anlass, um Urheberrechtsverletzungen der Schwerstkriminalität zuzuordnen, was selbst einem Beckstein nicht einfallen würde, der gerne mal von einer Birgit Zypries redet. Die Debatte wird in den nächsten Wochen weitergehen, weil nicht zuletzt der BKA-Chef Jörg Ziercke ganz verzweifelt ist, ohne Waffen dazustehen. Besonders verdächtig ist dabei die nun auch von der Generalbundesanwältin benutzte Formulierung, man müsse den Terroristen und Kriminellen auf "gleicher Augenhöhe" begegnen. Mit gleicher Augenhöhe heißt hier offenbar mit gleichen Mitteln. Wenn der Staat aber Terrorist spielen will, dann müssen dem Staat Grenzen gezogen werden. Wenn der Staat seine Bürger auszieht, müssen ihm die Grenzen aufgezeigt werden, so einfach ist das: "Die Diffamierung der Privatheit durch die Sicherheitsbehörden muss ein Ende haben."

*** Wie immer gibt es in dieser kleinen Wochenschau Jubiläen zu feiern. Heute wähle ich ein schon einmal erwähntes Datum aus, das in keinem Patentatlas verzeichnet ist. Diesmal gedenken wir aber nicht des großen Forschers Wallace Carothers, sondern überlegen lieber, was der Chemiker Gary Min gemacht hat. Wer glaubt, dass 22.000 Downloads aus der Firmendatenbank nicht unentdeckt bleiben, hat nicht nur ein chemisches Problem.

*** Vielleicht erinnert sich der eine oder andere Leser oder meine zahlreichen Leserinnen an die hübsche Satire über die Filmrechteverwerter der MPAA, die die Couchkartoffeln regulieren will. Zu den untergegangenen kleinen, unwichtigen Nachrichten gehört dieser Artikel über einen kanadischen Forscher, der die Zahlen analysierte, die hinter der von der MPAA so beklagten Camcorder-Piraterie stehen. Die nüchterne Wahrheit: 179 von ca. 1400 im Untersuchungszeitraum veröffentlichten Filmen wurden gecamcordert und vervielfältigt, ein Schaden, der nicht größer ist als ein Rundungsfehler der Filmindustrie, die im selben Zeitraum 45 Milliarden Dollar einfuhr.

*** Zart hat es sich mit dem Deal von StudiVZ angedeutet, aber mit der Spiegel-Titelstory über den zweiten Maskenball in Second Life am kommenden Montag ist es raus: Die Bobos sind wieder da. Selbst ehrenwerte Websites haben den Verstand verloren und angehende Journalistinnen demonstrieren, dass sie ihn nicht besitzen. Wer Second Life Ernst nimmt und Web 5.0 trällert, hat den Sinn dieser hübsch inszenierten Geldwaschanlage nicht begriffen. Inmitten der aktuellen politischen Diskussion ist es besonders spritzig, wenn bis zur letzten Schülerzeitung Geschichten über die Edelstöhne Anshe Chung erscheinen, während die Hassprediger im virtuellen Gottesdienst nur spielen wollen. Wie wäre es mit einem Inselchen, auf dem sich Terroristen beratschlagen, ganz im Sinn der Pressekonferenzen, die PR-bedröhnte IT-Firmen dort abhalten?

Was wird.

Wenn sich diese Woche verabschiedet, beginnt in Brüssel die FOSDEM. Vorab gibt es einige interessante Interviews. Zu dieser extrem spartanischen Veranstaltung passt es, dass Jim Gettys auftritt. Er wurde unter mehreren Dutzend Bewerbern ausgewählt, die, in der IT-Branche gut herumgekommen, sich auf die ehrenamtliche Position des Software-Chefs kaprizierten. Entgegen der landläufigen Annahme betrachten es viele hochqualifizierte IT-Spezialisten als Ehre, bei der Sache mitzumachen. Warten wir, bis Toyota mit OCPF startet, One Car Per Family. Der Fahrer von Renate Künast wird Beta-Tester auf dem Testgelände in Second Life.

Achja, achja, ganz nebenbei ist die FOSDEM eine gute Gelegenheit für alle Beobachter der Erosion, wie sich GOFHC, die "good old fashioned hacker community", endgültig auflöst. Es wird nicht mehr für schlappen "fun" gearbeitet in der Welt der Open Source 2.0. Das ist ein zivilisatorischer, manche verstörender Fortschritt gegenüber einem Protestantismus, der groß im Zu-sich-selbst-Stehen ist. Das schreibt jemand, der als Beruf den Journalismus gewählt hat. Wie formulierte es noch Max Weber: "Denn für jeden ohne Unterschied hält Gottes Vorsehung einen Beruf bereit, den er erkennen und in dem er arbeiten soll, und dieser Beruf ist nicht wie im Luthertum eine Schickung, in die man sich zu fügen und mit der man sich zu bescheiden hat, sondern ein Befehl Gottes an den einzelnen, zu seiner Ehre zu wirken." (Hal Faber) / (jk)