Moskauer Spam-Firma verdient an deutschen Visa

Westliche Botschaften in der russischen Hauptstadt lagern ihre Telefonauskunft bevorzugt an ein Call-Center aus, das zu einem Konsortium von Spammern gehört. Der dickste Auftrags-Kuchen kommt dabei von den Deutschen.

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Von
  • Tim Gerber

Russen, die an der Côte d'Azur oder in der Toskana Urlaub machen wollen, müssen erst mal ein teures Call-Center bemühen, bevor sie in der jeweiligen Botschaft zur Visa-Beantragung vorgelassen werden. Auch wer ein Besuchsvisum für Deutschland beantragen will, muss zunächst die kostenpflichtige Hotline der Firma Direct Star bemühen. Dabei werden laut Auskunft des Auswärtigen Amtes vier Euro pro Anruf und weitere zwei Euro pro angefangener Gesprächsminute fällig, die zu den an sich schon recht hohen Telefongebühren für nationale Gespräche nach Moskau hinzukommen.

Der feine Unterschied zwischen Italienern und Franzosen auf der einen und der deutschen Vertretung auf der anderen Seite: Während es erstere überwiegend mit ein paar tausend neureichen russischen Mittelmeer-Touristen zu tun haben, machen bei der deutschen Botschaft die Familienangehörigen von so genannten Spätaussiedlern, die in den 90er-Jahren hunderttausendfach in Deutschland aufgenommen worden waren, das Gros der jährlich mehr als 200.000 Antragsteller aus. Der deutsche Auftrag kommt für Direct Star angesichts dieser Zahlen und der Höhe der eingestrichenen Telefongebühren einer Lizenz zum Gelddrucken in Millionen-Auflage gleich. Besonders pikant: Die Firma gehört zu einem Konsortium namens PPE Group mit Sitz in Moskau. Die Hauptaktivitäten dieses Firmengeflechts besteht im "Direkt-Marketing" -- eine vornehm-russische Umschreibung für den Versand unverlangter Werbe-Mails. Ein Teil der Unternehmensgruppe hat sich auf den Verkauf "gepflegter" Sammlungen von Mail-Adressen zu diesem Zweck spezialisiert. Während die EU und ihre Mitgliedsstaaten verstärkt gegen digitalen Werbemüll vorgehen, ist dieses Geschäft in Russland völlig legal.

Warum man den lukrativen Auftrag zur Terminvergabe für die Visa-Beantragung statt an das russische Spam-Unternehmen nicht an ein deutsches Call-Center vergeben oder EU-weit ausgeschrieben hat, wusste das Auswärtige Amt gegenüber heise online nicht recht zu beantworten. Das Moskauer Konsortium habe gute Referenzen von anderen westeuropäischen Botschaften, die genauso verfahren würden, sagte eine Sprecherin.

Sparsam mit Informationen ist die deutsche Botschaft auch bezüglich der enormen Höhe der Gebühren, die für Anrufer fällig werden: Auf ihrer Homepage und im einschlägigen Informationsblatt fehlt die Angabe, und selbst nachfragende Bürger bekommen keine befriedigende Auskunft dazu. Erst auf wiederholte Anfrage von heise online teilte die Pressestelle des Auswärtigen Amtes die Gebührenhöhe mit. Dieses mit deutschem Recht unvereinbare Vorgehen der Auslandsvertretung steht nicht zuletzt bei Menschenrechtsorganisation in der Kritik: "Meist müssen die deutschen Familienangehörigen für diese überhöhten Kosten aufkommen", weiß Hiltrud Stöcker-Zafari, stellvertretende Geschäftsführerin beim Verband binationaler Familien und Partnerschaften (iaf e.V.), der seit 30 Jahren Familien unterschiedlicher Nationalitäten berät. Den zweisprachigen Job jedenfalls könnten viele der in Deutschland lebendenden Spätaussiedler mindestens ebenso gut ausführen wie die Angestellten der umstrittenen PPE-Group in Moskau. (tig)