WSIS: Schwere Konflikte um Internationalisierung der Internet-Verwaltung

Die USA bezogen zum Auftakt des Weltgipfels der Informationsgesellschaft eindeutig Position: Ein neues internationales Gremium zur Aufsicht über die Verwaltung der Kernressourcen im Internet sei nicht notwendig.

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Von
  • Monika Ermert

Der Streit um die Zukunft der Internet-Verwaltung beim UN-Weltgipfel der Informationsgesellschaft in Tunis (WSIS) hat begonnen. Verhandlungsführer internationaler Regierungen haben sich am gestrigen Sonntag im Prinzip auf die Einrichtung eines internationalen Forums für Fragen der Netzpolitik geeinigt. Bis Mitternacht tagte eine Arbeitsgruppe unter der Leitung der kanadischen Delegation. Doch schon am Montagmorgen zeigte sich in den Fragen der eigentlichen Aufsicht über die Netzverwaltung, wie weit die USA und Australien einerseits und andererseits die Länder des Südens, vorsichtig unterstützt von der EU, noch auseinander liegen.

Die USA bezogen am heutigen Montag eindeutig Position, ohne auf kursierende Berichte einzugehen, zumindest die Adressverwaltungsaufgaben der IANA würden im nächsten Jahr in den USA neu ausgeschrieben: Regierungen können an der Netzverwaltung innerhalb der ICANN mitwirken, ein neues Gremium zur Aufsicht über die Verwaltung der Kernressourcen im Internet wie DNS-Namensraum oder IP-Adressen sei nicht notwendig. Die Aufsicht über die eigenen Länderdomains könnte ebenfalls von Regierungen über den ICANN.Mechanismus wahrgenommen werden. "Wir halten die Verabschiedung eines 'neuen Kooperationsmodells' für das falsche Signal, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass dieser Begriff belastet ist durch die Nähe zur Aufsicht durch eine internationale Organisation." Im Klartext bleiben die USA damit dabei, dass man ein Forum zur Netzpolitik ohne Entscheidungsbefugnisse gerade noch akzeptieren würde – eine internationalisierte Aufsicht über die DNS- und IP-Adressenverwalter komme aber nicht in Frage.

Der Vertreter der EU sagte, man sei zwar bereit, auf den Begriff zu verzichten, keinesfalls aber auf das dahinter liegende Konzept einer neuen internationalisierten Aufsicht. Die EU hatte ein solches neues Kooperationsmodell für Netzfragen gefordert, sehr zum Ärger der USA. Dabei gehe es aber keineswegs um einen Superregulator, sondern doch vielmehr eher um eine "variable Geometrie, die auf bestehenden Strukturen aufbaut". Einflussnahme aufs Tagesgeschäft hatte auch der Vertreter des Bundeswirtschaftsministeriums Bernd Weismann kurz vor dem Gipfel abgelehnt. Die EU distanzierte sich mit diesen Hinweisen von weiter gehenden Positionen, wie sie etwa Länder wie Iran oder Saudi Arabien einnehmen. Dass die USA aber keine Zugeständnisse in der Frage der Internationalisierung machen, will man auf Seiten der EU auch nicht hinnehmen.

Länder wie Iran, Saudi Arabien oder China, die "Taten statt leerer Worte forderten", gehen in ihren Ansprüchen tatsächlich weiter als die EU. Sie befürworten einen regierungsamtlichen "Welt-Internet-Rat". Daher warnte die USA mit Blick auf die Position der EU, diese könnte zur Einrichtung einer neuen internationalen Regierungsorganisation führen. Genau das aber müsse unbedingt verhindert werden. Schon jetzt hätten die Regierungen im Übrigen ein Gremium für die Mitsprache, und zwar den Regierungsbeirat (GAC) der ICANN. Im Dezember werde der GAC ohnehin seine weitere Rolle besprechen, Verbesserungen seien durchaus auf der Agenda, meinte US-Vertreter Richard Beaird.

Eine rein beratende Rolle der Regierungen wie beim GAC sei aber nicht ausreichend, meinte daraufhin der brasilianische Verhandlungsführer. Die Idee eines von ICANN losgelösten GAC, der ICANN effektiver kontrolliert, hatte auch die EU schon einmal vorgelegt. Wollte man diesen Weg beschreiten, dann, betonte der Vertreter der Schweiz, müsse es aber "rechtliche Festlegungen" dazu geben. "Sonst wird das wohl nicht passieren."

Die US-Gegner befürchten, dass die USA einfach auf Zeit spielen, zumal Fragen nach den Grenzen möglicher Veränderungen von den US-Vertretern ebenfalls nicht klar beantwortet werden. Die Uhr für die Verhandlungen tickt jedenfalls: Am morgigen Dienstagnachmittag muss ein gemeinsames Papier zur Netzverwaltung vorliegen, soll der Gipfel, der offiziell am Tag darauf von UN-Generalsekretär Kofi Annan eröffnet wird, nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt sein. Die Diplomaten dürfen sich also auf eine weitere lange Nacht vorbereiten.

Zum bevorstehenden 2. WSIS und zum Streit um die Oberaufsicht im Internet siehe auch:

(Monika Ermert) / (jk)