e-Voting: Anfechtung der Bundestagswahl wegen Wahlcomputern

Beim Wahlprüfungsausschuss des Deutschen Bundestags ist eine Anfechtung eingereicht worden, weil die in knapp 2200 Stimmbezirken eingesetzten softwaregesteuerten Wahlgeräte gegen das Öffentlichkeitsprinzip der Wahlhandlung und Stimmauszählung verstießen.

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Von
  • Richard Sietmann

Der Software-Spezialist Ulrich Wiesner aus Neu-Isenburg bei Frankfurt hat beim Bundestagsausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Einspruch gegen das Ergebnis der Wahlen zum 16. Deutschen Bundestag mit der Begründung erhoben, die in knapp 2200 Stimmbezirken eingesetzten softwaregesteuerten Wahlgeräte der niederländischen Firma Nedap verstießen gegen das Öffentlichkeitsprinzip der Wahlhandlung und Stimmauszählung. "Diese Geräte genügen in ihrer derzeitigen Hardware-Architektur, der Software und in ihren Funktionen nicht den Erfordernissen, die erfüllt sein müssen, um das verfassungsrechtlich und wahlrechtlich gebotene Öffentlichkeitsprinzip technisch, apparativ und funktional zu verwirklichen", heißt es in dem unter Aktenzeichen WP 145/05 eingegangenen Einspruch.

Wiesner bemängelt insbesondere, dass die Stimmabgabe mittelbar – über das Wahlgerät und die eingesetzte Software – erfolgt und nicht überprüft werden kann, ob die abgegebene Stimme sofort und unverändert im Stimmenspeicher abgelegt sowie anschließend im elektronischen Stimmenspeicher bis zur Ermittlung des Wahlergebnisses nicht mehr verändert wird. Durch die fehlende Transparenz bei der Stimmabgabe wie auch bei der Zulassung der Wahlgeräte werde eine wirksame Kontrolle der Wahlen durch die Öffentlichkeit verhindert – zumal die Geräte auch keine ausreichenden Vorkehrungen bieten, über die sich eine eventuelle Manipulation der Software erkennen ließe. So gibt es beispielsweise keine Möglichkeit zur Überprüfung, ob die im Wahllokal zum Einsatz kommende Software tatsächlich der zugelassenen Software entspricht.

Nach der derzeitigen Rechtslage ist der Einsatz von Wahlcomputern in der Bundeswahlgeräteverordnung geregelt. Diese sieht vor, dass Experten der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) einen Prototypen des Systems einer technischen Prüfung unterziehen, bevor die Bauartzulassung durch das Bundesinnenministerium erfolgt. Die tatsächlich eingesetzten Geräte müssen dann eine Baugleichheitserklärung des Herstellers tragen. Das Zulassungsverfahren einschließlich der Prüfung durch die PTB ist nichtöffentlich. Damit stelle sich zudem die grundsätzliche Frage, "ob es dem Wähler als Souverän zuzumuten ist, bei der Beurteilung der ordnungsgemäßen Durchführung von Wahlen auf eine Experten-Öffentlichkeit angewiesen zu sein, oder ob nicht die Wahl als grundlegender Akt der staatlichen Legitimation für jedermann transparent nachvollziehbar und kontrollierbar bleiben muss".

Da die beanstandeten Geräte des Typs ESD1 und ESD2 in ca. 30 Wahlkreisen zum Teil flächendeckend zum Einsatz kamen und mehr als zwei Millionen Wähler davon betroffen waren, hätten die Mängel der Wahldurchführung Auswirkungen auf die Mandatsverteilung, weil weder das Erststimmen- noch das Zweitstimmenergebnis daraufhin überprüft werden könne, ob es in diesen Wahlkreisen rechtmäßig zu Stande gekommen ist. Der Diplomphysiker, der für ein amerikanisches Software-Unternehmen Banken bei der Einführung von Computer-Anwendungen berät, verdeutlicht in seinem heise online vorliegenden Schriftsatz die Bedeutung der fehlenden Kontrollmöglichkeiten mit einem Beispiel aus der Finanzwelt: "Einer Bank, die ihren Kontoinhabern zwar monatlich die Zahl der Umsätze auf deren Girokonten und die neuen Kontosalden mitteilt, ihren Kunden aber Kontoauszüge mit verifizierbaren Umsatzinformationen vorenthält, würde man ohne Not nicht vertrauen wollen. Eben dieses Vertrauen wird vom Wähler beim Einsatz der Nedap-Geräte abverlangt."

Über den Wahleinspruch muss nun der Bundestag als erste Wahlprüfungsinstanz entscheiden. Die Entscheidung wird vom Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung vorbereitet. Das Wahlprüfungsgesetz sieht vor, dass zu jedem nicht offensichtlich unbegründeten Einspruch eine öffentliche Verhandlung anberaumt wird. Sollte der Bundestag die Anfechtung abweisen, steht dem Kläger noch der Weg zum Bundesverfassungsgericht offen.

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(Richard Sietmann) / (jk)