Schäuble verteidigt seine Linie des starken Präventionsstaates

Er wolle allein die Freiheit schützen, erläuterte der Bundesinnenminister und machte sich erneut für Online-Durchsuchungen als Teil einer "weiter gehenden Entwicklung" stark; neben vielen Protesten gibt es Zustimmung aus der Union.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 850 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Stefan Krempl

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hat seine jüngsten Überlegungen zum Umgang mit potenziellen Terroristen und "Gefährdern" gegen heftige Kritik verteidigt. Verdeckte Online-Durchsuchungen, Kommunikationsverbote im Internet oder mit dem Handy sowie der Einsatz der Bundeswehr im Inneren – das sei noch der freiheitliche Rechtsstaat mit seiner Pflicht zur Gewährleistung der inneren Sicherheit, erklärte der CDU-Politiker in einem Interview mit dem ZDF. Man dürfe die Freiheit zwar nicht zu Tode schützen, "aber wir müssen sie schützen". Im vergangenen Jahrhundert sei die Freiheit einmal verloren gegangen, warf Schäuble einen Blick zurück in dunkle Kapitel der jüngsten deutschen Geschichte. Schuld daran gewesen sei, dass "die Menschen den freiheitlichen Verfassungsstaat diffamiert haben, er sei eine Schwatzbude und er könne die Menschen nicht schützen".

Schäuble zufolge müssen "alle das sichere Bewusstsein haben, das Menschenmögliche ist getan worden – nicht mehr und nicht weniger." Andernfalls würde der Staat seine Legitimation angesichts einer "völlig neuen Bedrohung" verlieren. Gleichzeitig machte sich der Minister erneut für einen Ausbau der Internet-Überwachung stark. "Die Entwicklung geht immer weiter", daher werde rasch eine gesetzliche Grundlage für heimliche Online-Durchsuchungen gebraucht. Zu diskutieren sei noch über "diese auch technisch schwierige Frage: Wie macht man das im Einzelnen?". Der Staat werde sich bei der umkämpften Maßnahme jedenfalls "nicht in die Computer zu Hause einschleichen". Vielmehr sei er "immer in der Geschichte, wenn er Anhaltspunkte zur möglichen Bedrohungen hatte, unter strengen rechtsstaatlichen Voraussetzungen eingeschritten". Darüber müssten Richter entscheiden, "das muss kontrolliert und begrenzt sein und hinterher auch offengelegt werden. So wie bei der Telefonkontrolle." Dass mit dem Telekommunikationsgesetz (TKG) und der Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV) bereits die Möglichkeit besteht, auch E-Mails und die Netzkommunikation abzuhören, erwähnte Schäuble nicht. Genauso wenig thematisierte er, dass beim staatlichen Zugriff auf Festplatten der besonders geschützte Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nach Meinung von Datenschützern und Verfassungsrechtexperten noch in ganz anderer Weise berührt wäre als beim Telefonabhören.

Laut SPD-Fraktionschef Peter Struck, dessen Entgegenkommen bei den Netzüberwachungen Schäuble gerade noch herausgestrichen hatte, belasten die jüngsten Äußerungen inzwischen das Klima in der großen Koalition weiter. Schäubles Ziel es sei, die Sozialdemokraten als "unsichere Kantonisten" hinstellen, sagte der Ex-Verteidigungsminister der Frankfurter Rundschau. "Das gehört sich nicht in einer Koalition." Die Vorschläge des Innenministers lassen sich laut Struck "eigentlich nur in einem Überwachungsstaat durchsetzen". Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth sprach von einem Frontalangriff Schäubles auf den Rechtsstaat. Der Minister befindet sich ihrer Ansicht nach spätestens seit seinen Äußerungen zur Aufhebung der Trennung von Völkerrecht im Frieden und im Krieg "auf einem gefährlichen Pfad, an dessen Wegesrand Guantánamo und die gezielte Tötung tatsächlicher oder vermeintliche Terroristen stehen".

Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) kritisierte Schäuble erneut. "Unser Problem sind nicht mangelnde Gesetze, sondern ihre mangelnde Umsetzung", sagte GdP-Chef Konrad Freiberg der westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ). "Wir kennen etwa 100 Gefährder. Aber wir sind aus Personalmangel nicht in der Lage, diese Personen rund um die Uhr zu bewachen." Deshalb habe der Minister der Terrorismusbekämpfung mit seinen "leichtfertig in die Runde geworfenen Szenarien einen Bärendienst erwiesen". Die berechtigten Forderungen nach einer verfassungsgemäßen Verbesserung einzelner Instrumente zur Bekämpfung des Terrorismus und eine bessere Ausstattung der Polizei drohten nun in der von Schäuble angezettelten Diskussion um Kriegsrecht, gezielter Tötung und totaler Überwachung unterzugehen.

Man müsse "Herrn Schäuble daran erinnern, dass er als Innenminister auch Verfassungsminister ist", betonte der FDP-Innenexperte Max Stadler zugleich in der WAZ. In Deutschland gelte ein Tötungsverbot, gesetzlich sei alles weitere "durch die Begriffe Notwehr und Nothilfe geregelt". Der Minister hatte zuvor auch auf verfassungsrechtliche Fragen im Zusammenhang mit der gezielten Tötung von Terroristen hierzulande hingewiesen. Heribert Prantl wirft in der Süddeutschen Zeitung Schäuble derweil vor, "Rechtsfreiheit" und einen "007-Staat" zu fordern.

Unkonkrete Rückendeckung für einen Ausbau des Präventionsstaates und die Einführung von Online-Durchsuchungen erhielt der Minister dagegen von führenden CDU-Politikern. Der hessische Ministerpräsident Roland Koch sagte laut dpa vor einer Präsidiumssitzung am Montag, es könne nicht sein, dass die deutschen Sicherheitsbehörden "deutliche Ermittlungsnachteile" gegenüber ihren Kollegen in anderen europäischen Staaten hätten. Ähnlich sollen sich die CDU-Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg und des Saarlandes, Günther Oettinger und Peter Müller, geäußert haben. "Der Grundsatz muss lauten: Sicherheit zuerst", meinte Müller laut dpa. Und Oettinger forderte, gegebenfalls müsse das Grundgesetz ergänzt werden, um den Terrorismus besser bekämpfen zu können.

Siehe dazu auch:

Zu den Auseinandersetzungen um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)