Brüssel steuert auf Eklat bei der Vorratsdatenspeicherung zu

Auch der Rechtsausschuss des EU-Parlaments ist der Ansicht, dass der EU-Rat nicht die Befugnis hat, die pauschale Speicherung aller TK-Verbindungsdaten zu beschließen. Doch die Minister preschen weiter vor.

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Das inzwischen auch in Deutschland stark kontrovers diskutierte Thema der Verpflichtung von Telekommunikationsfirmen zur pauschalen und verdachtsunabhängigen Überwachung ihrer Kunden im Namen der Strafverfolgung und Terrorabwehr erregt in Brüssel weiter die Gemüter. Dort hat der EU-Rat bereits seit langem gehegte Pläne zur Einführung einer Vorratsspeicherung sämtlicher Verbindungs- und Standortdaten, die bei der Abwicklung aller Internet- und Telefon-Dienste anfallen, mit Hilfe eine Initiative einer Handvoll Mitgliedsstaaten nach den Anschlägen in Madrid vor einem Jahr wieder aufgenommen. Doch nach dem Berichterstatter für den umstrittenen Entwurf für einen entsprechenden Rahmenbeschluss im EU-Parlament, dem Liberalen Alexander Alvaro, und nach der EU-Kommission ist am heutigen Donnerstag nun auch der Rechtsausschuss der europäischen Volksvertretung zu der Ansicht gelangt, dass das Ministergremium im Kern keine Befugnis zur Verabschiedung der umstrittenen Maßnahme hat.

"Der Rat bewegt sich von nun an auf sehr dünnem Eis, wenn er an seiner Position festhält", zeigt sich Alvaro erfreut über die weitere Rückendeckung. Der FDP-Abgeordnete hatte in einem ersten Bericht zur geplanten Vorratsdatenspeicherung bezweifelt, dass die Minister die richtige Rechtsgrundlage für das heftig umstrittenes Vorhaben gewählt haben, sowie prinzipielle Bedenken datenschutz-, bürger-, verfassungsrechtlicher und ökonomischer Natur dagegen vorgebracht.

Das Ministergremium lässt sich von seinen Plänen trotzdem nicht abbringen. Mit ungedrosseltem Tempo hält der Ministerrat vielmehr an seinem Ziel fest, noch bis zum Juni einen Rahmenbeschluss unter Dach und Fach zu bringen. Auf ihrer Sitzung am 14. April wollen die Justiz- und Innenminister die noch offenen Fragen besprechen. Grundlage für die weiteren Verhandlungen stellt ein überarbeiteter Entwurf für den Gesetzestext dar, der Ende Februar erstellt wurde und heise online in voller Länge vorliegt. Eine gekürzte und teilweise geschwärzte Version hat der Rat im Web veröffentlicht.

Auf Drängen der Luxemburger Ratspräsidentschaft ist darin nun von "Kommunikationsdaten" statt einfach nur "Daten" die Rede, die von den Telcos und Internetprovidern 12 Monate lang aufbewahrt werden sollen. Im ursprünglichen Entwurf waren Speicherfristen bis zu 36 Monaten vorgesehen. Eine entsprechende längere Vorschrift wird einzelnen Mitgliedsstaaten aber "im Einklang mit nationalen Kriterien" nach wie vor an die Hand gegeben. Auch sechs Monate hält der Rat gerade noch für akzeptabel, falls eine längere Vorhaltungsdauer der Datenmassen national nicht durchsetzbar sei.

Der Begriff "Kommunikationsdaten" dürfte zunächst für weitere Verwirrung sorgen. Geht es den Sicherheitsbehörden nach eigenem Bekunden doch gerade nicht um die Überwachung von Kommunikationsinhalten, was nun aber nahe gelegt wird. In Artikel 2 bemüht sich der Rat daher um genauere Definitionen. Demnach sollen zu den zu speichernden Informationen insbesondere "Verkehrsdaten und Standortdaten" gehören. Dazu kommen schwammige "Nutzerdaten, die sich auf den User eines öffentlich verfügbaren elektronischen Kommunikationsdienstes beziehen", sowie dazugehörige "Abonnentendaten". Daraus hervorgehen sollen unter anderem die Quelle einer Kommunikation inklusive "persönlicher Details", die Herkunft und das Ziel oder die Zeit und die Dauer einer Kommunikation. Auch Geräteidentifizierungsnummern stehen auf der Wunschliste. Anwendung finden soll der Rahmenbeschluss auf "alle Mittel für die elektronische Kommunikation", insbesondere auf die Sprachtelefonie, SMS und sämtliche Internetprotokolle wie E-Mail, VOIP, WWW oder für sonstige Dateiübertragungen.

Der überarbeitete Entwurf vergisst nicht zu erwähnen, dass Deutschland auf der letzten einschlägigen Ratssitzung Anfang Dezember noch angeregt hatte, dass fehlgeschlagene Kommunikationsversuche nicht aufzuzeichnen seien. Gemeinsam mit Österreich hatte sich Berlin zudem dafür stark gemacht, einen Datenzugriff durch die Behörden nur bei "ernsthaften" Straftaten zuzulassen. Bedenken wegen der hohen Kosten der Maßnahme für die Wirtschaft haben Finnland, Griechenland und Italien vorgebracht. Zahlreiche Delegationen hätten zudem noch allgemeine Prüfvorbehalte -- auch im Namen ihrer Parlamente -- zu Protokoll gegeben.

Trotz der Änderungen ist laut Alvaro ein institutioneller Konflikt in Brüssel nicht mehr abwendbar. "Wir sind in Absurdistan gelandet", verweist er auf die ungeklärten Zuständigkeiten. Eine Hand wisse nicht, was die andere tue und das Parlament sei im Unklaren darüber, über welches Papier des Rates es eine Entscheidung zu fällen habe. Die Minister sollten aber nicht vergessen, droht Alvaro indirekt mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof, "dass wir durchaus Möglichkeiten haben uns zu wehren". Dass Berlin in Brüssel noch gegen die Vorratsdatenspeicherung interveniert, glaubt der Liberale trotz eines eindeutigen Bundestagsbeschlusses in diese Richtung nicht. "Die Bundesregierung fährt nach Brüssel, um Dinge umzusetzen, die sie in Berlin nie durchbekommen würde, und lacht sich dabei ins Fäustchen", fürchtet Alvaro. Dies sei ein Armutszeugnis für die parlamentarische Demokratie in Deutschland. (Stefan Krempl) / (jk)