Kieler Landtag winkt verschärftes Polizeigesetz durch

Mit den Stimmen der schwarz-roten Koalition hat das schleswig-holsteinische Parlament ein neues Polizeirecht beschlossen, das den Gesetzeshütern deutlich mehr Befugnisse zur anlasslosen Überwachung erteilt.

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Mit den Stimmen der schwarz-roten Koalitionsfraktionen hat das schleswig-holsteinische Parlament am heutigen Donnerstag ein neues Polizeirecht beschlossen, das den Gesetzeshütern deutlich mehr Befugnisse zur präventiven Überwachung etwa beim Telefonabhören, der Internetnutzung oder der Kontrolle von Autofahrern erteilt. "Wir passen das Polizei- und Ordnungsrecht unseres Landes an den technischen Fortschritt und die veränderten Bedrohungslagen an", warb Landesinnenminister Ralf Stegner für die Novelle. Schleswig-Holstein werde "kein orwellscher Überwachungsstaat". Vielmehr bekämen "die Bürger dieses Landes und unsere Landespolizei ein modernes und liberales Polizeirecht." Zugleich trat der SPD-Politiker Kritikern entgegen, die das neue Polizeigesetz klar für verfassungswidrig halten: "Wir haben uns streng an den Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes und seinen Begründungen zu entsprechenden Regelungen im Polizeirecht anderer Länder orientiert."

Unterstützung erhielt Stegner vom Innenexperten der SPD-Fraktion, Klaus-Peter Puls. Er betonte, dass "wir für die Freiheit nicht den Tod von Menschen in Kauf nehmen dürfen." Zugleich verwies er auf "konkrete terroristische Vorbereitungsaktivitäten vor unserer Haustür" in Kiel und Hamburg. "Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf in der vom Innen- und Rechtsausschuss empfohlenen Fassung gehen wir einen weiteren wichtigen Schritt zu mehr Sicherheit in Schleswig-Holstein", ergänzte Puls' Kollege von der CDU, Peter Lehnert. "Mit diesem Maßnahmenbündel wollen wir den staatlichen Ermittlungsbehörden alle rechtsstaatlich zulässigen Mittel an die Hand geben, um möglichst schon vorbeugend Kriminalität zu verhindern oder aber bereits begangene Verbrechen möglichst umfassend und schnell aufzuklären." Datenschutz sei wichtig, gehe aber nicht vor Sicherheit. Latente pauschale Unterstellungen, zusätzliche Befugnisse für die Polizei könnten zu Missbrauch führen, würden nicht mit der Lebenswirklichkeit in Schleswig-Holstein übereinstimmen.

FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki beklagte dagegen, dass das Gesetz der "Jedermann-Überwachung" Vorschub und mit unbestimmten Rechtsbegriffen die Polizeiarbeit erschwere. "Ein unpräzises Gesetz verleitet geradezu zu Fehlern und birgt damit ein hohes Risiko für die Beamten", monierte Kubicki. Der abgesegnete Text wimmele aber nur so "vor unbestimmten Rechtsbegriffen". Die FDP stimme daher "aus tiefster innerer Überzeugung" gegen die Reform. Kubicki blieb zudem bei seiner Ansicht, dass das Vorhaben mit dem Grundgesetz nicht in Einklang zu bringen sei. Schon im Vorfeld der Verabschiedung der Novelle hatte er angekündigt, die Möglichkeiten einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht zu prüfen.

Karl-Martin Hentschel von den Grünen gab vor der Abstimmung zu bedenken, dass es für die vorgeschlagenen Maßnahmen keine sachliche Begründung gebe. Besonders gravierend sei die Einschränkung des Schutzes der Kommunikation zwischen Anwälten, Ärzten und Journalisten mit Klienten, Patienten und Informanten. Anke Spoorendonk von der Wählervereinigung SSW befand: "Das neue Polizeirecht ist ein schlechtes Gesetz." Weiterhin besorgt zeigten sich auch Datenschützer. "Wirklich bedrückend sind die jetzt gestatteten Maßnahmen im Bereich der anlassunabhängigen Überwachung", erklärte Johann Bizer, stellvertretender Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD), gegenüber heise online. Vermehrt dürften so unschuldige Bürger ins Visier der Sicherheitsbehörden geraten. Zugleich kündigte Bizer an: "Wir werden die Polizeipraxis am Gesetz und an der Verfassung messen."

Mit dem neuen Gesetz wird die Polizei befugt sein, Telefongespräche und Verbindungsdaten aus dem Internetverkehr bei einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person vorbeugend zu überwachen. Dafür soll in dringenden Fällen eine polizeiliche Anordnung ausreichen, die gemäß den erfolgten Korrekturen aber "unverzüglich" durch einen Richter bestätigt werden muss. Eine "Live-Kontrolle" abgehörter Gespräche zur Vermeidung von Eingriffen in den absolut geschützten Kernbereich der privaten Lebensgestaltung ist nicht vorgesehen.

Neu geregelt wird auch die anlassunabhängige Kontrolle von Personen und Fahrzeugen im Rahmen der "Schleierfahndung". Polizisten sollen demnach ­ bei einer besonderen Gefahrenlage ­ auch ohne bestimmten Verdacht etwa den Kofferraum eines Autos "in Augenschein nehmen" dürfen. Weitere Punkte sind die Videoüberwachung an Kriminalitätsschwerpunkten sowie das Nummernschild-Scanning. Dabei sollen Kfz-Kennzeichen wie bei einer Rasterfahndung durch ein automatisches Lesegerät erfasst und mit Polizeidateien abgeglichen werden. Darüber hinaus wird das bestehende Vorgangsbearbeitungssystem der Polizei Datenschützern zufolge in eine "Erkenntnisdatei" umgewandelt. (Stefan Krempl) / (vbr)