20 Jahre Windows: Der Tag, an dem die Kommandozeile verschwinden sollte

Am heutigen 20. November vor 20 Jahren lieferte Microsoft die erste Version von Windows in den USA aus – die deutsche/mehrsprachliche Version 1.03 kam etwas später.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 1073 Kommentare lesen
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Detlef Borchers

"Software mit Zukunft": Microsoft lieferte in Deutschland mit etwas Verzögerung die erste Version von Windows aus [Klicken für vergrößerte Ansicht]

Am heutigen 20. November vor 20 Jahren lieferte Microsoft die erste Version von Windows in den USA aus – die deutsche/mehrsprachliche Version 1.03 kam etwas später. Doch wer will an einem so Geburtstag nicklig werden? Halten wir einfach fest, dass Windows zur Verwunderung der Fachpresse überhaupt erschien, denn angekündigt wurde es auf der US-Messe Comdex, am 10. November 1983. Was zum ersten Quartal 1984 für 23 verschiedene Computer ausgeliefert werden sollte, entwickelte sich so zu einem der ersten Programme, die als Vaporware bezeichnet wurden.

Das erste Windows kostete 399 DM, die für Windows notwendige Maus, die mit einer eigenen Controllerkarte kam, dagegen stolze 799 DM. (Diese Maus wurde von den ehemaligen Xerox-Programmierern Charles Simonyi und Richard Brodie für Word 1.0 entwickelt.) Zur Einführung der "Software mit Zukunft" gab es ein günstiges Promotion-Bundle für 900 DM. Es wurde mit dem Argument angeboten, dass die enthaltene Textverarbeitung MS-Write nach dem Ende der Rabattphase für 1700 DM in den Handel kommen soll. Doch damit nicht genug: Windows (4 Systemdisketten mit je 360 KByte, zudem jeweils eine Programm- und Font-Diskette) verlangte auf einem damals üblichen Rechner mit zwei Laufwerken bis zu fünf Diskettenwechsel, ehe sich die "Betriebssystemumgebung" mit einer hübschen Sanduhr meldete, Wer mit dem System wirklich arbeiten wollte, musste nochmal in die Taschen greifen: Eine 5 MByte große Festplatte kostete laut c't um 2300 DM und mehr.

Welches Betriebssystem hätten's denn gern? Microsoft fragte auch nach dem hauseigenen Unix-Derivat Xenix oder gar nach Apple-DOS [Klicken für vergrößerte Ansicht]

Was war bloß aus dem Windows geworden, das die erste Pressemeldung 1983 als schlanken DOS-Aufsatz feierte, der gerade einmal 192 KByte Arbeitsspeicher benötigte und einen aufgeräumten Schreibtisch zeigen sollte? "Microsoft Windows essentially treats the computer screen as a 'desk-top' with application windows neatly arranged in logical fashion." In der ersten Meldung über Windows vergaß Microsoft nicht, dass man auf den Schultern von Riesen saß. Ausdrücklich wurde 1983 betont, dass der neue Manager keine Idee von Microsoft ist: "Microsoft Windows is an outgrowth of a concept that was originally developed by Xerox for use on the Star. Microsoft has adapted and enhanced the window interface capability so it is available on mid-range priced personal computers." Der Star von Xerox ist damit der Urahn einer ganzen Reihe von Desktop-Ansätzen, zu denen Windows, der Mac (siehe auch: 1984: Und Jobs erschuf den Mac) und GEM gehören. Die gemeinsame Star-Verwandschaft von Windows mit Systemen wie Apples Lisa, der Visi On-Oberfläche von Visicorp ist noch in dem ersten Artikel über Windows zu finden, als die Zeitschrift Byte eine Beta-Version von Windows besprach.

Noch im Jahre 1983 entschloss man sich bei Microsoft, aus dem Fenster-Manager eine umfangreiche "Betriebssystemumgebung" zu machen, in der Programme von einem Betriebssystem aus gestartet, doch unter der Kontrolle von Windows laufen sollten. Ausschlaggebend waren die Erfahrungen, die die Windows-Entwickler bei der Entwicklung der Macintosh-Oberfläche machten: 1982/83 beschäftigte Microsoft genausoviele Programmierer im Macintosh-Projekt wie Apple – so kann man es jedenfalls in der Gates-Biographie von Manes und Andrews nachlesen. Ein System, das die Kontrolle über alle Programme hat, ein Clipboard, das in Zukunft alle Daten zwischen Programmen kopieren kann, verankert die Abhängigkeit vom Hersteller einer solchen (grafischen) Systemumgebung. Die ab 1983 von Microsoft in zahllosen Interviews und Statements propagierte "device independence" der Programme unter Windows bedeutete, dass im Idealfall Programmierer auf den Windows-Standard setzen sollten und Microsoft unabhängig vom Betriebssystem die Kontrolle über den Standard hatte.

Als Windows 1985 endlich erschien, brauchte es 512 KByte Arbeitsspeicher und eine Festplatte. Entsprechend harsch urteilten die Rezensenten. Sie verglichen Windows mit der grafischen Oberfläche des Macintosh von Apple, dem GEM der Atari-Computer oder bemängelten die enormen Anforderungen an die Hardware. Die positivste Rezension in der deutschen Computerpresse erschien in der c't. Hier setzte der Autor seine Hoffnungen auf eine Weiterentwicklung des Systems hin zu einer schnellen grafischen Bedienoberfläche bei gleichzeitigem Multitasking hinter den Kulissen dieser Oberfläche. Wohin die Entwicklung des Systems gehen sollte, wusste damals selbst Microsoft nicht: Auf einem Kärtchen bat Geschäftsführer Joachim Kempin die geschätzten Rezensenten um ihre Meinung: "Möchten Sie Windows unter CP/M-80, Mac-DOS, Apple-DOS oder Xenix einsetzen?" Mit der in den 90er Jahren dann aufgegebenen OS/2-Entwicklung (siehe dazu: Stirb langsam/2) sollte sich Microsoft bei der Bestimmung des richtigen Betriebssystems für sein Windows plagen.

Microsofts "MS-DOS Executive" wurde erst in späteren Versionen von Windows vom "Program Manager" abgelöst [Klicken für vergrößerte Ansicht]

Bis zur Version 3.0 war Windows für Microsoft ein enormes Verlustgeschäft. Doch der Erfolg, den Microsoft damals mit Multiplan hatte, gestattete es der Firma, die Windows-Entwicklung voranzutreiben und mit Excel abzusichern. Damit es sich überhaupt im Markt verbreitete, offerierte Microsoft den Lizenznehmern von MS-DOS sogenannte Bundles, die darauf hinausliefen, dass Windows als kostenlose Dreingabe angesehen und belächelt wurde. Auf lange Sicht erwies sich dies für Microsoft als Vorteil: Mit Ausnahmen von Nischenlösungen wie dem DTP-Programm Pagemaker entwickelte niemand ernsthaft Software für Windows, während sich bei Microsoft bald 600 Programmierer daran machten, mit Word und Excel eine Basis für das später so erfolgreiche Office zu bauen. Als Windows auf dem PC wirklich Fahrt aufnahm — Windows 3.0 mit 25 Millionen Installationen in einem Jahr), waren wichtige Konkurrenten mit den falschen Produkten beschäftigt (Lotus mit 1,2,3 für OS/2) oder hatten eine katastrophale Version veröffentlicht (WordPerfect), von der sie sich nicht mehr erholen konnten.

Um Windows ranken sich heute viele Mythen. Am bekanntesten ist der von der "intuitiven Benutzeroberfläche", die die Arbeit am PC erleichtert. So heißt es im Pressematerial zum großen Feiertag: "Mussten Anwender zuvor komplizierte MS-DOS-Befehle in Form von C:\ eingeben, so stand ihnen nun eine Maus zur Verfügung. Damit konnten sie sich intuitiv durch die Anwendungen klicken." Windows brauchte etliche Versionen und viele Anläufe, bis die Arbeit vereinfacht wurde und gleichzeitig die Nutzer so geschult waren, dass sie die Arbeit mit Windows als Vereinfachung begriffen. Mit der Flexibilität einer programmierbaren Kommandozeile können Dateioperationen noch heute schneller ausgeführt werden als mit den Mausklicken.

Zur Geschichte von Windows siehe auch: