Laute Kritik an Kompromissvorschlägen zur TK-Vorratsdatenspeicherung

Provider und Datenschützer sprechen von Schönheitskorrekturen beim Kurs der Parlamentarier zur pauschalen Überwachung der Nutzerspuren bei der Telekommunikation, die Entertainment-Industrie fordert dagegen Verschärfungen.

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Provider und Datenschützer halten auch gegen die jüngst von den Fraktionsvorsitzenden im EU-Parlament erarbeiteten Kompromissvorschläge für die umstrittene Richtlinie zur Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten grundsätzliche Bedenken aufrecht. Der Berliner Landesdatenschutzbeauftragter Alexander Dix sprach gegenüber heise online von "Schönheitskorrekturen". Sollten sie im Plenum von den Abgeordneten bestätigt werden, käme die Einführung der pauschalen Aufzeichnung der elektronischen Nutzer ohne konkreten Verdacht "gleichwohl einem verhängnisvollen Dammbruch" gleich. Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten wäre eine solche Maßnahme "nur schwer verdaulich" und die Frage der Verfassungsmäßigkeit würde sich hierzulande weiter stellen.

Bei den Überwachungsplänen in Brüssel, die vom EU-Rat und der EU-Kommission mit Nachdruck vorangetrieben werden, geht es prinzipiell um die Speicherung der Verbindungs- und Standortdaten, die bei der Abwicklung von Diensten wie Telefonieren, SMS, E-Mailen, Surfen oder Filesharing anfallen. Mit Hilfe der Datenberge sollen Profile vom Kommunikationsverhalten und von den Bewegungen Verdächtiger erstellt werden. Telefondaten will die Kommission zwölf, Internetdaten sechs Monate aufbewahrt wissen. Alexander Alvaro, Parlamentsberichterstatter für die Richtlinie, schlug dagegen zunächst eine dreimonatige Speicherfrist allein für den Telefoniebereich vor. Die Fraktionsvorsitzenden drängen aber auf die Vorhaltung von IP-Adressen sowie eine generelle sechs- bis zwölfmonatige Aufbewahrungsdauer.

"Wir sind nach wie vor der Meinung, dass eine gezielte Datenspeicherung ab einem konkreten Verdachtsmoment ausreicht", hält Michael Rotert, Vorstandsvorsitzender des Vereins der deutschen Internetwirtschaft eco und Präsident des Brüsseler Dachverbands EuroISPA, dagegen. Rund 90 Prozent aller Internet-Verbrechen würden sich bereits mit den vorhandenen Daten aufklären lassen. Der im Raum stehende Kompromiss, über die der federführende Parlamentsausschuss für Bürgerrechte, Justiz und Inneres am Donnerstag abstimmen und damit eine Richtschnur für die im Dezember angesetzte Plenarabstimmung festzurren soll, sei für die Industrie eine schwer zu schluckende Kröte.

EuroISPA hat gemeinsam mit den vier weiteren Verbänden ECTA, ETNO, GSM Europe und ECCA ein Empfehlungsschreiben an die Ausschussmitglieder versandt. Darin sprechen sie von "weiter fehlenden Nachweisen für die Ineffizienz" der bereits bestehenden Kooperation mit den Sicherheitsbehörden beim "Einfrieren" der begehrten Verbindungsdaten in Einzelfällen. Für die Richtlinie empfehlen sie eine Klarstellung, dass im Internetbereich allein IP-Adressen beim Zugang ins Netz aufzuzeichnen seien. Eine sechsmonatige Speicherfrist erscheint den Lobbygruppen "unverhältnismäßig". Standort- und E-Mail-Daten sollten auf keinen Fall angefordert werden. Gerade bei letzteren käme es unweigerlich zu einer Vermischung mit den Kommunikationsinhalten, warnt Rotert. Die gewünschten IP-Adressen seien bei der E-Post so tief in die Datenpakete integriert, dass man sie nicht einfach herausfiltern könne.

"Die vorgeschlagen Speicherverpflichtungen übersteigen bei weitem, was die Anbieter gegenwärtig für die Abrechnung oder andere Geschäftszwecke vorhalten", beklagt auch Volker Kitz, Rechtsexperte beim Branchenverband Bitkom. Strafverfolger hätten immer wieder signalisiert, dass die Suche in den so entstehenden Datenbergen zu langwierig wäre. Der Bitkom möchte daher die konkrete Liste der aufzubewahrenden Daten etwa bei erfolglosen Anrufversuchen oder den Identifikationsnummern von PC-Netzwerkkarten sowie Handys entschlackt sehen. Im Gegenzug würde er sich mit einer sechsmonatigen Speicherdauer arrangieren.

Andere Töne schlägt der Dachverband der Entertainment- und Medien-Industrie, die bei der IFPI angesiedelte CBMA (Creative and Media Business Alliance), an. Die Organisation möchte sicherstellen, dass die Richtlinie auch ein "effektives Instrument im Kampf gegen die Piraterie wird", hat sich sein Brüsseler Büro an die Parlamentarier gewendet. Eine sechsmonatige Speicherung von Internetdaten erscheint der Lobbygruppe der Musik- und Filmindustrie als "Minimum". Gleichzeitig erhebt sie lautstarke Proteste gegen die Erwägung der Fraktionsvorsitzenden, Strafverfolgern den Zugang zu den Datenhalden nur bei schweren Verbrechen zu erlauben. Damit wäre die "Effektivität" der Richtlinie nicht gewährleistet.

Der Frankfurter Rechtswissenschaftler Patrick Breyer fordert dagegen eine komplette Ablehnung des Richtlinienvorschlags. In einem Schreiben an Alvaro brachte er jüngst seine Enttäuschung über die Kompromisslinie zum Ausdruck. Einschränkungen seien kaum noch erkennbar; in Bezug auf eine bis zu zwölfmonatige Speicherung von Internetdaten gehe das Papier der Fraktionsvorsitzenden sogar weiter als die Kommission. Es wäre durch nichts zu rechtfertigen, betont Breyer, falls das Parlament einem Kompromiss jetzt gegen besseres Wissen zustimmen sollte. Die Massendatenspeicherung wäre weiter unverhältnismäßig, ihr Nutzen sei nach wie vor nicht wissenschaftlich nachgewiesen. Dass die britische Ratspräsidentschaft mit Erpressungsversuchen und angekündigten weiteren Mitspracherechten für das Parlament bei der Inneren Sicherheit agiere, verschlimmere das "politische Schmierentheater" nur. Es stehe nach wie vor in der Macht der Abgeordneten, "massivste Grundrechtseinschränkungen" abzuwehren, da die Minister sich in dieser Frage uneinig seien und die Verabschiedung eines eigenen Rahmenbeschlusses unrealistisch wäre.

Zur Auseinandersetzung um die Vorratsspeicherung sämtlicher Verbindungs- und Standortdaten, die bei der Abwicklung von Diensten wie Telefonieren, E-Mailen, SMS-Versand, Surfen, Chatten oder Filesharing anfallen, siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)