Microsoft, die "Vienna Conclusions" und der UN-Weltgipfel

Die in Wien für den UN-Weltgipfel der Informationsgesellschaft erarbeiteten Vienna Conclusions wurden in einer inhaltlich veränderten Form präsentiert: Microsoft ließ unter anderem Freie Software aus dem Text streichen.

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Die in Wien für den UN-Weltgipfel der Informationsgesellschaft (World Summit on Information Society, WSIS) erarbeiteten Vienna Conclusions wurden in Tunis in einer inhaltlich veränderten Form präsentiert: Freie Software wurde gestrichen, dafür Digital Rights Management eingefügt. Wie sich jetzt herausstellt, wurden die Änderungen auf Wunsch von Thomas Lutz, Mitglied der Geschäftsführung von Microsoft Österreich, und der ÖVP-Abgeordneten, Carina Felzmann, Leiterin einer PR- und Lobbying-Firma, vorgenommen. Der in Tunis präsentierte Text wurde vom österreichischen Bundeskanzleramt herausgegeben. Das Amt hat auf eine bereits am Sonntag von heise online gestellte Anfrage zur Sache bislang nicht reagiert.

Unter dem Titel ICT + Creativity hatte der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) Anfang Juni zu einer international hochkarätig besetzten Konferenz im Rahmen des WSIS geladen, zu deren Sponsoren auch Microsoft zählte. In verschiedenen Panels zu unterschiedlichen Themen diskutierten Experten und hielten ihre Diskussionsergebnisse in gemeinsam verabschiedeten Texten fest. Die Texte wurden anschließend zu den Vienna Conclusions zusammengefasst. Eines der Panels hieß Digital Rights / Creative Commons. Vorsitzender war Nii Narku Quaynor, damals noch CEO des ghanesischen Unternehmens Network Computer Systems Limited und ehemaliger Vertreter Afrikas bei der ICANN. Berichterstatter war Ralf Bendrath, Politikwissenschaftler an der Universität Bremen und Beobachter des WSIS-Prozesses für die Heinrich-Böll-Stiftung. Zu den weiteren Teilnehmern zählten unter anderen Georg C.F. Greve von der Free Software Foundation Europe (FSFE), Richard Owens von der World Intellectual Property Organization (WIPO), Georg Pleger von Creative Commons Austria, Peter Rantasa vom Music Information Center Austria (mica).

Bendrath und Greve fielen aus allen Wolken, als sie die in Tunis verteilten Broschüren (PDF-Datei) mit den (angeblichen) Vienna Conclusions durchlasen. Statt dem Originaltext "ihres" Panels war eine inhaltlich in wesentlichen Punkten veränderte Version abgedruckt. Die Erwähnung des "Erfolgs Freier Software" war verschwunden. Auch in jenen Teil, der die Verschiebung von Umsätzen weg von Content und digitalen Arbeiten hin zu darauf fußenden Services betont, wurde sinnändernd eingegriffen.

Die Feststellung, dass Software als Kulturtechnologie einer digitalen Gesellschaft verstanden werden müsse, wurde in "praktische und einfache Nutzung von Software" verwässert. "Kommerzielle Produkte bringen Innovation zu den Konsumentenmassen in aller Welt" war ebenso aus dem Nichts aufgetaucht wie: "Um fortwährende Innovation sicherzustellen, müssen Digital Rights Management (DRM) Entwicklung und Verbreitung freiwillig und marktgetrieben bleiben."

Was auf den ersten Blick konsumentenfreundlich klingt, ist eine Spitze gegen DRM-Regulierungsbestrebungen in der EU. "DRM hat nichts mit Innovation zu tun. Das Sony-Rootkit zeigt überdies, dass an DRM nichts freiwillig ist", widerspricht Greve, "Wir haben in Tunis versucht, mit den Österreichern (über die Textmanipulationen) zu sprechen. Die waren jedoch zu beschäftigt, den 'World Summit Award' und dessen Auskommen mit ihren Sponsoren zu feiern."

Als die ORF futureZone über den Vorfall berichtete, meldete sich "Medienprofessor" Dr. Peter Aurelius Bruck, "Editor-in-Chief" der vom Bundeskanzleramt herausgegebenen Broschüre, im Online-Forum zu Wort. Bruck bestreitet die Änderungen nicht, aber bezichtigt die ORF-Journalisten der "Eindrucksmanipulation". Er habe nach der von ihm durchgeführten Konferenz ein öffentliches Blog zur weiteren Diskussion aller Texte eingerichtet. Greve und Bendrath betonen aber, dass keiner der Panel-Teilnehmer je davon erfahren habe. In dem Blog finden sich tatsächlich drei inhaltliche Postings, zwei davon den Text des Panels Digital Rights / Creative Commons betreffend.

Am 27. September, drei Tage vor der angekündigten Schließung des Blogs, erscheinen dort "Comments from Microsoft Corporation", gezeichnet mit "Thomas Lutz, Manager Public Affairs Mitglied der Geschäftsleitung Microsoft Österreich GmbH". Darin wird vorgeschlagen, jene Textpassagen, in denen vom Erfolg Freier Software beziehungsweise von der Umsatzverschiebung von Content und digitalen Arbeiten hin zu Services die Rede ist, komplett zu streichen. Microsoft begründet dies mit der Behauptung, dass Freie Software darauf abziele, das Geldverdienen mit Software zu verunmöglichen. "Das ist offensichtlich dumm und Nonsens", kommentiert Greve in seinem eigenen Blog, "Das ist nur ein weiterer Monopolist, der versucht, sein Monopol aufrecht zu erhalten, in dem er freie Märkte verhindert – dem, was Freie Software eigentlich anstrebt."

Den Änderungswünschen Microsofts wird ohne Nachfrage bei den Panelmitgliedern entsprochen. In einen weiteren Absatz reklamiert Microsoft erfolgreich den Satz über die "Innovation durch kommerzielle Produkte" für den Text. Am 5. Oktober, also nach dem von Bruck angekündigten Schluss des Blogs, erscheint schließlich ein Posting der ÖVP-Nationalratsabgeordneten Carina Felzmann in ihren Eigenschaften als Geschäftsführerin der PR- und Lobbying-Firma CoxOrange sowie als Vorsitzende des Verbandes creativ wirtschaft austria, zu dem auch der Verband der österreichischen Musikwirtschaft IFPI gehört. Aus ihrem Posting stammt der Satz über DRM.

"Das Panel diskutiert mittlerweile intern, ob wir noch eine gemeinsame Stellungnahme oder weitere Schritte vornehmen werden", berichtet Greve nach seiner Rückkehr aus Tunis. "Da es sich um ein Gemeinschaftswerk handelt, ist das der meiner Ansicht nach sinnvollste Weg." Während die Panel-Mitglieder nun intern über weitere Schritte diskutieren, wartet heise online noch immer auf eine Stellungnahme des österreichischen Bundeskanzleramts. (Daniel AJ Sokolov) / (jk)