Neue Kritik an EU-Plänen zur Verschärfung beim geistigen Eigentum

Verbraucherschützer warnen vor der Kriminalisierung von Tauschbörsen-Nutzern, während Wirtschaftsverbände vor allem ein strafrechtliches Vorgehen gegen Patentverletzer ablehnen.

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Bei einer Anhörung im Rechtsausschuss des EU-Parlamentes hagelte es am gestrigen Dienstag Proteste gegen die von der EU-Kommission und dem EU-Rat geplante "Harmonisierung" von Strafvorschriften bei Verstößen gegen geistige Eigentumsrechte. Zahlreiche Wirtschaftsverbände beklagten, dass insbesondere die geplante Kriminalisierung von Patentverletzern prekär wäre. Der Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII) sprach von einer "Streubomben-Gesetzgebung", die zahlreiche ungewollte "Kollateralschäden" nach sich zöge. Scharfe Kritik kommt auch von den Verbraucherschützern. Sie fürchten, dass mit dem Gesetz der Entertainment-Industrie alle Mittel in die Hände gelegt würden, um gegen sämtliche Tauschbörsen-Nutzer mit der Strafrechtskeule vorgehen zu können.

Mit dem Entwurf (PDF-Datei) für eine Richtlinie über "strafrechtliche Maßnahmen zur Durchsetzung der Rechte an geistigem Eigentum" sollen alle vorsätzlich "in gewerblichem Umfang" begangenen Verletzungen an geistigen Eigentumsrechten EU-weit zu Verbrechen gestempelt und strafrechtlich verfolgt werden. Die möglichen drakonischen Geld- und Haftstrafen will der Rat mit einem dazugehörigen Rahmenbeschluss festsetzen. Dieser Ansatz hat aber gravierende Fehler, waren sich ausnahmsweise einmal Softwarepatentgegner wie der FFII oder die Free Software Foundation Europe und die Befürworter einer Ausweitung gewerblicher Schutzrechte auf "computerimplementierte Erfindungen" wie die Business Software Alliance (BSA) einig.

Die Haupteinwände von Wirtschaftsorganisationen und Branchengrößen wie Sun Microsystems oder British Telecom beziehen sich darauf, dass mit der Richtlinie eigentlich Produktfälschungen und -piraterie bekämpft werden sollen. Bedroht würden durch die schwammigen Klauseln jedoch etwa auch Markenzeichen- und Patentverletzer. Die Kommission habe modernes Raubrittertum und von Firmen begangene Rechtsverstöße in einen Topf geworfen, weswegen etwa Software-Entwickler angesichts der vergleichsweise leichten Gefahr unbeabsichtigter Patentverletzungen in einer Vielzahl unübersichtlicher Codezeilen schon mit einem Bein im Gefängnis stünden. Der FFII fordert die Abgeordneten daher auf, die Richtlinie genauso komplett zu beerdigen wie den Gesetzesvorschlag rund um die Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen".

Es gab aber auch Befürworter der Richtlinie, unter denen sich vor allem die Repräsentantin des Dachverbands der Musikindustrie IFPI, Agatha Pavia, hervortat. Sie forderte weitere Verschärfungen und eine Ausweitung des Geltungskreises vergleichbar zu der im März 2004 verabschiedeten ersten Richtlinie zu zivilrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten für die Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte. Gleichzeitig machte sie sich dafür stark, die Pirateriebekämpfung auch mit Hilfe der umstrittenen Richtlinie zur TK-Vorratsdatenspeicherung zu unterstützen und den Informationsaustausch mit den Providern per Gesetzesvorschrift zu verbessern. Auch der Verlegerverband EPC (Europen Publishers Council) sprach sich für Erweiterungen wie die Anhebung der vorgesehen Haftstrafen auf bis zu zehn Jahre aus. Richtliniengegner fürchten jedoch, dass künftig investigativen Journalisten beim Zitieren aus Geheimdokumenten Urheberrechtsverletzungen vorgeworfen werden könnten und so die Pressefreiheit unterwandert würde.

Massive Bedenken gegen die Intention der Richtlinie kommen vom Brüsseler Dachverband der Verbraucherschützer BEUC. Weil gerade die Musikindustrie seit langem die Schuld an ihren massiven Umsatzeinbrüchen der vergangenen Jahre Filesharern in die Schuhe schiebe, würde diese in jedem Fall Schäden im gewerblichen Ausmaße geltend machen, betonte BEUC-Repräsentantin Cornelia Kutterer gegenüber heise online. "Damit fällt jeder Tauschbörsen-Nutzer unter das Gesetz." Sollte sich die Entertainment-Industrie zudem auch bei der Vorratsdatenspeicherung mit ihrem Wunsch zum Abdecken der "Piraterie" durchsetzen, stünden ihr alle Türen offen, "dass sie in jeden Privathaushalt reinschauen kann".

Die FSFE sieht derweil angesichts der vielen "Graustellen" rund um die geistigen Eigentumsrechte und im Richtlinienentwurf "unnötige Risiken und Kosten" auf die Softwarewirtschaft zukommen. Insbesondere könnte das auf freiwilliger Beteiligung beruhende Entwicklungsmodell für freie Software in Gefahr geraten. FSFE-Sprecher Joachim Jakobs vermisst zudem Regelungen für Fälle in dem Gesetzesvorschlag, "in denen der Rechtehalter Anwendern Schaden zufügt". Diese sollten auf der gleichen Ebene behandelt werden wie die bisher abgedeckten Verstöße. In der kommenden Woche will der Rechtsausschuss nun über das weitere Vorgehen debattieren. Berichterstatter Nicola Zingaretti von der sozialdemokratischen Fraktion kündigte an, in den kommenden Wochen seinen Report vorlegen und das Gesetzgebungsverfahren bis zum Frühjahr 2006 abschließen zu wollen. (Stefan Krempl) / (jk)