Videoüberwachung soll in Berlin deutlich erweitert werden

Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) wollen an U-Bahnhöfen, in Bussen und Straßenbahnen flächendeckend Kameras installieren, bevor ein vom Abgeordnetenhaus genehmigtes Pilotprojekt ausgewertet worden ist.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 272 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.

Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) wollen an U-Bahnhöfen, in Bussen und Straßenbahnen flächendeckend Kameras installieren, noch bevor ein vom Abgeordnetenhaus nach längeren Auseinandersetzungen genehmigtes Pilotprojekt ausgewertet worden ist. Den Planungen der BVG zufolge sollen bis Ende des Jahres alle 170 Haltestellen für die U-Bahn für eine 24-stündige Videoüberwachung ausgerüstet werden. Nach 24 Stunden sollen die verschlüsselt gespeicherten Daten gelöscht werden, falls sie bis dahin von der Polizei nicht zur Aufklärung von Straftaten abgefragt worden sind. Bis 2010 sollen dann alle Busse und Trams entsprechend mit elektronischen Augen ausgerüstet werden. Neu angeschaffte Verkehrsmittel der BVG verfügen bereits über die erforderliche Aufzeichnungstechnik.

Als Hauptursache für das rasche Handeln nennt ein BVG-Sprecher, dass im Rahmen des seit April laufenden Modellversuchs auf den U-Bahnlinien 2, 6 und 8 bereits ein spürbarer Rückgang insbesondere der Schäden durch Vandalismus zu verzeichnen sei. Für die Beseitigung von Sachbeschädigungen muss das Unternehmen jährlich rund 5,3 Millionen Euro aufbringen. Der öffentliche Druck und die Zustimmung des Berliner Innensenators Ehrhart Körting (SPD) hätten die Vorstandsentscheidung erleichtert, heißt es bei der BVG laut Berliner Medienberichten weiter. Der Berliner SPD-Rechtsexperte Thomas Kleineidam verwies zudem auf eine Vereinbarung im rot-roten Koalitionsvertrag, worin eine Ausdehnung der Videoüberwachung vorgesehen sei.

Das Vorhaben stößt bei Datenschützern und im Berliner Parlament aber auch auf Proteste. "Nicht jeder Fahrgast ist ein potenzieller Straftäter", hält der Datenschutz-Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus der BVG entgegen. Der Verkehrsbetrieb dürfe keine Tatsachen schaffen, bevor das noch bis Ende März laufende Pilotprojekt ausgewertet und parlamentarisch beraten worden sei. Die Ergebnisse müssten zeigen, dass es ein konkretes Bedürfnis für die Aufzeichnung gebe. Schließlich handele es sich bei U-Bahnhöfen um öffentliche Räume. Videoüberwachung allein schaffe auch keine Sicherheit, wenn im gleichem Zug das Service- und Sicherheitspersonal auf den Bahnhöfen abgebaut werde.

Der Innenexperte der Berliner FDP, Björn Jotzo, forderte ebenfalls mehr Personal auf Bahnhöfen und in Zügen und nannte die BVG-Pläne "eigenmächtig". Auch der Rechtsexpertin der mitregierenden Linkspartei, Marion Seelig, geht der Fahrplan beim Überwachungsausbau zu schnell. Sie will die Verkehrsgesellschaft im Ausschuss für Datenschutzfragen des Abgeordnetenhauses befragen, wieso das Ergebnis der wissenschaftlichen Begleitung durch die Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege nicht abgewartet wurde. Der an der FH tätige Rechtsprofessor Martin Kutscha hatte zuvor gegenüber dem Berliner Tagesspiegel den Nutzen der Videoüberwachung als "unsicher" bezeichnet. Eine Untersuchung im Auftrag des Londoner Innenministeriums habe ergeben, dass gerade "Affektstraftaten" wie Prügeleien durch die in Großbritannien sehr weitgehende Erfassung des öffentlichen Lebens durch Kameras kaum verhindert würden und sich andere Kriminalität oft in nicht überwachte Bereiche verlagere.

Aus dem Büro des Berliner Datenschutzbeauftragten war bislang nur zu vernehmen, dass der BVG-Beschluss "absprachewidrig" und das Unternehmen für die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Vorschriften verantwortlich sei. Der Grünen-Abgeordnete Lux hofft auf eine darüber hinausgehende offizielle Beanstandung des "überhasteten" Vorhabens durch die Aufsichtsbehörde. Unabhängig davon könnten Fahrgäste eine Unterlassungsklage gegen die BVG einreichen.

Die allgemeine Debatte über die Videoüberwachung hat hierzulande gerade der Fall des entführten und ermordeten neunjährigen Mitja aus Leipzig erneut angestachelt. Ein Fahndungsfoto zeigt den mutmaßlichen Täter, wie er neben dem Jungen in einer Leipziger Straßenbahn sitzt und daraufhin identifiziert werden konnte. Gefasst hat die Polizei den Verdächtigen aber noch nicht. Das Gewaltverbrechen selbst konnte mit Hilfe der Kameras auch nicht verhindert werden. Nach Auskunft der Hamburger Hochbahn, die seit Ende 2004 alle U-Bahnen und Stationen überwacht, sind dort Schäden durch Sachbeschädigungen um 50 Prozent gesunken. Dabei geholfen habe aber ein Gesamtkonzept mit Notrufsäulen und Stichprobenkontrollen durch Personal. (Stefan Krempl) / (jk)