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Was war. Was wird.

Und wenn alle Urheberrechtsdebatten mal wieder ohne jedes Ergebnis im Sande verlaufen, bleibt uns die Rückkehr zur Kunst, hofft Hal Faber. Zur Kunst? Dichtkunst gar? Was immer das auch sein mag. Wenden wir uns lieber von den Dichtern ab und den Hasen zu.

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Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ostern ist das Fest der altgermanischen Gottheit Ostara, die in einem harten Winter arme Wandervögelchen dadurch rettete, dass sie die verpeilten Piepser in Hasen verwandelte. Sie überlebten, hoppelten herum und legten Eier. Für Christen ist Ostern etwas komplizierter, man denke nur an Petrus, der einfach fischen gehen will. Vergessen wir nicht die Buddhisten, bei denen Siddhartha Gautama heute Geburtstag hat, und die Juden mit dem Pessach-Fest der Befreiung aus ägyptischer Knechtschaft. Dass ihnen ein älterer deutscher Zausel das Fest nicht gönnt, ist bedauerlich. Dass Redaktionen sein "Gedicht" abdrucken, ist natürlich ein Versehen: Wäre es ein Artikel gewesen, hätte es einen Faktencheck gegeben, den das Geschriebene nicht überstanden hätte. So aber soll es ein großer Tag für die deutsche Literatur gewesen sein. Er "hat es auf sich genommen, diesen Satz für uns alle auszusprechen": Schaut her, der nächste, ziemlich deutsche Erlöser ist da, nur die passende Religion fehlt irgendwie noch.

*** Seit dem Leben des Brian wissen wir, wie schnell es passieren kann, dass jemand aus Versehen ans Kreuz genagelt wird. Da hängt er dann und mögen noch so viele religiöse Befreiungsfronten kommen, es wird nicht besser. Ein letztes Pfeifen und dann? Statt großer Götter Gaben möchten wir uns Ostern vielleicht an einem Friedenshasen erfreuen, der in manchen Gegenden auch als Symbol für Freiheit, Liebe und Freundschaft angebetet wird. Außerdem ist der Hase ad calendas graecas ein Rammler vor dem Herren und damit ein echter Urheberhase, der verehrenswerte Gott des Kreatianismus. Dieser einst in biblischen Zeiten gefasste Lehrsatz von der Entstehung der Seele im Moment der Geburt ist längst säkulaisiert worden und bildet das Dogma der "Kreativen", jener Spezies von Content-Verwertern, die jeden Unsinn damit verteidigen, dass er in ihrem Kopf entstand. Ein Beispiel aus der Kampagne für die geistige Abtreibung von Ideen gefällig? "Ohne den Schutz geistigen Eigentums gäbe es wahrscheinlich weder Computer noch Internet, aber das scheint bei den Piraten keinen zu interessieren." Jim Hagemann-Snabe ist als Vorstandssprecher der SAP bei der Handelsblatt-Aktion dabei. Er müsste es besser wissen. Man denke nur daran, wie Gary Kildall bei seiner Arbeit am Intel 8008 auf die Idee einer Abstraktionsebene kam, die als BIOS den Erfolg des 8080 begründete, man denke an die Großrechner davor, die im Schutz militärischer Interessen entstanden. Und wie war das noch mit den IBM-Managern, die, geschult durch die Arbeit im Konzern, als erste die Arbeit ihres Kollegen Edgar Codd verstanden und SAP gründeten? ([Update: Das Zitat über den Schutz geistigen Eigentums als Voraussetzung der Computer- und Internetentwicklung stammt nicht von SAP-Sprecher Jim Hagemann-Snabe, sondern von dem Autor Andreas Föhr.])

*** Robert K. Merton und das Geburtstagskind Vroniplag haben hinlänglich bewiesen, dass auf den Schultern von Riesen Hasen wie Häsinnen eine imposante Figur machen. Bleibt die Frage, was Piraten damit zu tun haben. Wer die Geschichte des Urheberrechtes kennt, weiß von den Privilegien Albrecht Dürers, mit denen der Begriff des Schöpfers und Autors im Abendland auftaucht. Weniger bekannt ist jedoch, dass Dürer nicht als Urheber und Produzent seiner Kunst, sondern als Verleger seines "Marienlebens" das Privileg benutzte, um Raubdrucke zu unterbinden. Die neue Technik des Buchdruckes will genutzt, aber auch kontrolliert werden:

"Wehe dir, Betrüger und Dieb von fremder Arbeitsleistung und Einfällen, laß es dir nicht einfallen, deine dreisten Hände an diese Werke anzulegen! Denn lass dir sagen, dass uns das Privileg durch den ruhmreichsten Kaiser des heiligen römischen Reichs, Maximilian, erteilt ist, dass niemand in Nachschnitten diese Bilder drucken oder gedruckt innerhalb des Reichsgebiet verkaufen darf. Solltest du aber in Missachtung oder aus verbrecherischer Habgier zuwiderhandeln, sei versichert, dass du nach Konfiskation deines Besitzes mit der schärfsten Strafe rechnen musst."

Dürers Anrufung staatlicher Macht ist das Grundprinzip jedweder Urheberrechthaberei. Die großartig aufgerufene Kampagne "Mein Kopf gehört mir" ist der Hilferuf von Verwertern, die mit den neue Verwertungsformen ihre Probleme haben. Da kommen die Piraten als neue Partei wie gerufen, wenn sie in ihrem Parteiprogramm geschwurbelte Sätze speichern, die in "erheblichem Maße" all die reizen, die sich im Allgemein viel darauf einbilden, einen eigenen Kopf zu haben. Für sie liest sich diese Passage wie ein Aufruf zur Hasenjagd:

"Im Allgemeinen wird für die Schaffung eines Werkes in erheblichem Maße auf den öffentlichen Schatz an Schöpfungen zurückgegriffen. Die Rückführung von Werken in den öffentlichen Raum ist daher nicht nur berechtigt, sondern im Sinne der Nachhaltigkeit der menschlichen Schöpfungsfähigkeiten von essentieller Wichtigkeit."

*** Wie es der alte Spaßmacher Zufall will, ist heute nicht nur Ostern, sondern auch der Tag, an dem der US-amerikanische Kongress vor 77 Jahren dem Emergency Relief Appropriation Act zustimmte, der Arbeitsbeschaffungsmaßnahme von Präsident Roosevelt im Zeichen der Großen Depression. 8,5 Millionen Arbeitsplätze wurden von der Works Progress Administration geschaffen, 1,4 Millionen Projekte realisiert, vom Staudamm bis zum Feuerwehrhaus. Kaum bekannt sind dabei die Projekte, die als Federal Arts Project, Federal Writers Project und Federal Theater Project in die Geschichte eingingen. Zahllose Künstler produzierten große Werke dank einem Grundeinkommen, finanziert vom Staat – und von Firmen wie IBM, die das New Deal Network unterstützte. Steinbecks "Früchte des Zorns" waren prompt Produkte staatlich gelenkter kommunistischer Propaganda.

*** Was sagt eigentlich der öffentliche Raum dazu, was die Piraten wollen? Ist es nicht diese schlimme Umsonstkultur, die selbst beim kleinen Verlag in der norddeutschen Tiefebene um sich gegriffen hat, wo seine "seine in jeder Hinsicht allwissenden und immer und zu (beinahe) jedem Thema 'Bescheid wissenden' Forennutzer" den Strom alltäglicher Nachrichten unterfüttern? Müssen sie, die als Urheber manch merkwürdiger Gedanken ebenso als überaus nützliche Newstrüffelschweine ebenfalls in die Geschichte eingehen mögen, nicht eigentlich auch entlohnt werden? Am Ende steht ein Heberrecht für alle, die auf die Schultern von Giganten streben.

*** Und wenn dann alle Urheberrechtsdebatten wieder mal zu nichts geführt haben, wenden wir uns wieder der Kunst zu. Der Kunst? Die mag im Auge des Betrachters liegen, wie sie zu ihm kommt dagegen, dafür gibt es ja Dienstleister. Auch wenn Jim Marshall nun, ziemlich genau 50 Jahre nach der Vorstellung seines ersten Amps, auch schon tot ist. Diese Dienstleister aber dürfen sich mittlerweile auch in Deutschland ausbreiten, so diskutiert man dann etwa heftig, wer denn der vielen auf den ersten Blick sehr ähnlichen Musikstreamingdienste den geneigten Beobachter am geeignetsten erscheinen mag. Seltsame Verhaltensweisen stellte ich in der letzten Zeit an mir selbst fest: Es gibt wieder so etwas wie einen "Buch, das man auf eine einsame Insel mittnimmt"-Effekt. Diesmal eher musikalisch: Welche Musik packe ich auf mein Smartphone (MP3-Player? Ach, das ist doch sowas von 2000er[...]), was will ich unbedingt dabei haben, wenn mal für den Musikstreamingdienst so gar kein Netz zur Verfügung steht? Eine Frage an die Leser, es ist Zeit für die ultimative "Welche Musik die Heise-Foristen aufs Smartphone packen, um in nicht vernetzten Gegenden der Welt musikalisch versorgt zu bleiben"-Liste. Darf ich anfangen? Ach, was frag ich, ich mach's einfach. Das hat sich in den letzten Monaten und Jahren auf meinen Smartphone dauerhaft etabliert:

  1. Miles Davis, Kind of Blue
  2. John Coltrane, A Love Supreme
  3. Charlie Haden's Liberation Music Orchestra, Ballad of the Fallen
  4. The Vandermark 5, Airports for Light
  5. Avishai Cohen, Gently Disturbed
  6. John Zorn, Bar Kokhba
  7. Michael Wollny, Eva Kruse, Eric Schaefer, [ em ] live
  8. Esbjörn Svensson Trio, e.s.t. live in Hamburg
  9. Luigi Nono, Al gran sole carico d'amore
  10. Fehlfarben, Monarchie und Alltag

So kanns dann Ostern werden. Mit Netz oder ohne. Ohne Netz? Ach, lieber doch nicht, bei aller gesicherten musikalischen Grundversorgung (und brav den Obolus zur Grund- oder Besser-Versorgung all der geliebten Künstler entrichtend).

Was wird.

Während der chinesische Künstler seine Webcams ausschalten muss, die er als Protest gegen seinen Hausarrest installiert hatte, freut sich der freie Westen über Google Glass, die nächste Stufe allseitiger Überwachung. Big Brother schaut dich nicht an, er guckt mit dir und findet sich dabei ganz lieb. Vergessen ist die peinliche Situation, das Smartphone nicht schnell genug in Anschlag bringen zu können, wenn mann Zeuge eines österlichen Anasyrma-Rituals wird. Google speichert alles mit, was Hasenköpfe interessiert.

Ja, Big Brother hat seit vielen Jahren ein Bürgerteufelchen, das ihn verfolgt und besonders peinliche Aktionen anprangert. An einem Freitag, dem 13. ist es in Bielefeld wieder einmal soweit mit der alljährlichen Leistungsschau der Taten von "Datenkraken", die in der Hechelei präsentiert wird. Ausrichter ist der FoeBuD, ausgeschrieben "Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e. V." Zunehmend wird dieser FoeBuD offenbar mit Vöbook verwechselt, einer börsentauglichen Speicherstelle für öffentliche Bewegsamkeit. Dies hat zur Folge, dass der FoeBud einen neuen Namen sucht. Als VeFoe ist er sicher nicht illtümlich zu velwechsern.

Ob Eier, Hasen, Kreuze oder ungesäuertes Brot zu Ihrem Ritual gehören, ob Sie mit digitalen oder analogen Computern beschäftigt sind, das Tanzbein schwingen oder sich an einem dieser Traditionsfeuer bestänkern lassen und beschwippsen, es ist egal. Die Verlagsenten wünschen frohe Festtage. (jk)