Die Woche: Chrome OS ist auch nur ein Linux

Der neue Desktop, den Google seinem Chrome OS spendiert hat, wird dem System auch nicht zum Durchbruch verhelfen – im Gegenteil.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Dr. Oliver Diedrich

Als Google Ende 2009 sein Chrome OS vorstellte, dachten viele, das Linux-basierte Netbook-Betriebssystem könnte den PC-Markt ähnlich aufmischen, wie es Android mit der Smartphone-Welt gemacht hat. Auch wenn der Witz "Nächstes Jahr kommt der Durchbruch von Linux auf dem Desktop" schon bei der ersten Ankündigung von Chrome OS einen mächtig langen Bart hatte, war in erstaunlich vielen Kommentaren von einer Konkurrenz, sogar von einer Bedrohung für Windows die Rede.

Chrome OS – jetzt mit Fenstern!

Tatsächlich brachte Chrome OS auf einem Standard-Linux-Unterbau ein neues Bedienkonzept: An die Stelle des traditionellen Desktops trat bildschirmfüllend der (damals ebenfalls noch recht neue) Google-Browser Chrome. Lokale Anwendungen waren nicht vorgesehen, Programme sollten als Web-Apps in einer eigenen Sandbox laufen und ihre Daten zeitgemäß in der Cloud speichern. Dinge wie ein lokaler Dateimanager, ein Startmenü oder Tools zur Systemkonfiguration gab es nicht: Der Anwender, so die Idee, interagiert ausschließlich mit dem Chrome-Browser.

Das traf die Arbeitsweise vieler Anwender, die vom Mailen bis zum Banking sowieso alles im Browser erledigen. Warum sollte man diese User mit einer Systemsteuerung und Programmen behelligen, die sie gar nicht benutzen wollen? Der wartungsfreie, dedizierte Surf-Rechner, der dank spezieller Firmware blitzschnell bootet, mit Sicherheitsmechanismen gegen Viren ausgestattet ist und sich durch Web-Apps erweitern lässt, schien ein Modell für den PC der Zukunft zu sein.

Dann präsentierte Apple im Januar 2010 seine Vision eines Internet-Computers: das iPad. Das Interesse an Netbooks ließ schlagartig nach, und die ersten Chromebooks rissen ein gutes Jahr später niemanden mehr vom Hocker: Android- und iOS-Tablets hatten sich längst als die unkomplizierten Internet-Rechner etabliert, die die Chromebooks sein wollten.

Aber Google hat Chrome OS offenbar noch nicht aufgegeben: Jetzt hat das Betriebssystem einen Desktop bekommen, einen Programm-Launcher und die Fähigkeit, mehrere Anwendungen nebeneinander im Fenstern darzustellen. Und um ehrlich zu sein: Ich bin nicht beeindruckt.

Das, was Google da an "Desktop Experience" auf die Beine gestellt hat, ist nicht viel mehr als eine optisch aufgehübschte Variante der Fenstermanager, die langjährige Linux-Anwender aus dem letzten Jahrtausend kennen. Aura, so der Name des Desktops, macht Chrome OS weder benutzbarer noch attraktiver. Es macht nur deutlich: Chrome OS ist halt auch nur eine Linux-Distribution – und von denen gibt es schon mehr als genug. Mit deutlich attraktiveren Bedienoberflächen, übrigens. Und der Chrome-Browser läuft auch auf allen. Ich sehe jedenfalls keinen Grund, von meinem (derzeit) Ubuntu mit (derzeit) Unity auf Chrome OS zu wechseln. Windows-, Mac-OS-, Android- und iOS-Anwendern dürfte es nicht anders gehen.

So wird Google Linux sicher nicht zum Durchbruch auf dem Desktop verhelfen. (odi) (odi)