IT-Verband hält Entwurf für Brandenburgisches Polizeigesetz für verfassungswidrig

Die Branchenvereinigung Bitkom kritisiert Pläne des brandenburgischen Innenministeriums zur Ausweitung der Telekommunikationsüberwachung mit Präventivbefugnissen.

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Die Branchenvereinigung Bitkom sieht Pläne des brandenburgischen Innenministeriums zur Ausweitung der Telekommunikationsüberwachung mit neuen umfassenden Befugnissen für Strafverfolger als verfassungswidrig an. Dies geht aus einer Stellungnahme des IT-Verbands zum Entwurf für die vierte Novelle des Brandenburgischen Polizeigesetzes hervor. Mit dem Reformvorstoß soll es Strafverfolgern gestattet werden, "personenbezogene Daten durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel zur Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation" zu erheben.

Voraussetzung soll sein, dass der Lauschangriff "zur Abwehr einer dringenden Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit einer Person oder einer gemeinen Gefahr erforderlich ist". Entsprechende Vollmachten zur vorbeugenden Deliktbekämpfung sollen ferner genutzt werden können, wenn "tatsächliche Anhaltspunkte" für die Planung einer "Straftat von erheblicher Bedeutung" vorliegen. Zudem müssen "bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen", dass durch die Bespitzelung Erkenntnisse erlangt werden, "die für die Gefahrenabwehr von Bedeutung sind". Unter den gleichen Bedingungen soll die Polizei auch bis zu zwei Wochen lang technische Mittel einsetzen dürfen, um spezifische Kennungen wie Geräte- und Kartennummer von Mobilfunkendgeräten oder den Standort eines Handys zu ermitteln. Darüber hinaus würde es Polizisten gestattet, zunächst bis zu drei Tage lang "Telekommunikationsverbindungen zu unterbrechen oder zu verhindern".

Das Bundesverfassungsgericht hat in den vergangenen Jahren mit richtungsweisenden Urteilen zum Großen Lauschangriff sowie zur vorbeugenden Telefonüberwachung im niedersächsischen Polizeigesetz der Legislative deutliche Grenzen bei der Ausdehnung von Ermittlungsbefugnissen auch im Anti-Terrorkampf gesetzt. Das brandenburgische Innenministerium hat daher eine gesonderte Schutzklausel in den Entwurf eingefügt. "Wird erkennbar, dass in den Kernbereich privater Lebensgestaltung oder in ein durch ein Berufsgeheimnis der Strafprozessordnung geschütztes Vertrauensverhältnis eingegriffen wird, ist die Datenerhebung zu unterbrechen", heißt es in dem Papier.

Der Bitkom geht trotzdem nicht davon aus, dass der Entwurf den "Bestimmtheits- und Verhältnismäßigkeitsanforderungen" des Bundesverfassungsgerichts entspricht. Ihrer Ansicht nach muss sich der Gesetzgeber bemühen, beim Erteilen einer Befugnis zum präventiven Abhören die Vorbereitungshandlungen für jede in Betracht gezogene Straftat klar zu umschreiben. Andernfalls laufe er Gefahr, "gewarnt und sehenden Auges eine eigene verfassungsrechtliche Niederlage zu erleiden". Besonders die in der Begründung vorgesehene Ausdehnung der Befugnisse auf alle Straftaten, die den Bereich der "mittleren Kriminalität überschreiten", dürfte weit über den Schutz nur "besonders hochrangiger" Rechtsgüter hinausgehen.

Die vorgeschlagene Befugnis, Kommunikationsverbindungen zu unterbrechen oder zu verhindern, erscheint dem Bitkom überdies als ein "nicht ausreichend durchdachtes, jedenfalls aber zu unbestimmtes Novum". Eine Störung der Telekommunikation könne ihrerseits unkalkulierbare Gefahren hervorrufen, hält der Lobby-Verband dagegen. Es bleibe offen, wie eine Unterbrechung der Kommunikation etwa im Fall einer Geiselnahme zu rechfertigen sei, wenn sie gleichzeitig die Möglichkeit für einen lebensrettenden Notruf nehme. Die in der Gesetzesbegründung erwähnte ferngesteuerte Zündung von Sprengstoffen mit einem Mobiltelefon könne ferner auch ausgelöst werden, indem eine bestehende Funkversorgung plötzlich abbreche.

Der Entwurf suggeriere außerdem zu Unrecht, dass eine Verhinderung oder Unterbrechung von Telekommunikationsverbindungen beim Anschlag von Madrid hilfreich gewesen wäre. Es sei inzwischen aber allgemein bekannt, dass dabei ausschließlich die Weckfunktionen von Mobiltelefonen zur Aktivierung der Bomben genutzt wurden. Der Einsatz von "Jammern" zur Störung des Funkverkehrs würde letztlich auch zu erheblichen Störungen mit eventuellen Haftungsfolgen der Netzbetreiber sowie zu einem schweren Eingriff in die Erwerbstätigkeit der Anbieter führen.

Dem Verband stößt weiter sauer auf, dass der Entwurf erstmalig die ausdrückliche Ermächtigung auch eines "einfachen" Polizisten erhalte, Auskunft über grundgesetzlich geschützte Daten zu verlangen. Hierfür sehe der Entwurf nicht einmal Gefahr im Verzug vor. Generell fürchtet der Verband eine weitere Aushöhlung des grundrechtlich geschützten Fernmeldegeheimnisses und damit des Vertrauens der Nutzer in die Verlässlichkeit elektronischer Kommunikationsmittel. Darüber hinaus würden den Unternehmen die erheblichen Kosten für die geplanten Mitwirkungspflichten aufgebürdet, denn bis heute fehle eine adäquate Entschädigungsregelung für die Inanspruchnahme privater Firmen für rein staatliche Zwecke. (Stefan Krempl) / (anw)