Conservapedia: christlich-konservative Alternative zu Wikipedia

Weil Wikipedia zu liberal und antiamerikanisch sei, wollen christliche Fundamentalisten ihre Wahrheiten auf einer eigenen Online-Enzyklopädie verbreiten.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Florian Rötzer

Die Online-Enzyklopädie Wikipedia, die gemeinsam von Nutzern erstellt wird, hat – bei aller Kritik an Methoden und Ergebnissen – einen enormen Erfolg erzielt und ist für viele zum unentbehrlichen, weil leicht verfügbaren Nachschlagewerk geworden. Konservative US-Amerikaner finden allerdings, dass Wikipedia allgemein zu liberal oder gar zu linkslastig, vor allem aber antichristlich und antiamerikanisch sei. Sie haben deswegen bereits im November 2006 das Alternativprojekt Conservapedia gegründet. Seit wenigen Tagen nun leidet der konservativ-christliche Gegenentwurf zur Wikipedia unter äußerst schlechter Erreichbarkeit der Server und Vandalismus durch Internet-Nutzer, die Conservapedia-Artikel verunstalten und parodieren.

Initiiert wurde das Projekt wohl von dem Juristen Andy Schlafly, der auch die Eagle Forum University betreibt, auf der Online-Kurse auf der Grundlage von Conservapedia angeboten werden, beispielsweise über die amerikanische Geschichte. Die "University" ist dem von Andy Schlaflys Mutter gegründeten Eagle Forum angegliedert. Phyllis Schlafly hat stets gegen den Feminismus und für die konservative Familie sowie die christlichen Werte gekämpft. "Most Wanted" bei Conservapedia ist die Liste mit Beispielen für Einseitigkeiten bei Wikipedia. Hier wird etwa moniert, dass gerne die "ausländische" Schreibweise von Begriffen (statt "Most Favored Nation" wird "Most Favoured Nation" verwendet) bevorzugt werde, obwohl doch die meisten englischsprachigen Menschen Amerikaner seien. Moniert wird, dass Einträge in Wikipedia aus christlich-konservativer Sicht schnell wieder gelöscht würden und auch "Fakten" gegen die Evolutionstheorie "zensiert" würden, obgleich doch die Mehrzahl der US-Amerikaner die Evolutionstheorie ablehnten. Daher findet man unter dem Begriff Evolutionstheorie die Ansicht, dass es keinen Beweis für die "Makroevolution" gebe und die "Fossilgeschichte" die Evolutionstheorie widerlege. Der Artikel zur Abtreibung lese sich wie eine Werbung für die "Abtreibungsindustrie". Unmöglich findet man, dass in Wikipedia statt AD (Anno Domini) als Alternative auch CE (Common Era) zugelassen wird. Überhaupt sei Wikipedia "6-mal liberaler" als die amerikanische Bevölkerung, während man sich bei Conservapedia rühmt, frei von "political correctness" zu sein.

Auf "liberalen" Blogs macht man sich hingegen gerne lustig über manche der Conservapedia-Artikel, etwa über den zum Thema Atheismus: "Da Atheisten keinen Gott haben, stellt Atheismus als philosophischen Rahmen einfach kein logisches Fundament für irgendeinen moralischen Maßstab bereit. Sie führen ihr Leben nach der Regel 'anything goes'. In den letzten Jahren hat dies zu einer Zunahme an Verbrechen, Drogenkonsum, vorehelichem Sex, Schwangerschaften bei Teenagern, Pädophilie und Sodomie geführt."

Ganz sachlich und objektiv werden auch die Demokraten dargestellt: "Der demokratische Wahlerfolg offenbart ein wahrhaftes Programm des Zurückweichens vor dem Terrorismus, des verräterischen Antiamerikanismus und der Verachtung für die Gründungsprinzipien Amerikas." Die Kängurus stammen von Vorfahren von der Arche Noah ab, aber es gibt auch anderes Erstaunliches zu berichten: "Wussten Sie, dass Glauben ein einzigartiger christlicher Begriff ist?" In anderen Religionen soll es ihn nicht geben. Im Hinblick auf die Klimaerwärmung heißt es bei den christlich Konservativen, dass diese Theorie meist von Wissenschaftlern vertreten werde, die für ihre Forschung Gelder benötigen. Natürlich handelt es sich zudem meist um "liberale Atheisten", die den Unsinn glauben, "dass die Menschen den Planeten zerstören können, der ihnen von Gott geschenkt wurde".

Gegenwärtig ist Conservapedia nicht zu erreichen. Möglicherweise war der Erfolg beziehungsweise die Nachfrage bei den Neugierigen zu groß. Offenbar haben Internetnutzer die christlich-fundamentalistische Online-Enzyklopädie heimgesucht und Beiträge verunstaltet oder parodiert. Schlafly findet das nicht so problematisch. Man habe die Veränderungen rückgängig gemacht, den Zugriff zu einige IP-Adressen gesperrt und sich ansonsten über die vermehrte Aufmerksamkeit gefreut. (fr)