Berliner Bezirksverwaltung testet OpenOffice

In Tempelhof-Schöneberg sollen Verwaltungsmitarbeiter die Alternativen Microsoft Office 2007 und OpenOffice in einem Pilotprojekt auf Herz und Nieren prüfen, während der Senat an seiner IT-Strategie feilt.

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Im Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg sollen ein gutes Dutzend Verwaltungsmitarbeiter anderthalb Monate lang die Alternativen Microsoft Office 2007 und OpenOffice in einem Pilotprojekt auf Herz und Nieren prüfen. "Wir haben grünes Licht bekommen", freut sich Gunnar Stöcker, Leiter der Berliner Geschäftsstelle zur Koordinierung und Beratung bezirklicher IT-Verfahren (KoBIT). Nach langen Verzögerungen habe er alle Unterschriften für den Modellversuch zusammen, darunter die von Bezirksbürgermeister Ekkehard Band (SPD). Auch die Finanzierung sei geklärt. Über den genauen Starttermin werde am kommenden Montag entschieden.

Der Test ist das erste große Pilotprojekt im Rahmen der vom Berliner Abgeordnetenhaus im Dezember 2005 beschlossenen langfristigen Migration auf Linux. Der Hauptausschuss des Landesparlamentes hatte damals vom Senat einstimmig die Vorlage eines Fahrplans zur Umrüstung auf freie Software verlangt. Es sollte zunächst um die Umstellung der Server und in einem späteren Schritt auch um die Umrüstung der rund 58.000 in der Hauptverwaltung benutzten Arbeitsplatzcomputer auf alternative Betriebssysteme sowie Desktop- und Anwendungssoftware aus dem Open-Source-Bereich gehen. Rund 20.500 Rechner davon sind in den Bezirksverwaltungen im Einsatz. Weiter pochen die Abgeordneten darauf, dass bei der Beschaffung von Software strikt auf die Einhaltung offener Standards und bei neuer Hardware auf die Eignung für die Verwendung freier Software "ohne Einschränkungen" geachtet wird.

Die Umsetzung des Parlamentsbeschlusses ist aber ins Stocken geraten. Die Senatsverwaltung erklärte den Beschluss des Abgeordnetenhauses mit deutlicher Verspätung zu der geforderten Zeitplanerstellung im vergangenen Jahr für in all seinen Konsequenzen "nicht umsetzbar". Die angemahnte Migration auf freie Software erscheine "als nicht marktkonforme, technologisch und insbesondere wirtschaftlich nicht vertretbare Maßnahme". Der Abschlussbericht des auf Bezirksebene zuvor durchgeführten "Open4Future"-Projekts brachte den Senat nicht von seiner Meinung ab. Die Analyse hatte zum Ziel, das in einer früheren Machbarkeitsstudie empfohlene Szenario einer gemischten Open-Source-Umgebung "unter Einsatz der Terminalserver-Technologie" in Tempelhof-Schöneberg auszuloten. Dabei konnte die technische Umsetzbarkeit einer Lösung mit freier Software, Microsoft-, und Novell-Produkten nachgewiesen werden. Auch die vorhandene "veraltete" Hardwareausstattung war weiter nutzbar.

Stöcker beklagt seit Längerem, dass der Senat der KoBIT bei der weiteren Umsetzung des Projekts Steine in den Weg lege. In einem Parallelbetrieb mit der vorhandenen Technik wollte die Einrichtung ursprünglich noch 2006 genaue Wirtschaftlichkeitszahlen vorlegen. Weder Verantwortliche in dem ausgesuchten Bezirk noch in der Finanzverwaltung hätten die Tester aber ans Werk gelassen, da Anwendungen teilweise nur für einen Windows-Client freigegeben seien. Er spricht von einem "Tippel-Tappel-Weg" in Richtung einer größeren Akzeptanz offener Standards, da sich in Berlin neben dem Senat und dem Abgeordnetenhaus anders als etwa in München auch noch zwölf Bezirke zusammenraufen müssten.

Als umso wichtiger erachtet es Stöcker, dass die KoBIT kurz vor seinem Ausscheiden in den Vorruhestand die Vergleichsstudie auf den Weg gebracht hat. Dabei sollen Erfahrungen der jeweiligen Nutzer der beiden Alternativen für Bürosoftware genau dokumentiert werden. Leitlinien des Projekts sind die Kostenminimierung, die Herstellerunabhängigkeit und die Plattformneutralität beim Einsatz neuer Office-Lösungen. Zudem soll auf die strikte Einhaltung offener Standards geachtet werden. Bedeutsam ist der Test laut der heise online vorliegenden Projektskizze, da der überwiegende Anteil der Arbeitsplatzrechner in der Berliner Verwaltung noch Windows NT 4.0 als Betriebssystem und Microsoft Office 97 für die Bürokommunikation nutze und damit Aktualisierungen aufgrund mannigfaltiger technischer und prozessualer Anforderungen unvermeidbar seien.

Der Modellversuch wird in der Gesundheitsverwaltung von Tempelhof-Schöneberg stattfinden, wo es laut Stöcker "eine Reihe anspruchsvoller Verfahren gibt". Es solle nicht darum gehen, "Micky-Mouse-Lösungen" mit drei Fenstern und einer Ausgabemaske zu untersuchen. Der IT-Experte bringt seine Grundhaltung auf den Nenner, der Verwaltung mehr Unabhängigkeit von beherrschenden Anbietern und Herstellern zu verschaffen. Freie Software ist für ihn dabei "nicht nur ein IT-Phänomen, sondern hat einen hohen gesellschaftlichen Anspruch. Wir kommen weiter, wenn wir Dinge offen legen, jeder zur Verbesserung beitragen kann und die Entwicklungen für alle zur Verfügung gestellt werden."

Der Berliner IT-Staatssekretär Ulrich Freise wartete derweil am Donnerstag im Innenausschuss des Rats der Bürgermeister mit einem neuen, sich noch in der Abstimmung befindlichen Erläuterungspapier zur Berliner IT-Strategie auf. Weg vom Flickenteppich soll demnach die Devise lauten und gleichsam alles erlaubt werden, solange es unter dem Wirtschaftlichkeitsaspekt Sinn mache. Darüber hinausgehende Aspekte wie der Abschied von vorgegebenen Update-Zyklen einzelner Softwaregrößen sollen keine Rolle spielen. Wie die geplante Ausrichtung mit dem Parlamentsbeschluss zur IT-Strategie in Einklang zu bringen ist, verriet Freise bislang nicht. (Stefan Krempl) / (vbr)