Falscher Professor muss Wikipedia verlassen

In seiner Tätigkeit bei Wikipedia fungierte der Autor "EssJay" als Administrator, konnte aber auch in Streitfällen die IP-Adresse eines Nutzers ermitteln und andere User zu Administratoren ernennen; Anfang dieses Jahres wurde er zum "Arbitrator" ernannt.

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Von
  • Torsten Kleinz

Dass man im Internet nie ganz sicher sein kann, mit wem man nun kommuniziert, ist eine Binsenweisheit. Ein Fall von falscher Identität wurde jetzt einem hochrangigen Mitglied der Wikipedia-Gemeinde zum Verhängnis: Der 24-jährige Ryan Jordan musste nun seine Mitarbeit bei der freien Online-Enzyklopädie Wikipedia und bei dem kommerziellen Wiki-Provider Wikia einstellen, da er sich fälschlich als Professor ausgegeben hatte.

In seiner Tätigkeit bei Wikipedia war der Autor mit dem Pseudonym EssJay besonders produktiv. Er fungierte als Administrator, hatte aber auch besondere Privilegien: So konnte er in Streitfällen die IP-Adresse eines Nutzers ermitteln und andere User zu Administratoren ernennen. Anfang dieses Jahres wurde er sogar zum "Arbitrator" ernannt, einer Art Schiedsmann, der in Streitfällen unter Wikipedianern vermittelt und auch Strafen für ungebührliches Verhalten verhängt.

Angesichts dieser Reputation innerhalb der Wikipedia-Gemeinde wurde EssJay von Wikimedia auch als Quelle für einen Beitrag im US-Magazin The New Yorker als Recherchequelle vermittelt. In dem Artikel, der im Juli 2006 erschienen war, hatten die Journalisten die Angaben von der Nutzerseite übernommen. Dort hatte sich Jordan als Theologie-Professor an einer Privatuniversität ausgegeben. Eine Lüge: Jordan hatte das Fach zwar studiert, war aber nie zum Professor berufen worden. In einem seiner letzten Kommentare auf seiner Userseite schreibt EssJay: "Ich dachte, es sei bekannt, dass ich nicht der bin, der ich zu sein vorgab – und ich glaubte, dass kein respektables Medium das ohne Bestätigung abdrucken würde." Allerdings gab Jordan dem Magazin auch kaum Chancen zu einer Überprüfung, da er selbst während des Gesprächs seinen Namen verheimlichte und auch die Nachfrage nach seiner Adresse abwies. Die falschen Angaben begründet Jordan lediglich damit, dass er sich "schützen" wollte.

Zum Verhängnis wurde Jordan eine Bewerbung bei der Firma des Wikipedia-Gründers Jimmy Wales. Dort hatte er einen völlig anderen Lebenslauf eingereicht, um sich um die Stelle eines bezahlten Community-Managers zu bewerben. Nachdem einigen Wikipedianern der Schwindel aufgefallen war, entschied sich Jordan, seine Nutzerseite zu ändern und dort seine wahre Identität anzugeben. Ins Rollen kam die Diskussion, als der New Yorker seinem Artikel eine Richtigstellung beifügte, die dann von den Medien aufgegriffen wurde.

Wikipedia-Gründer Jimmy Wales gab seinem Angestellten zunächst Rückendeckung. Diese Unterstützung hat Wales nun zurückgezogen. Auf seiner eigenen Wikipedia-Diskussionsseite erklärt er, dass er erst nachträglich über den Umfang der Fälschung erfahren habe. "Meine Unterstützung für EssJay basiert darauf, dass ich nicht genau wusste, was vorging", erklärt Wales. Er sei der Meinung gewesen, dass dem User nur die Nutzung eines Pseudonyms vorgeworfen worden wäre. Als er den Sachverhalt komplett überblickt habe, habe er Jordan gebeten, von seinen Wikipedia-Ämtern zurückzutreten. Auf Anfrage von heise online erklärt Wales, dass Jordan auch seine Stelle bei Wikia aufgegeben habe.

Um solche Vorfälle in Zukunft auszuschließen, stellt Wales eine Realnamen-Initiative zur Diskussion, die er bereits vor zwei Jahren vorgeschlagen habe. Auf viel Gegenliebe dürfte der Vorschlag nicht stoßen: Die meisten Wikipedia-Autoren arbeiten unter Pseudonym, und viele wollen ihre Anonymität nicht aufgeben. Es ist eins der Grundprinzipien der Wikipedia, dass jeder Internet-Nutzer beitragen kann – man muss sich nicht mal anmelden, um Änderungen an den Artikeln vorzunehmen.

Die Notwendigkeit, unter Pseudonym zu arbeiten, kennt der Geschäftsführer von Wikimedia Deutschland, Arne Klempert. "In der Vergangenheit hatten Auseinandersetzungen in der Wikipedia in Einzelfällen auch Auswirkungen auf das reale Leben." So seien besonders Administratoren mit Telefonanrufen belästigt oder sogar bei ihren Arbeitgebern verleumdet worden. "Damit kann man aber nicht begründen, dass man seinen Lebenslauf fälscht", erklärt Klempert im Gespräch mit heise online. Jordan habe damit gegen die Wikipedia-Grundsätze verstoßen, die sich auf das gegenseitige Vertrauen stützten.

Einen Vergleich von Enzyklopädien, bei der Wikipedia gegen etablierte kommerzielle Produkte wie Brockhaus, Bertelsmann und Encarta antreten musste, bringt c't in der aktuellen Ausgabe (seit dem heutigen Montag, den 5. März, im Handel):

  • Entdeckungsreise, Digitale Enzyklopädien erklären die Welt, c't 6/07, S. 136

(Torsten Kleinz) / (jk)