Selbst darstellen

Folgenreiche Erfindungen und Produkte hat es in der IT-Geschichte zuhauf gegeben. Gelegentlich haben die Schöpfer schlicht aus der analogen Welt Bekanntes ins Digitale portiert, wie im Falle PowerPoint.

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Von
  • Henning Behme
Inhaltsverzeichnis

Auf Eingabe von „powerpoint evil“ im Google-Suchfeld findet die Suchmaschine Anfang April 2012 annähernd 8 450 000 Webdokumente – zugegebenermaßen sogar solche, die die Präsentationssoftware verteidigen. Microsofts Bing findet immerhin noch 3 290 000 Seiten. Das wundert nicht, wenn man davon ausgeht, dass Microsoft 2001 geschätzt hat, dass täglich weltweit circa 30 Millionen PowerPoint-Präsentationen stattfanden.

Ihren zweiten Anfang hat diese Geschichte der Aufzählungspunkte (bullet points) in den frühen Achtzigerjahren. Der erste liegt noch weiter zurück, denn ohne Overhead Projector wäre die Software wohl kaum denkbar. Schließlich war die erste Version genau dafür gedacht, Folien für solche Geräte zu entwerfen. Erst später kam die Option für Dias hinzu, und noch später, schon in den Neunzigern, konnten Vortragende von ihrem Laptop aus ihre zentralen Thesen und Zahlen über einen Beamer an die Wand werfen. Diesen drei Verwendungsformen entsprechen die drei Hauptversionen von PowerPoint bis zum Jahre 1992, wie der Schöpfer der Software, Robert Gaskins, in seinem Beitrag zum Zwanzigjährigen schrieb.

PowerPoint war allerdings ursprüngliche nicht Gaskins Idee. Die hatte zu Beginn der Achtzigerjahre der in Kryptokreisen heute noch legendäre Whitfield Diffie, der bei Bell Northern Research, wo Gaskins ebenfalls arbeitete, 1981 mit einem eigenen Grafikprogramm experimentierte, mit dem er Zeichnungen von Rahmen und Text zusammenstellte, aus denen Designer anschließend Dias für einen Vortrag fertigten. Gaskins fand die Idee so gut, dass er daraus später ein Programm namens Presenter werden ließ, das die Firma Forethought vor 25 Jahren, im April 1987, als PowerPoint für den Mac veröffentlichte.

Hintergrund dieser Idee war der Overhead Projector, damals in Deutschland eher als Tageslichtschreiber oder -projektor bekannt (beides Wörter für ältere Leser). 3M hatte ihn 1960 entwickelt, und er war insofern revolutionär, als er die immer häufiger notwendigen abteilungsübergreifenden Gesprächsrunden um ein Werkzeug ergänzte, mit dem Vortragende ihre Argumente untermauern konnten. Gaskins Software diente wie erwähnt zunächst nur dazu, die Vorbereitung zu erledigen: die Texte und grafischen Elemente zu erstellen.

Beim Vortrag blieb es, wie viele PP-Historiker betonen, hell, und die Beteiligten konnten sich sehen und über das an die Wand Geworfene austauschen. 1992 war das vorbei. In diesem Jahr zeigte Gaskins erstmals „Folien“ über einen Laptop und einen Beamer. Die darauf folgende offizielle Version 3 beinhaltete diese Option.

Mit Kugeln (bullets) auf Zuhörer zu schießen – dies Handwerk der „Informationskrieger“ (Wort gefunden bei Klaus Rebensburg in seinem Aufsatz „Worst Practice mit PowerPoint“, [1]) deutet darauf hin, dass es mindestens darum geht, das Publikum argumentativ in den Bann der Präsentation zu ziehen. Es hat in den USA und später in Deutschland bösere Interpretationen gegeben. Edward Tufte hat beispielsweise eine nicht ausreichend klare PP-Folie dafür verantwortlich gemacht, dass das Columbia-Shuttle 2003 abstürzte. Seine Konsequenz daraus bildete den Titel seines Wired-Artikels: PowerPoint Is Evil, ein Bonmot, das gern immer wieder Verwendung findet.

2007 hat Josef Joffe in einem sprachkritischen ZEIT-Artikel gar behauptet, PowerPoint sei „die Verengung des Geistes und der Sprache, der Kulturimperialismus schlechthin“. Zu viel der Ehre. Zwar grenzt das Programm Vortragende zwangsläufig in ihren Ausdrucksmöglichkeit ein (durch das, was es anbietet), aber das entbindet Referenten nicht davon, eigenverantwortlich daran zu arbeiten, was sie wie in ihrem Vortrag bringen wollen. Die dafür erforderliche Kompetenz muss man sich erarbeiten.

PowerPoint hat sich schnell als Meeting- und Konferenzwerkzeug etabliert. Marketingleute, Berater und Manager, die bis heute nicht mit der Software gearbeitet haben, kann man, übertrieben gesagt, wahrscheinlich an einer Hand abzählen. Weltweit. Und Microsoft hat es angehenden PowerPointern insofern erleichtert, als der sogenannte AutoContent Wizard Menschen mit Schreibangst gleich einen Vorschlag für die Eingangsseite unterbreitete – unterschieden danach, was es für ein Vortrag sein soll. Solche Vorgaben und technische Optionen – von den Bullets über Grafiken bis zu Animationen und Video – steckten den Rahmen ab und begrenzten ihn naturgemäß gleichzeitig. Weswegen viele Präsentationen einander ähneln wie die berühmten zwei Eier.

Manche Opfer von Präsentationen (nicht notwendigerweise mit PowerPoint) bemerken nicht, was auf sie niederprasselt, weil sie auf Konferenzen, vor allem nach der Mittagspause, in den abgedunkelten Räumen vor sich hin schlummern. Die übrigen bemühen sich entweder verzweifelt ums Wachbleiben, oder sie leiden darunter, dass der Vortragende nicht etwa interessante Details zu den Bullet Points an der Wand zu sagen hat, sondern sie Wort für Wort abliest. Was Lesefehler nicht ausschließt.

Erschwerend kommt bei internationalen Konferenzen hinzu, dass viele Referenten das erforderliche Englisch zwar grammatisch und vom Vokabular her perfekt beherrschen, die Aussprache allerdings kaum mit den Wörtern auf den Slides zusammenzubringen ist.

Literarische Nutzung der Software: Shakespeares Hamlet-Monolog einmal anders (Abb. 1)

(Bild: Quelle: www.radosh.net/writing/ppaol1.htm)

Wenn etwas zur Parodie und Kunst taugt, kann es nicht ganz furchtbar oder muss es furchtbar wichtig sein. Angesichts der Verbreitung von PowerPoint erstaunt es daher nicht, das David Byrne, Frontmann der Popgruppe Talking Heads, sich künstlerisch mit den Mitteln der Software beschäftigt hat. Und wie die beiden Abbildungen zeigen, eignet sich das Programm gut dazu, parodistische Energie freizusetzen. Das gilt für den Entwurf von Lincolns Gettysburg-Rede ebenso wie die Hamlet-Gegenüberstellung.

Abraham Lincolns berühmte Gettysburg-Rede kommt als PowerPoint-Präsentation brillant „rüber“ (Abb. 2).

(Bild: Quelle: norvig.com/Gettysburg/sld001.htm)

Noch weiter entfernt vom ursprünglichen Zweck des Werkzeugs dürfte das PowerPoint-Karaoke sein, das von der Berliner Zentralen Intelligenz Agentur stammt. Sinn dieses satirischen Umgangs mit der Software: Zu einer bis dahin ihm oder ihr unbekannten PP-Präsentation referiert der/die Karaokee über ein beliebiges, meist mit den Folien nichts zu tun habendes Thema.

Wer sich einen breit gefächerten Überblick über PowerPoint verschaffen will, findet außer in dem von Wolfgang Coy und Claus Pias herausgegebenen Sammelband [1] über „Alle Links“ reichlich Material.

1987 übernahm Microsoft Forethought für 14 Millionen Dollar, was heute annähernd dem Doppelten entspräche. Welchen Verschiebungen die Industrie und ihre Bewertung durch Anleger unterworfen sind, zeigt die Tatsache, dass Facebook gerade Instagram, Hersteller einer Foto-Sharing-App, für eine Milliarde Dollar übernommen hat.

1997 dekretierte Sun-Microsystems-Chef Scott McNealy publikumswirksam, dass ab sofort Schluss mit PowerPoint-Präsentationen bei Sun sein müsse (Gerüchten zufolge keineswegs erfolgreich). Angeblich bedeuteten die PPPs viel zu viel Speicherverbrauch. Aber vielleicht wollte McNealy seinen Angestellten vor allem die stunden- oder tagelange Feinarbeit an einzelnen Folien abgewöhnen.

Sinnvoller erscheint da, was Apple-Chef Steve Jobs laut seinem Biografen Walter Isaacson zum Thema gesagt hat: „Leute, die wissen, wovon sie reden, brauchen PowerPoint nicht.“

Wie man der Mehrzahl der Fußballer verbieten sollte, direkt nach dem Spiel ins Mikrofon zu sprechen, sollte man zumindest überlegen, nur ausgewählten Mitarbeitern einen PP-Vortrag zu erlauben. Bleibt nur hinzuzufügen: Trotz großer Versuchung hat die Redaktion darauf verzichtet, diesen Artikel in Slides zu verpacken.

[1] Wolfgang Coy, Claus Pias (Hrsg.); PowerPoint; Macht und Einfluss eines Präsentationsprogramms; Frankfurt/Main (Fischer Taschenbuch) 2009

Alle Links: www.ix.de/ix1205112 (hb)