EU-Rat und Parlament über massive TK-Überwachung weitgehend einig

Nach den heutigen Beratungen der EU-Justizminister wird es immer wahrscheinlicher, dass TK-Anbieter in der EU die elektronischen Spuren der Nutzer bald sechs bis 24 Monate aufbewahren müssen.

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Nach den Beratungen der EU-Justizminister am heutigen Freitag in Brüssel wird es immer wahrscheinlicher, dass Telekommunikationsanbieter in der EU die elektronischen Spuren der Nutzer bald sechs bis 24 Monate lang aufbewahren müssen. Laut Bundesjustizministerin Brigitte Zypries haben die Mitglieder des EU-Rates einen "Minimalkompromiss" erzielt. Erfasst würden demnach neben den Verbindungsdaten beim Telefonieren und den Standortdaten am Anfang eines Gesprächs im Mobilfunk auch die IP-Adressen beim Online-Zugang, beim E-Mailen sowie bei der Internet-Telefonie. Eine Regelung zur Kostenerstattung soll den Mitgliedsstaaten überlassen bleiben. Erfolglose Anrufe sollen nicht aufgezeichnet werden, falls besetzt ist. Daten über Gesprächsversuche, bei denen niemand an den Apparat geht, wollte die britische Ratspräsidentschaft laut ihrem jüngsten Papier aber gespeichert sehen.

Zuvor waren die beiden größten Fraktionen im EU-Parlament, die Europäische Volkspartei (EVP) und die Sozialdemokraten, den Mitgliedsstaaten in fast allen entscheidenden Streitpunkten entgegen gekommen. Als größter Zankapfel verblieb die Frage, für die Aufklärung welcher Straftaten die gewünschten Datenberge genutzt werden dürfen. Die Abgeordneten pochen auf eine Koppelung mit den 32 schweren Straftaten, für die ein EU-Haftbefehl ausgestellt werden kann. Zypries hatte sich in einem Brief an Parlamentarier gegen derlei Zugangsbegrenzungen und für eine sechsmonatige Datenspeicherung ausgesprochen. Nun ist es der SPD-Politikerin und ihren Ministerkollegen vor allem noch wichtig, dass die Sicherheitsbehörden mit Hilfe der Datenhalden auch gegen Internet- und Telefon-Kriminalität wie das so genannte Stalking vorgehen können.

Die Aufklärungsquoten liegen in diesem Bereich gemäß der polizeilichen Kriminalstatistik 2004 hierzulande schon bei 92,5 Prozent. Und selbst wenn sich die Abgeordneten in diesem einen Punkt durchsetzen könnten, wäre dies nur ein symbolischer Sieg: Sind die Daten erst vorhanden, dürften die Zugangshürden angesichts des zu erwartenden Drucks der Sicherheitsbehörden und der Entertainment-Industrie bald abgerissen werden. Der CDU-Abgeordnete Herbert Reul beharrte im Namen der EVP ferner darauf, dass der Rat sich "bei der Kostenerstattung noch bewegen muss".

Bei den Überwachungsplänen in Brüssel, die vom EU-Rat und der EU-Kommission mit Nachdruck vorangetrieben werden, geht es prinzipiell um die Speicherung der Verbindungs- und Standortdaten, die bei der Abwicklung von Diensten wie Telefonieren, SMS oder E-Mailen anfallen. Mit Hilfe der Datenberge sollen Profile vom Kommunikationsverhalten und von den Bewegungen Verdächtiger erstellt werden.

Im Vorfeld der heutigen Gespräche hatte Zypries angedeutet, dass der aktuelle Vorschlag der britischen Ratspräsidentschaft "den deutschen Vorstellungen sehr entgegen kommt ". Ihr Kabinettskollege, Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, schloss eine Kostenentschädigung von Telekom-Unternehmen kategorisch aus. Das "Allerwichtigste" bei dem EU-Plan sei für ihn, "dass der Staat nicht anfängt, die Gesellschaften zu bezahlen", sagte der CDU-Politiker. Die geplante Datensammlung zur Terrorbekämpfung sei eine staatsbürgerliche Pflicht der betroffenen Firmen. Nach Branchenangaben würden allein die Anfangsinvestitionen für die Speicherung der Telefon- und Internetverbindungen die größeren Anbieter einen dreistelligen Millionenbetrag kosten. In einem Interview mit dem Deutschlandradio vom heutigen Freitag hielt Schäuble derlei Einwänden entgegen, "dass wir alle bedroht sind" durch den "internationalen Terrorismus". Deswegen "müssen wir die notwendigen Informationen vernünftig miteinander austauschen." Er verwies insbesondere auf den aktuellen Entführungsfall einer Deutschen im Irak.

Die rechts- und innenpolitischen Sprecherinnen der FDP-Bundestagsfraktion, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Gisela Piltz, erinnerten die Bundesregierung dagegen an das klare Nein des Bundestags zur Einführung von Mindestspeicherfristen von TK-Verbindungsdaten. Es könne nicht angehen, dass die pauschale Überwachungsmaßnahme nun über die europäische Hintertür eingeführt werde. Leutheusser-Schnarrenberger erhob zudem prinzipielle Bedenken gegen das Vorhaben und kritisierte die Ratspräsidentschaft scharf, welche wiederholt enormen Druck auf die EU-Abgeordneten ausgeübt hatte. Die "hohlen Phrasen und falschen Maßnahmen" der Briten würden nicht mehr Sicherheit schaffen, betonte die Ex-Justizministerin. Die Ratsführung "desavouiert allenfalls die ernsthaften rechtsstaatlichen Anstrengungen, die notwendig sind".

Einwände kommen auch von der grünen EU-Abgeordneten Eva Lichtenberger: Das jüngste Papier des EU-Rates droht ihrer Ansicht nach "eine Generalvollmacht für den Überwachungsstaat zu werden". Maßnahmen, die mit den Menschenrechten in Konflikt stehen, könnten mit der Berufung auf das Gesetz gerechtfertigt erscheinen. "Die Angst vor Terror darf nicht dazu missbraucht werden, Grund- und Freiheitsrechte auf nur jede erdenkbare Art auszuhöhlen und dem Überwachungsstaates Vorschub zu leisten", hält die Österreicherin dagegen. Die Grünen wollen am 7. Dezember noch eine Anhörung im Parlament durchführen, um die Grenze zwischen Terrorbekämpfung und Aushöhlung der Bürgerrechte auszuloten.

Datenschützer und Branchenvertreter haben im Lauf der langjährigen Debatte über die Vorratsdatenspeicherung immer wieder vor unverhältnismäßigen Einschnitten in die Privatsphäre der Nutzer gewarnt. Sie verweisen auch darauf, dass Terroristen und andere Kriminelle nach wie vor weitgehend anonyme Kommunikationsmittel nutzen könnten wie öffentliche Internet-Cafés, drahtlose WLAN-Zugangspunkte oder Telefonzellen. Andere Länder wie die USA erwägen bislang einen vergleichbaren Ausbau des Überwachungsstaates nicht ernsthaft. Die EU-Pläne lassen zudem nach wie vor heikle Fragen offen: So betonen die Brüsseler Instanzen und Politiker wie Zypries immer wieder, dass keine Inhaltsdaten bei der Zwangsspeicherung erfasst würden. Zumindest bei SMS und E-Mail sind die Verbindungsinformationen jedoch mit den gesendeten Inhalten direkt verwoben.

Zur Auseinandersetzung um die Vorratsspeicherung sämtlicher Verbindungs- und Standortdaten, die bei der Abwicklung von Diensten wie Telefonieren, E-Mailen, SMS-Versand, Surfen, Chatten oder Filesharing anfallen, siehe siehe den Artikel auf c't aktuell (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online):

(Stefan Krempl) / (jk)