Abstimmungskrimi bei Richtlinie zur Überwachung der Telekommunikation erwartet

Alexander Alvaro, der Parlamentsberichterstatter zur Richtlinie über die Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten, fürchtet um die Glaubwürdigkeit der EU-Volksvertretung, wenn der EU-Rat kommende Woche mit seinen Plänen durchkommt.

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Alexander Alvaro, Parlamentsberichterstatter zur geplanten Richtlinie über die Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten, fürchtet um die Glaubwürdigkeit der EU-Volksvertretung. Erhalte der Vorschlag des EU-Rats zur pauschalen Aufzeichnung der elektronischen Nutzerspuren am nächsten Dienstag bei der Plenarabstimmung eine Mehrheit, "diskreditiert sich das Parlament selbst", erklärte der FDP-Politiker am heutigen Donnerstag in Berlin. Alvaro macht sich nicht nur Sorgen über die EU-weite Einführung einer seiner Ansicht nach unverhältnismäßigen Überwachungsmaßnahme. Ihn beunruhigt vor allem, dass durch das rasche Einknicken von Christ- und Sozialdemokraten gegenüber der britischen Ratspräsidentschaft ein Präzedenzfall geschaffen wird. "Wir werden zum Steigbügelhalter des Rates", fürchtet der Liberale. Die Minister würden künftig immer wieder zum Hüpfen auffordern – und die beiden großen Fraktionen nur noch fragen: "Wie hoch?" Seiner eigentlichen Funktion werde das Parlament damit nicht mehr gerecht.

Bei den Überwachungsplänen in Brüssel, die vom Rat und der EU-Kommission mit Nachdruck vorangetrieben werden, geht es prinzipiell um die Speicherung der Verbindungs- und Standortdaten, die bei der Abwicklung von Diensten wie Telefonieren, SMS, E-Mailen, Surfen oder Filesharing anfallen. Mit Hilfe der Datenberge sollen Profile vom Kommunikationsverhalten und von den Bewegungen Verdächtiger erstellt werden. Gemäß der Einigung im Rat am vergangenen Freitag sollen die Mitgliedsstaaten Telcos verpflichten, die gewünschten Informationen inklusive IP-Adressen sechs bis 24 Monate vorzuhalten.

Die konservative Europäische Volkspartei (EVP) und die sozialistische Fraktion haben gemäß dem Wunsch ihrer Vorsitzenden die Vorlage des Rates inzwischen Eins zu Eins kopiert und als "eigene" Änderungsanträge zur Richtlinie eingebracht. Diese sollen "en bloc" am Dienstag abgestimmt werden. Eine Auseinandersetzung mit einzelnen Artikeln wäre so nicht möglich. Der zunächst im Innenausschuss ausgehandelte parlamentarische Kompromiss, der eine deutliche Entschärfung der Richtlinie in den Bereichen Speicherdauer, vorzuhaltende Datentypen und Kostenerstattung für die Wirtschaft vorgesehen hatte, stünde bei Annahme dieses Antragspakets nicht mehr zur Debatte.

"Dass ein Ausschussvotum komplett ignoriert werden soll, hat es wohl noch nie gegeben", empört sich Alvaro. Sollte es nach Willen der großen Fraktionen laufen, wäre "das Parlament missbraucht worden, um eine Maßnahme zu beschließen, die in den Mitgliedsstaaten so nicht durchzubringen gewesen wäre". Persönlich könne er dann nicht mehr für den Beschluss stehen, was aber "rein symbolische Bedeutung" habe. Die verbleibenden fünf Tage will Alvaro noch dafür werben, dass es "so nicht gehen kann". Gut 200 Stimmen aus dem Lager von Christ- und Sozialdemokraten müsste er noch aus dem Hut zaubern. Dabei komme es vor allem auf die nationalen Delegationen wie etwa die 99 deutschen EU-Abgeordneten an.

Hilfe bei seiner noch zu leistenden Überzeugungsarbeit erhält er von der niederländischen Sozialdemokratin Edith Mastenbroek: "Ich werde darauf dringen, dass die Niederländer das Ratspapier nicht unterstützen", kündigte sie gegenüber heise online an. Ihr missfällt vor allem, dass die Mitgliedsstaaten die Vorratsdatenspeicherung mit der Richtlinie nun doch nicht einmal mehr abschließend regeln wollen. Aufgrund des eingebauten Vorbehaltes "können sie künftig alles speichern lassen, was sie wollen", erklärte Mastenbroek. Ferner hätten die Minister sich ausbedungen, die Archivierungsfristen unendlich erweitern zu können. Gerade im Internetbereich schaffe die Richtlinie zudem "weniger statt mehr Sicherheit", da die gewünschten Datenhalden kaum vor unerwünschten Zugriffen zu schützen seien.

Die Grünen haben einen Antrag gestellt, mit dem sie die komplette Zurückweisung der Richtlinie fordern. "Die Vorhaltungsfrist von zwei Jahren ist zu lang, zu umfangreich und extrem teuer", begründet ihre Bürgerrechtsexpertin Kathalijne Buitenweg die Entscheidung. Da ein effektiver Kampf gegen Terrorismus und Organisierte Kriminalität nicht gewährleistet werden könne, sollte das erforderliche Geld besser für eine effektivere Kooperation zwischen den Justizbehörden ausgegeben werden. Buitenweg betont: "Die Bürger der EU können nicht unter einen permanenten und pauschalen Verdacht gestellt werden." Erfolgsaussichten werden dem Begehr angesichts der klaren Mehrheitsverhältnisse aber nicht eingeräumt.

Mehr Sprengkraft könnte ein Änderungsvorschlag der konservativen schwedischen Abgeordneten Charlotte Cederschiöld entfalten. Sie plädiert dafür, die im schwarz-roten "Kompromiss" mit dem Rat unter den Tisch gefallene Pflicht zur Erstattung der Kosten für die Hilfssheriffstätigkeiten der Industrie wieder in die Richtlinie zu integrieren. Verhindern will Cederschiöld damit vor allem, dass die Wirtschaft die Verbraucherpreise anheben muss. Sollte der Zusatz der Schwedin vor den anderen Paketen abgestimmt werden und eine Mehrheit finden, wäre das Papier des Parlaments für die Minister kaum noch akzeptabel. Alles würde damit auf eine Verzögerung des Verfahrens und eine 2. Lesung unter der anstehenden österreichischen Ratspräsidentschaft hinauslaufen.

Hierzulande macht derweil die FDP im Bundestag noch einmal Druck auf die Bundesregierung. Sie fordert diese in einem Antrag (Drucksache 16/128) auf, die Vorratsdatenspeicherung auf EU-Ebene möglichst zu verhindern und sich endlich an den entsprechenden Beschluss des Bundestags zu halten. Eine generelle Vorratsdatenspeicherung greift laut den Liberalen zu stark in das unverletzliche Grundrecht auf vertrauliche Kommunikation ein und sei verfassungswidrig. Das Ziel der Terrorbekämpfung rechtfertige es nicht, das Kommunikationsverhalten der Bevölkerung lückenlos elektronisch zu erfassen. Zu mehr als einem parlamentarischen Nachspiel dürfte der in einer Woche zu behandelnde Antrag aber nicht reichen.

Zur Auseinandersetzung um die Vorratsspeicherung sämtlicher Verbindungs- und Standortdaten, die bei der Abwicklung von Diensten wie Telefonieren, E-Mailen, SMS-Versand, Surfen, Chatten oder Filesharing anfallen, siehe siehe den Artikel auf c't aktuell (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online):

(Stefan Krempl) / (jk)