Die Risiko-Detektive

Wer kann die Auswirkungen neuer Technologien auf Mensch und Natur überblicken? Mehrere Institute bieten Ratsuchenden aus Politik und Wirtschaft ihre Hilfe an und zeigen schon mal, wie es wäre, wenn.

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Von
  • Uta Deffke
Inhaltsverzeichnis

Wer kann die Auswirkungen neuer Technologien auf Mensch und Natur überblicken? Mehrere Institute bieten Ratsuchenden aus Politik und Wirtschaft ihre Hilfe an und zeigen schon mal, wie es wäre, wenn.

Eifriges Gemurmel liegt in der Luft. An einem Samstag im Juli 2011 diskutieren knapp 80 Berlinerinnen und Berliner an runden Tischen über Energieeffizienz, erneuerbare Energien, Brückentechnologien, Netze und Speicher. "Gewöhnliche" Bürger, von der Unternehmensberaterin bis zur Rentnerin, vom jungen Kirchenmusiker bis zum erfahrenen Luft- und Raumfahrtingenieur, sind im Bundespresseamt der Hauptstadt zusammengekommen, um sich auszutauschen, so zum Beispiel über die Wärmedämmung von Altbauten: Welche technischen Möglichkeiten gibt es? Ist das auch umweltfreundlich? Wie viel Energie lässt sich so einsparen?

An jenem Samstag waren vier Monate seit dem Atomunglück in Fukushima vergangen, der Ausstieg aus dem Atomausstieg und die beschleunigte Energiewende politisch beschlossene Sache. Bei deren konkreter Gestaltung sollte nun die Bevölkerung – zumindest ein bisschen – mitreden dürfen. Deshalb veranstaltete das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) deutschlandweit acht Bürgerkonferenzen, auf denen die Teilnehmer miteinander über Möglichkeiten und Grenzen alternativer Technologien diskutieren und "konkrete Empfehlungen" an das BMBF aussprechen konnten.

Da auch die Alternativen zur Kernenergie – wie alle Technologien – nicht ohne Auswirkungen auf Mensch und Umwelt sind, sucht die Politik immer wieder den Rat von Experten und nun auch den der Bevölkerung, um ihre Entscheidungen auf eine wissenschaftliche und gesellschaftlich breitere Basis zu stellen. Unterstützung erhält sie dabei vom Physiker und Philosophen Armin Grunwald, der das Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) sowie das Büro für Technikfolgenabschätzung am Deutschen Bundestag (TAB) in Berlin leitet. Das TAB erstellt im Auftrag des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Studien zu Themen wie der technischen Innovation im Verkehrsbereich, den Risiken von Nanopartikeln, der synthetischen Biologie oder nachhaltigen Energieversorgung. "In reichen Gesellschaften haben die Menschen mehr zu verlieren, deshalb muss bei Wissenschaft und Technik mehr Rücksicht auf ihre Befindlichkeiten genommen werden", meint Grunwald. Das Nachdenken über die Folgen neuer Techniken hat hierzulande Konjunktur.

Wie aber gelingt es, Risiken und Chancen einer sich erst noch entwickelnden Technologie frühzeitig zu erkennen? "Mit Orakeln hat das nichts zu tun", betont Grunwald. Vielmehr sei dies eine hochgradig interdisziplinäre und wissenschaftliche Aufgabe, der sich ein breit aufgestelltes Team widmet – darunter Physiker, Chemiker, Biologen, Anthropologen, Soziologen und Wirtschaftswissenschaftler. Sie betreiben Forschung weit über den eigenen Tellerrand hinaus: Neben den Fachkenntnissen in den jeweiligen Disziplinen benötigen sie einen guten Überblick über das gesamte Wissenschaftssystem sowie über gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Akteure und Zusammenhänge. Die "Technikfolgenabschätzer" tragen Informationen zu einem Thema zusammen, stellen verschiedene Positionen dar und entwerfen für ihre Auftraggeber verschiedene Szenarien in Form von Wenn-dann-Optionen. Am Ende ihrer Arbeit steht in aller Regel ein Bericht, es kann aber auch eine szenische Aufführung oder eine Ausstellung sein.

"Wir produzieren keine Ergebnisse wie Forscher im Labor, sondern wir liefern Orientierungs- und Beratungswissen", stellt Torsten Fleischer klar. Der Physiker hat sein Büro am Karlsruher ITAS auf dem KIT-Campus. Die Nähe zu anderen Wissenschaftlern und Disziplinen bringe viele Vorteile, meint er. Beim Gang zur Kantine treffe er zum Beispiel Toxikologen, mit denen er in Sachen Nanotechnologie zusammenarbeitet. Auch sonst sind die Wege nicht zu weit für einen Abstecher ins Labor oder für den Meinungsaustausch mit einem Forscher. Seit knapp zehn Jahren ist die Nanotechnologie ein Dauerbrenner für Fleischer und seine Kollegen. Nachdem sie 2003 im Auftrag des Bundestags am TAB einen großen Statusreport über die damals aufkommende Technologie erarbeitet haben, beschäftigen sie sich seit 2005 intensiv mit der Risikofrage. Schließlich kommen immer mehr Produkte auf den Markt, deren spezielle Wirkung durch Nanopartikel erzielt wird: Sonnenmilch, antibakteriell beschichtete Textilien, Verpackungen von Lebensmitteln. Doch die winzigen Teilchen stehen im Verdacht, die Gesundheit zu gefährden, wenn sie freigesetzt und zum Beispiel eingeatmet werden. Zurzeit stehen einige Projekte zum Risikomanagement von synthetisch hergestellten Nanopartikeln auf der Agenda. Die ITAS-Forscher sollen einen Überblick über den aktuellen Stand der Debatte geben und Handlungsoptionen aufzeigen.