Virtuelles Terroristen-Camp

Nicht in Pakistan oder Afghanistan trainiert die al-Qaida ihren Nachwuchs, sondern in der virtuellen Spielwelt Second Life. Das glaubt zumindest eine australische Zeitung.

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Bombenanschlag auf das ABC-Gebäude, Schießerei bei American Apparel, Bombe auch bei Reebok: Glaubt man der australischen Zeitung The Australian, die zu Rupert Murdochs Medienimperium gehört, ist Second Life bald die Brutstätte des internationalen Terrorismus. Die Spielwelt werde seit ungefähr einem halben Jahr von einer "Terror-Kampagne" erschüttert, die eine "Spur von Toten und Verwundeten" hinter sich gelassen habe. Die Anschläge gingen auf das Konto einer militanten Gruppe, die die Regierung stürzen wollte. Fragt sich nur, welche.

Für die genannten "Attentate" dürfte die "Second Life Liberation Army" (SLLA) verantwortlich zeichnen, eine "Untergrundorganisation", die das Spieluniversum, möglichst frei von kommerziellen Einflüssen wie den Repräsentanzen großer Marken halten will. Wie so eine "Attacke" aussieht, zeigt ein alles andere als spektakuläres Video bei YouTube. Die SLLA muss offenbar ihre Öffentlichkeitsarbeit noch optimieren, sonst gibt es bald Konkurrenz, vielleicht von einer "Army for the Liberation of Second Life". Gegen das organisierte Glücksspiel brauchen die Rebellen nicht mehr ins Feld zu ziehen, das hat Betreiber LindenLab eigenhändig erledigt.

Doch könnten hinter einigen dieser Aktionen nicht nur virtuelle Revoluzzer wie die SLLA, sondern ganz echte Terroristen stecken, fürchten laut Artikel ungenannte "Terrorismus-Experten". Ebenso wie die Attentäter des 11. September, die ihre Zielanflüge mit Flugsimulatoren trainiert haben, könnten Real-Life-Terroristen die virtuelle Welt zur Rekrutierung und als Trainingslager nutzen, meinen die besorgten Experten. Dafür würden sich auch Spieluniversen wie World of Warcraft eignen. Ob die al-Qaida dort schon den Umgang mit magischen Schwerten trainiert, ist nicht bekannt.

Dass in Second Life auch gegen Gesetze verstoßen wird ist dagegen nichts Neues. Wegen Kinderpornografie war die Spielwelt ebenso in den Schlagzeilen wie Diebstahl und Wurmbefall. Virtuelle Urheberrechtsverletzungen beschäftigen inzwischen ein ganz echtes Gericht. Aber Terrorismus? Die Zeitung will drei "Jihad-Terroristen" und eine "Elite"-Terrorgruppe in der Spielwelt ausgemacht haben. Auch die Ermittlungsbehörden glauben dem Bericht zufolge, dass hinter den virtuellen Anschlägen australische Jihad-Krieger stecken könnten, die in Second Life für den Ernstfall trainieren. Rohan Gunaratna, Autor des Buches "Inside al-Qaida", unterstützt die Terror-These: "Sie proben ihre Aktionen in Second Life, weil sie dazu im richtigen Leben keine Gelegenheit haben", sagte er der Zeitung.

US-Blogger halten das Terror-Szenario dagegen für leicht überspannt. Die "terroristischen" Umtriebe in Second Life hielten sich in Grenzen. Das so genannte "Griefing", bei dem Nutzer anderen aus reinem Vergnügen das virtuelle Leben schwer machen, sei zwar einigermaßen weit verbreitet, habe aber wenig mit Terrorismus zu tun. Dass Terroristen mit Second Life für echte Anschläge trainieren, halten sie angesichts der technischen Unzulänglichkeiten der Plattform für sehr unwahrscheinlich. Sollte die al-Qaida doch in Second Life auftauchen, hat ein Kommentator bei TechCrunch einen adequaten Lösungsvorschlag: "Chuck Norris needs to create a SL character and pwn those noobs." (vbr)