Bundestag verlängert heftig umstrittene Abhörbefugnisse des Zolls

Mit der Mehrheit der Großen Koalition hat das Parlament trotz großer verfassungsrechtlicher Bedenken die präventive Überwachungsermächtigung des Zollkriminalamts für weitere 18 Monate aufrecht erhalten.

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Mit den Stimmen der Großen Koalition hat der Bundestag am gestrigen Donnerstag nach einem heftigen rhetorischen Schlagabtausch und trotz massiver Einwände von Bürgerrechtsorganisationen einem eilbedürftigen Entwurf für ein Zollfahndungsdienstgesetz (PDF-Datei) mit kleinen Änderungen aus dem Rechtsausschuss (Drucksache 16/252) zugestimmt. Mit dem Gesetz werden die umstrittenen Befugnisse des Zollkriminalamts zur präventiven Überwachung von Post und Telekommunikation um 18 Monate verlängert. Vertreter von Union und SPD hatten zuvor argumentiert, dass die Ermächtigung für die Aufrechterhaltung der effektiven Strafverfolgung erforderlich sei. Die Oppositionsparteien brandmarkten den Entwurf als klar verfassungswidrig, konnten sich aber trotzdem nicht auf eine gemeinsame Gegenlinie einigen.

Auf den Weg gebracht hatte das Gesetzgebungsverfahren noch die alte Bundesregierung. Ursprünglich hatte sich Rot-Grün mit Unterstützung der Union in der vergangenen Legislaturperiode darauf verständigt, das Gesetz für den Zoll im Rahmen einer vorläufigen Novelle zunächst bis Ende 2005 zu befristen. Die Neugestaltung im vergangenen Jahr war nötig geworden, weil das Bundesverfassungsgericht die alten Abhörregeln nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sah. Eine umfassende Reform der Regelungen auf der Basis der Vorgaben aus Karlsruhe blieb dennoch aus. Das Gesetz greift so nach Ansicht von Experten nach wie vor in den Kernbereich privater Lebensgestaltung ein, obwohl dies das Bundesverfassungsgericht untersagt hatte.

Dem Zoll ist seit 1992 auf Anordnung das Öffnen von Postsendungen und das Abhören von Telefongesprächen erlaubt. Damit soll er Verstöße gegen das Außenwirtschafts- und das Kriegswaffenkontrollgesetz in Bereichen wie Staatsschutz, Betäubungsmittelkriminalität, Geldfälschung, Geldwäsche, Terrorismusbekämpfung oder dem unerlaubten Außenhandel mit Waren, Datenverarbeitungsprogrammen und Technologien besser verfolgen können. Mit der Gesetzesreform aus dem vergangenen Jahr sind unter anderem die Datenerhebungs- und Übermittlungsverfahren enger gefasst werden. Während das Zollkriminalamt früher relativ frei personenbezogenen Informationen an Polizei und Geheimdienste weitergeben konnte, gibt es inzwischen begrenzte Vorschriften. So dürfen Erkenntnisse aus den Bereichen Staatsschutz, Betäubungsmittelkriminalität, Geldfälschung und Geldwäsche etwa an Strafverfolgungs- und Verfassungsschutzbehörden, aber nicht an den Bundesnachrichtendienst übermittelt werden. Der kann sich wiederum etwa bei der Gefahr terroristischer Anschläge beim Zollkriminalamt bedienen. Detaillierte Statistiken über die Inanspruchnahme der Befugnisse fehlen nach wie vor.

Die Grünen hatten einen Änderungsantrag eingebracht, der die Intimsphäre der Bürger gemäß der Auflagen aus Karlsruhe besser schützen sollte. "Berufsgeheimnisträger" wie Ärzte, Journalisten oder Rechtsanwälte wären damit von Bespitzelungen durch den Zoll analog zu den neuen Regelungen beim Großen Lauschangriff ausgenommen worden. Zudem wollten die Grünen die Geltungsdauer des Gesetzes auf ein Jahr befristen. Eine ungewöhnlich große Koalition bestehend aus Union, SPD und Linkspartei stimmte allerdings gegen dieses Vorhaben. Die FDP enthielt sich. Sie hatte einen eigenen Antrag ins Rennen geschickt, der eine Befristung auf ein halbes Jahr forderte und ebenfalls durchfiel. Die Linke/PDS wiederum hatte beantragt, den Regierungsentwurf wegen Verfassungswidrigkeit komplett zurückzuziehen. Auch dafür fand sich nicht die erforderliche Mehrheit.

Der rechtspolitische Sprecher der Linksfraktion, Wolfgang Neskovic, beklagt nun einen "offenen Verfassungsbruch". Scharfe Proteste kommen auch von der Humanistischen Union (HU): "Die Mehrheit des Bundestages hat heute das Bundesverfassungsgericht erneut düpiert", empört sich deren stellvertretender Bundesvorsitzender Fredrik Roggan. Eine Zumutung sei die Argumentation von Schwarz-Rot: "Erst lassen Parlament und Regierung ein ganzes Jahr tatenlos verstreichen, in dem sie eine verfassungskonforme Regelung hätten schaffen können, um sich dann kurz vor Ablauf der Frist auf Zeitknappheit zu berufen." Es sei skandalös, dass immer häufiger Karlsruhe "den außer Kontrolle geratenen Gesetzgeber stoppen muss." Die HU kündigte an, Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz einzureichen und einstweiligen Rechtsschutz zu beantragen, um ein Wirksamwerden der Regelungen über die Zollbefugnisse zu verhindern. (Stefan Krempl) / (jk)