Struck nähert sich Union bei heimlichen Online-Durchsuchungen an

Der SPD-Fraktionschef will die Lizenz zur umstrittenen Netzbespitzelung zwar aus der Novelle des BKA-Gesetzes heraushalten, plädiert aber gleichzeitig für die vom Koalitionspartner vorgeschlagene Richterband-Lösung.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 269 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.

In der großen Koalition tauschen Spitzenpolitiker zwar nach wie vor im Streit um heimliche Online-Durchsuchungen den Fehde-Handschuh aus. Eine Einigung im Kern der Sache hat SPD-Fraktionschef Peter Struck aber nicht mehr ausgeschlossen. Prinzipiell beklagt der Ex-Verteidigungsminister im Nachrichtenmagazin Focus zwar das Vorgehen von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) in der Sicherheitsdebatte: "Schäuble will die SPD diskreditieren, weil wir durch die Zeit von Otto Schily als Innenminister eine Position als Wahrer der Inneren Sicherheit wie der Rechtsstaatlichkeit gewonnen haben." Doch zugleich nannte Struck als Bedingung für die Einführung der Lizenz zur umstrittenen Netzbespitzelung für das Bundeskriminalamt (BKA) die so genannte Richterband-Lösung, die auch die Union ins Spiel gebracht hat. Dabei sollen alle zu erhaltenden Kommunikationsinhalte zunächst von den Ermittlern aufgezeichnet werden und ein Richter dann über ihre Verwertbarkeit entscheiden.

Auch wenn sich beide Seiten damit einander angenähert haben, wies Struck die Forderung des Innenministers zurück, die Novelle des BKA-Gesetzes einschließlich der verdeckten Ausforschung von Festplatten privater PCs vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu diesem Thema zu verabschieden: "Es wäre doch absurd, jetzt ein Gesetz zum Bundeskriminalamt inklusive Online-Durchsuchungen zu beschließen, um kurz darauf aus Karlsruhe einen Kriterienkatalog an die Hand zu bekommen, der dies rechtlich sauber regelt." Für die SPD gelte daher: "Schäuble kann sein BKA-Gesetz sofort haben. Das Thema Online-Durchsuchungen lassen wir offen, bis Karlsruhe entschieden hat. Wenn Schäuble sich diesem Kompromiss verweigert, muss die Kanzlerin eingreifen." Angela Merkel hat sich aber bereits wiederholt hinter den Innenminister gestellt und sich für die rasche Schaffung der Befugnis für Online-Razzien ausgesprochen.

In der rechtlichen Ausgestaltung von Online-Durchsuchungen ist es nach Strucks Ansicht entscheidend, wie das Ausforschen privater Dinge verhindert und der vom Bundesverfassungsgericht als absolut schützenswert erachtete Kernbereich der privaten Lebensgestaltung außen vor gehalten werden kann. "Für mich ist unverzichtbar, dass ein unabhängiger Richter die Daten prüft und herausfiltert, was nicht für die Ermittler zugänglich sein darf", umschrieb er dabei nichts anderes als den von der Union bevorzugten Ansatz des Richterbandes, den die SPD beim großen Lauschangriff noch vehement ablehnte. Nach Einschätzung des Deutschen Richterbundes ist die Umsetzung dieser Variante in der Praxis aber nur sehr schwer vorstellbar. Auch Datenschützer zeigen sich skeptisch über diese Form der Ausspähung höchst privater Kommunikationsbereiche.

Scharfe Kritik an Schäuble und seinen Anti-Terrorplänen übte derweil erneut FDP-Chef Guido Westerwelle: Der CDU-Politiker "hat als Innenminister ein Amtsverständnis, das wir in keiner Weise nachvollziehen können", betonte der Liberale im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. "Ihm fallen ständig Bereiche ein, in denen man die Verfassung noch mehr stutzen könnte. Wir garantieren, dass Herr Schäuble in einer Regierung mit der FDP keinen Durchmarsch machen könnte." Der Innenminister stehe ja nicht allein, dahinter stecke System, mutmaßte Westerwelle: "Es gibt die verheerende Tendenz, die Freiheit scheibchenweise sterben zu lassen." Schwarz-Rot setze hier die "Einschüchterungspolitik von Rot-Grün" fort.

Johannes Vogel, Bundesvorsitzender der Jungen Liberalen (Julis) forderte in der Leipziger Volkszeitung, Schäuble solle sich offen der Debatte über seine Anti-Terrorpläne stellen, am besten in einem Rededuell mit Westerwelle. Schäuble treibe mit seinen Forderungen nicht nur die Positionen von Union und FDP auseinander und behindere eine schwarz-gelbe Regierungskoalition nach der nächsten Bundestagswahl. "Er gefährdet auch einen Grundkonsens unserer Gesellschaft. Leider stellt er sich keiner Debatte, sondern äußert seine Vorschläge immer nur in Frage- und Nachdenkeform. Ich bezeichne dies als politische Feigheit", so der Julis-Bundesvorsitzende. Vogel lehnt die von Schäuble angestrebten Online-Razzien als Eingriff in die Privatsphäre ab.

In der Auseinandersetzung um die innere Sicherheit und ein neues Polizeigesetz im baden-württembergischen Landtag lehnt die Südwest-SPD heimliche Online-Durchsuchungen weiter strikt ab. Ebenfalls kritisch sieht sie andere Vorschläge der CDU wie den massiven Ausbau der Videoüberwachung, die automatische Erfassung von Autokennzeichen und die vorbeugende Überwachung von Telefonen. Die dadurch entstehende Datenmenge helfe gar nichts, wenn es nicht genug Beamte gebe, welche die Daten bearbeiteten und weiterleiteten. "Der Rechtsstaat darf sich nicht schleichend in einen Präventionsstaat verwandeln", warnte der Sozialdemokrat Rainer Stickelberger. Es sollten stets die bereits getroffenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts im Auge behalten werden.

Thomas Blenke, Polizeisprecher der CDU-Landtagsfraktion, betonte dagegen, Online-Razzien seien dringend notwendig, um "Bombenattentätern und Pädophilen das Handwerk zu legen, bevor Schlimmes passiert." Die Sicherheit der Bevölkerung müsse vor der "akuten Gefahr von Bombenattentaten durch Islamisten" geschützt werden. Die derzeitige Rechtslage lasse die Polizei jedoch immer wieder ins Leere laufen. Der baden-württembergische Innenminister Heribert Rech (CDU) meinte: "Die SPD will die Herausforderungen nicht sehen, vor denen die Sicherheitsbehörden stehen." Anders könne er sich nicht erklären, dass alle Instrumente, welche die Polizei brauche, kategorisch abgelehnt würden. "Wer das tut, schützt nicht die Freiheit, sondern bietet dem Terrorismus und dem organisierten Verbrechen eine offene Flanke", sagte Rech. Den "gläsernen Bürger" wolle aber auch die CDU nicht. (Stefan Krempl) / (spo)