SPD-Sprecher hält Online-Razzien derzeit für unverantwortbar

Die SPD-Bundestagsfraktion hat einen Katalog mit 45 offenen Fragen zu heimlichen Online-Durchsuchungen ans Bundesinnenministerium geschickt und will sich vor deren Klärung nicht auf das Ermittlungsinstrument einlassen.

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Die SPD-Bundestagsfraktion hat einen Katalog mit 45 offenen Fragen zu heimlichen Online-Durchsuchungen ans Bundesinnenministerium geschickt. Vor der Klärung der Ungewissheiten, die sowohl rechtliche als auch technische Aspekte betreffen, wollen sich die Sozialdemokraten nicht auf das umkämpfte Ermittlungsverfahren einlassen. Eine rasche Einigung im Dauerstreit innerhalb der großen Koalition um die Online-Durchsuchung im Rahmen der Novelle der Befugnisse für das Bundeskriminalamt (BKA) ist damit weiterhin nicht in Sicht. "Aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion bleibt es dabei: Die Bedenken müssen ausgeräumt, die kritischen Fragen beantwortet und das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur Klage gegen die nordrhein-westfälische Online-Durchsuchung abgewartet werden", betonte der medienpolitische Fraktionssprecher Jörg Tauss gegenüber heise online. "Anders ist ein so weit reichendes Ermittlungsinstrument nicht verantwortbar."

Laut Tauss lassen die Pläne von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und der Union rund um die Ausforschung von Festplatten privater PCs und Speicherplattformen im Netz nach wie vor viele Aspekte offen. Nicht nur bei der Installation der Überwachungssoftware, bei der das BKA als Strafverfolgungsbehörde unlängst eine offline in "Agentenmanier" zu installierende Variante ins Spiel gebracht hat, sehe die SPD viele Fragezeichen. Auch die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen der Maßnahme, die tief in die Privatsphäre der Nutzer und möglicherweise auch in den Kernbereich der privaten Lebensführung eindringe, müssten noch "hinreichend geklärt und die Notwendigkeit eines solchen Instruments dargelegt werden".

Konkret hat der Medienpolitiker vor allem eine Bedingung im Blick: Aus "datenschutz- und persönlichkeitsrechtlicher Perspektive" wäre die Ermöglichung einer solchen heimlichen Ermittlungsmethode nur dann hinnehmbar, wenn dabei mindestens derselbe Schutz höchstpersönlicher Lebensbereiche gewahrt bleibe, wie ihn das Bundesverfassungsgericht beim großen Lauschangriff vorgegeben hat. Dies sei "zwingend geboten", da die Maßnahme in ihrer "Eingriffstiefe" der Überwachung des "Schlafzimmers" gleich komme. Der "Kernbereichsschutz" müsse daher – genauso wie bei allen anderen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen – gewahrt bleiben. "Es geht nicht an", warnte Tauss auch den Koalitionspartner, "dass der Deutsche Bundestag in Bürgerrechtsfragen ständig von höchstrichterlichen Gerichten korrigiert werden muss."

Sorgen macht sich die SPD-Fraktion gemäß dem Fragenkatalog auch um die "Nebenwirkungen" heimlicher Online-Razzien. "Unausgegorene Ermittlungsinstrumente und eine unausgereifte Technik können nicht nur eine erhebliche Gefahr für den Wirtschafts- und Forschungsstandort Deutschland – Stichwort: Wirtschaftsspionage – darstellen", moniert Tauss. Vielmehr würde im schlimmsten Fall "Tür und Tor für ein Ansteigen jeglicher Kriminalität in weltweiten Datennetzen geöffnet".

Im Einzelnen interessiert sich die SPD-Fraktion auf ihrer sieben Seiten langen Liste unter anderem für die geplante Beweissicherung bei der Festplattenbeschnüffelung. Ihrer Ansicht nach lassen sich bei der Online-Beobachtung anders als in der gängigen Computerforensik Speichersysteme nach der Beschlagnahme nicht "einfrieren", sodass die Daten im Nachhinein ohne den Einsatz komplizierter elektronischer Signierverfahren verändert werden könnten. Selbst ein "digitales Richterband" in Form eines Logs, wie es SPD-Fraktionschef Peter Struck im Anklang an Überlegungen der Union zum Kernbereichsschutz jüngst ins Auge fasste, lasse sich manipulieren. Dabei sei dieser Missbrauch für einen die Daten überprüfenden Richter nicht nachweisbar. Sollte die Beweissicherheit aber nicht als notwendig angesehen werden, fürchten die Genossen einen "weiterer Schritt zur 'Vernachrichtendienstlichung' der Polizei". Hier wird das Innenministerium daher um eine Abgrenzung der Arbeit zwischen Strafverfolgern und Geheimdiensten gebeten.

Genauer wissen will die SPD zudem, was mit den "Suchbegriffen" gemeint sei, mit dem das Schnüffelwerkzeug laut BKA operieren soll. Es sei unverständlich, wie ein Ermittler oder gar die Software ahnen könne, "unter welchen Begriffen Terroristen ihre Pläne auf ihrer Festplatte speichern". Auskunft soll das Innenministerium ferner etwa darüber geben, ob die technischen Möglichkeiten der Online-Durchsuchung etwa auch zu einer "dauerhaften akustischen und visuellen Raumüberwachung verwendet" werden. Auskunft nötig sei ferner, ob auch Mobilgeräte wie Handys und BlackBerries oder Infrastrukturkomponenten untergeordneter Netzebenen wie Router, Switches oder Einrichtungen am zentralen deutschen Netzknotenpunkt DE-CIX als "informationstechnische Systeme" ausgespäht oder für Aufklärungszwecke herangezogen werden sollen. Zu guter letzt interessiert die Fraktion brennend, welche Software Verfassungsschützer bei den bereits ohne Rechtsgrundlage durchgeführten Online-Durchsuchungen verwendeten, wer sie hergestellt und wer unabhängig ihre Funktionsweise geprüft hat.

Der Kölner Medienrechtler Marco Gercke warnte derweil vor einer Überbewertung der Erfolgschancen des so genannten Bundestrojaners durch die Sicherheitsbehörden. Es werde den Sicherheitsbehörden in der Regel nicht gelingen, die Spionagesoftware über E-Mails oder Datenströme in die Rechner mutmaßlicher Krimineller einzuschleusen, meinte Gercke in einem dpa-Interview. Vermutlich bleibe den Behörden ohnehin nur, in die Wohnungen der Betroffenen einzudringen und das Programm auf deren Rechner zu spielen. "Und dann ist die Frage: Brauche ich die Online-Durchsuchung noch?" Seine Kritik verdeutlichen will Gercke am Freitag auf dem Chaos Communication Camp, dem offiziell morgen startenden Hackerzeltlager im brandenburgischen Finowfurt.

Die heimliche Online-Durchsuchung von Computern stößt bei vielen Datenschützern und Juristen auf Skepsis. Sie melden grundsätzliche Bedenken an und warnen vor eventuell angestrebten Grundgesetzänderungen. Siehe dazu:

Zu den Auseinandersetzungen um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)