Bundesregierung verteidigt Identifikationszwang für Telefon- und Handynutzer

Im Rahmen der vom Bundesverfassungsgericht behandelten Beschwerde gegen erweiterte Auskunftsbefugnisse im Telekommunikationsgesetz kommen Rechtsexperten und Datenschützer zu völlig unterschiedlichen Auffassungen.

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Die Bundesregierung hält mit Nachdruck am Identifikationszwang von Telefonkunden im Festnetzbereich und Mobilfunk sowie an der automatisierten Abfragemöglichkeit der damit erfassten Bestandsdaten fest. Dies geht aus einer jetzt veröffentlichten über 100-seitigen Stellungnahme (PDF-Datei) hervor. Ein Öffentlichkeitsrechtler der Universität Bayreuth hat die Stellungnahme im höchstrichterlich ausgetragenen Streit um die 2004 erweiterten Überwachungsverpflichtungen von Telekommunikationsanbietern im heftig umstrittenen Telekommunikationsgesetz (TKG) für die Regierung verfasst. Der Zugriff auf die persönlichen Informationen hat sich demnach zu einem unverzichtbaren Ermittlungsinstrument in der täglichen Praxis der Sicherheitsbehörden entwickelt.

Das Bundesverfassungsgericht hat im vergangenen Jahr eine Verfassungsbeschwerde von drei Internetunternehmen teilweise zur weiteren Behandlung angenommen. Die Verfassungsrichter wollen gemäß ihrer Entscheidung die Paragraphen 95 Absatz 3, 111, 112 und 113 des TKG einer weiteren Prüfung unterziehen. Somit steht eine Überprüfung der Vorschriften an, die eine Pflicht zur Angabe persönlicher Daten wie Name, Anschrift oder Geburtsdatum bei der Anmeldung eines Telefon- oder Handyanschlusses vorsehen. Dieser Zwang bezieht sich auch auf den Kauf vorausbezahlter Karten im Mobilfunkbereich. Die Telekommunikationsunternehmen müssen die Daten ihrer Kunden zusammen mit der zugeteilten Rufnummer in eine Datenbank einstellen, auf die Strafverfolgungsbehörden in einem größtenteils automatisierten Verfahren Zugriff haben. Dies erscheint den Beschwerdeführern als unverhältnismäßiger Grundrechtseingriff.

Die Stellungnahme der Bundesregierung hält dagegen, dass die beklagten Auskunftsverfahren zu Unrecht "in den größeren Kontext einer angeblichen Gesamttendenz zu immer weiter gehenden und vielfach neuartigen Überwachungsbefugnissen der Sicherheitsbehörden im Zuge der Bekämpfung neuartiger Gefahrenlagen gestellt und geradezu als Beispiel für diese Gesamttendenz präsentiert" würden. Die Grundentscheidung, dass Bestandsdaten für die Sicherheitsbehörden zugänglich sein sollen, könne bereits auf eine jahrzehntelange Praxis zurückblicken. Mit der TKG-Novelle in 2004 sei es "nur im Detail sei es zu sachlichen Änderungen gekommen". Neben der teilweisen Begrenzung der am automatisierten Auskunftsverfahren teilnehmenden Unternehmen auf öffentliche Anbieter seien zwar auch "einzelne Ausweitungen" zu verzeichnen. Es handle sich dabei aber um den Versuch, "in der Praxis des Abrufverfahrens zu Tage getretene Lücken zu schließen und insbesondere Prepaid-Produkte zu erfassen sowie die Suche mit Hilfe einer Ähnlichkeitsfunktion zu vereinfachen".

Die "punktuellen Ausweitungen des Kreises der zu Auskunftsersuchen im automatisierten Verfahren berechtigten Behörden" sind dem Papier zufolge überwiegend Konsequenz geänderter oder neuer Zuständigkeiten. Dazu gekommen sei eine "Klarstellung", dass die Abfrage der Daten nicht dem Fernmeldegeheimnis unterlägen. Die Bedeutung des Auskunftsrechts in Bezug auf Bestandsdaten sei in den letzten Jahren stark gewachsen, heißt es weiter: So sei ein Anstieg der automatisierten Auskunftsverfahren von 1,5 Millionen im Jahr 2001 auf 3,4 Millionen im Jahr 2005 zu verzeichnen gewesen – das entspricht über 9000 Abfragen täglich. Dieser sei aber nicht Ausdruck eines sorglosen Umgangs mit der Auskunftsbefugnis und habe auch nichts mit der geänderten Befugnisstruktur zu tun. Vielmehr müsse man das "dramatisch geänderte Telekommunikationsverhalten der Bevölkerung im Allgemeinen" und der für die Sicherheitsbehörden "relevanten Personengruppen im Besonderen" mit verstärkter Handynutzung in Betracht ziehen.

Die "völlige Verdachtslosigkeit der Datenvorhaltung" hat zudem dem umfangreichen Dokument nach zur Folge, dass von der Erfassung und Speicherung "nicht die geringste abstempelnde oder stigmatisierende Wirkung" ausgehe, rüstet die Bundesregierung anscheinend – angesichts einer auch dazu angekündigten Verfassungsbeschwerde – bereits mit für eine mögliche Verteidigung der geplanten sechsmonatigen verdachtsunabhängigen Vorratsspeicherung von Verbindungs- und Standortdaten. In diesem Rahmen der Reform der TK-Überwachung ist auch eine neue Ausweitung der Identifizierungspflichten auf E-Mail-Konten vorgesehen.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar beanstandet in seiner Stellungnahme derweil, dass die erweiterte Bestandsdatenregelung "in keinem Verhältnis zu einem völlig ungewissen und unbestimmten möglichen Nutzen der Speicherung" stehe. Straftäter könnten die Maßnahme durch den Einsatz von Strohleuten und den Tausch von Prepaidkarten leicht umgehen. Im Ausland gebe es zudem eine derartige "Datenerhebung auf Vorrat" nicht. Die staatlichen Zugriffsrechte seien ferner "zu weitgehend und zu unbestimmt". 14 Landesdatenschutzbeauftragte schließen sich dieser Auffassung in eigenen Positionspapieren generell an.

Der Berliner Anwalt der Beschwerdeführer, Meinhard Starostik, pocht in seiner aktuellen Erwiderung (PDF-Datei) auf die Eingabe der Bundesregierung zudem auf ein Recht auf Anonymität im Telekommunikationssektor. Wer etwa eine politische Demonstration vorbereite oder gegenüber der Presse vertraulich Missstände aufdecken wolle, habe ein berechtigtes Interesse an der Nutzung einer behördlich unregistrierten Mobiltelefonkarte. Das TKG erlaube die Identifizierung von Anrufern und Internetnutzern schon zur Verfolgung von Parksündern, kritisiert das Papier weiter. Geheimdienste dürften ohne richterliche Genehmigung Passwörter für E-Mail-Postfächer abfragen. Insgesamt habe die Stellungnahme der Regierung "einseitig nur die Effektivität staatlichen Handelns und der möglichst leichten staatlichen Überwachung der Bevölkerung im Blick. Die dem Grundgesetz zugrunde liegenden historischen Erfahrungen würden zeigen, "dass es langfristig dem Interesse unserer Gesellschaft zuwider läuft, den Staat um jeden Preis nach 'Sicherheit und Ordnung' streben zu lassen".

"Immer öfter verabschiedet die Politik verfassungswidrige Gesetze", ergänzt der Jurist Patrick Breyer, der die Verfassungsbeschwerde initiiert hat. Niemand wolle dem Staat zielgerichtete Ermittlungen wegen schwerer Straftaten verbieten. Der Gesetzgeber verliere aber zunehmend jedes Maß und stelle blindwütig alle unter Generalverdacht. Breyer ist dagegen der Ansicht, dass "der permanente Sicherheitsaktionismus der Politik Geld und politische Energie vergeudet, die anderswo fehlen". (Stefan Krempl) / (jk)