"Das hätten wir uns früher nicht getraut"

Das Zentrum des internationalen Fotojournalismus – nicht weniger will das Lumix-Festival 2012 sein. Und diesmal waren die Macher bei der Themenwahl besonders mutig.

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Von
  • Sophia Sieber

Verlassene, vollgemüllte Räume, leere Stühle vor kahler weißer Wand, verwelkte Pflanzen: Stefan Kochs Bilder vom Niedergang des deutschen Traditionskonzerns Quelle sind wenig journalistisch, dafür umso dokumentarischer. Seine Serie "Meine Quelle", die auch als zeitgenössische Kunst durchgehen könnte, gehört zu 60 Arbeiten, die in diesem Jahr beim Lumix Festival für jungen Fotojournalismus gezeigt werden. Dass sie hier ihren Platz findet, dafür ist das Team um Rolf Nobel, Kopf des Festivals, verantwortlich. Für "Meine Quelle" findet er klare Worte: zu spröde, zu blutleer, zu stylisch für klassischen Fotojournalismus. "Bei den ersten zwei Lumix Festivals hätten wir und das noch nicht getraut", sagt Nobel.

Lumix Festival 2012: "Meine Quelle" (5 Bilder)

Meine Quelle

"Meine Quelle" ist Stefan Kochs Diplomarbeit an der Fachhochschule Hannover. Er ist einer von zwei Absolventen der Hochschule, die in diesem Jahr beim Lumix Festival für jungen Fotojournalismus ausstellen. Dabei ist seine Arbeit nicht klassisch journalistisch, sondern eher dokumentarisch. (Bild: Stefan Koch)

Für den Fotografieprofessor erzählt guter Fotojournalismus eine Geschichte, weckt Empathie, nimmt Anteil und hat eine emotionale Seite. Kochs Bilder dagegen sind emotionslos und unterkühlt. Die Fotos sind ein Auslöser für eine Geschichte, die sich letztlich nur im Kopf des Betrachters abspielt.

Die ganzheitliche Darstellung des Lebens

Nobel und sein Team haben sich bewusst auch für solche Arbeiten entschieden, denn die Haltung des Festivals will den Wandel des Fotojournalismus an sich widerspiegeln. Und längst hätten Magnum-Fotografen wie Alec Soth oder Martin Parr die Schranken der erzählerischen Fotografie gebrochen, so Nobel: "Und da haben wir gesagt: 'Wenn die das können, dann können wir das auch!'"

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Nobel versteht unter Fotojournalismus die ganzheitliche Darstellung des Lebens. Die Lumix-Macher haben deshalb beim Kuratieren die Übermacht der klassischen Elends-, Kriegs- und Kriminalitätsfotografie korrigiert: Neben dem arabischen Frühling, Fukushima und Griechenland, zeigen die etwa 1400 Fotos des Festivals komische, surreale und anrührende Geschichten.

Bessere Chancen für die eigenen Studenten

Foto aus der Serie "Zwei Bier für Haiti"

(Bild: Nathalie Mohadjer)

Nathalie Mohadjers "Zwei Bier für Haiti" ist ein Beispiel dafür. Ihre Arbeit über ein Obdachlosenheim in Weimar lebt von der Selbstinszenierung der Bewohner, die sie über einen langen Zeitraum hinweg begleitet hat: Die Obdachlosen tarnen sich als Couchkissen, verstecken sich hinter Zigarettenrauch, schneiden Grimassen. Inszenierung und Journalismus, das passt eigentlich nicht zusammen. Bei Lumix 2012 schon.

Als Vorreiter sehen sich die Hannoveraner aber dennoch nicht: "Das Image des Trendsetters, das würde ich uns nicht überstülpen wollen", so Nobel. Vielmehr soll Lumix zu der Plattform für den internationalen Austausch zwischen (nicht nur) jungen Fotografen werden. Noch fehle der völlig. "Keiner weiß, was die in Amerika machen, wenn nicht mal ein Student ins Ausland geht und dann erzählt, was die dort machen", scherzt der Professor. Dabei lebt der Beruf von einem fruchtbaren Netzwerk. Eine Woche lang sei Hannover das Zentrum des Fotojournalismus weltweit. Für die Hannoveraner Studenten habe das einen großen Nutzwert. Sie bekommen hier die Möglichkeit, sich international bekannt zu machen und Kontakte für spätere Jobs zu knüpfen.

Fotojournalismus schätzen lernen

Das ist auch bitter nötig, denn die Aussichten für die Branche sind derzeit trüb. Laut einer Freelens-Studie unter knapp 760 Fotografen aus dem Jahr 2009 haben etwa 60 Prozent von ihnen ein Nettojahreseinkommen von maximal 30.000 Euro. 70 Prozent gingen damals davon aus, dass sich ihre finanzielle Lage weiter verschlechtert. Selbst Stars der Branche, wie Fotografen der renomierten Agentur Magnum, könnten nicht mehr nur von ihren Fotoaufträgen leben, so Nobel. Viele verdienten mit Workshops ihren eigentlichen Lebensunterhalt.

Lumix Festival 2012: Auswahl der Ausstellungen (18 Bilder)

Kai Löffelbein "Kids of Sodom"

Dieses Bild aus Kai Löffelbeins Reportage "Kids of Sodom" wurde 2011 bereits zum UNICEF-Foto des Jahres gekürt. Es zeigt einen riesigen Elektroschrottplatz in Ghanas Hauptstadt Accra. Größtenteils sind es Kinder, die dort bis zu zwölf Stunden am Tag die Geräte ohne Schutzmaßnahmen verbrennen und sich gefährlichen toxischen Gasen aussetzen. (Bild: Kai Löffelbein)

Die Fotografen sollen beim Lumix nicht nur unter sich bleiben. Nobel wünscht sich auch, dass es Menschen dazu befähigt, gute Fotografie zu erkennen – nicht ganz uneigennützig natürlich: "Wenn die Menschen gute Fotografie schätzen lernen, wird sich das auch in den Verkaufszahlen der Magazine abzeichnen und wir bekommen bessere Honorare." Die Kosten werden für Fotointeressierte deshalb möglichst gering gehalten. Für sieben Euro kommen die Besucher an allen fünf Tagen auf die Messe. Das soll auch Besucher anlocken, die noch nie eine Galerie von Innen gesehen haben.

Zukunft von Lumix ungewiss

Lumix ist ein Festival, das größtenteils von Studenten erschaffen wird.

(Bild: Fachhochschule Hannover, Fakultät III - Medien, Information und Design )

"Das Festival ist unplugged, handgemacht", sagt Professor Nobel.

(Bild: Fachhochschule Hannover, Fakultät III - Medien, Information und Design )

Für die Hochschule Hannover könnte das Lumix Festival das Aushängeschild sein, immerhin macht es Zehntausende auf die Lehre in der Messestadt aufmerksam. Doch unter der Ägide der Fachhochschule könnte das Festival das letzte Mal stattfinden. Für die Hochschule unterliegt Lumix der Trennungsrechnung, weil es kommerziellen Charakter habe. Das führt dazu, dass ein bestimmter Prozentsatz an Kosten – etwa für Personal und Gebäudetechnik – mit in die Festivalkalkulation eingerechnet werden muss – Kosten, die eigentlich nicht entstehen, da die Lumix-Organisatoren weder Miete, noch für Technik oder die Dienstleistungen der Studenten bezahlen müssen. "Das führt dazu, dass wir sehr viel Geld an die Hochschule geben müssen. Geld, das wir nie wieder sehen werden", so der Professor. Derzeit denken Nobel und seine Kollegen deshalb darüber nach, einen Trägerverein zu gründen.

Dass es bald eine Fotoserie zum Niedergang des Lumix Festivals mit Bildern verwaister, zugemüllter Hallen, vergessener Andenken oder verwelkter Blumen geben wird, ist unwahrscheinlich. Die Hannoveraner machen in jedem Fall weiter. Den Standort auf dem Expo-Gelände wollen sie auch nicht aufgeben. Und so werden die Besucher von den Querelen um das Festival nichts mitbekommen.

Das Lumix-Festival für jungen Fotojournalismus findet vom 13. - 17. Juni auf dem ehemaligen EXPO-Gelände in Hannover statt. Es ist täglich von 10 bis 20 Uhr geöffnet. Der Eintrittspreis liegt bei 7 Euro für alle fünf Tage, ermäßigt kostet das Lumix-Ticket 5 Euro. (ssi)