WOS 4: Die große Schau des freien Wissens [Update]

Die vierte Wizards of OS will zeigen, wie das Internet, Open Source und neue Freiheiten im Umfang mit Informationen Individuen, Gemeinschaften und Kulturen ermächtigen. Doch es gibt auch Warnungen vor zuviel Offenheit.

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Die vierte Wizards of OS (WOS 4) will von Donnerstag an in der Columbiahalle in Berlin zeigen, wie das Internet, Open Source und neue Freiheiten im Umfang mit Informationen Individuen, Gemeinschaften und Kulturen ermächtigen. Die Leute sähen Veranstaltungen zu Open Biotech, Netlabels oder Copyright in Brasilien und würden sich fragen, was der Aufhänger dafür sei, erklärte der Organisator der Tagung, Volker Grassmuck, auf einer Pressekonferenz am heutigen Dienstag. Für ihn ist es das "gemeinsame Interesse für die digitale Revolution, für das Potenzial für Autonomie und Kreativität sowie für die freie Kultur." Im Kern der Debatte werde zudem die Frage stehen, wie man mit "freien Bits" Geld verdienen und tragbare Gesellschaftsstrukturen aufbauen kann.

Claudio Prado, Leiter der Abteilung für Digitale Kultur im brasilianischen Kulturministerium, ist Brasilien ein Vorreiter der Entwicklung. Er verwies etwa auf die rund 500 "Pontos de Cultura", die in dem südamerikanischen Land in den vergangenen Jahren entstanden seien. Das dahinter stehende Regierungsprogramm erlaube es den Nutzer, den Cyberspace vor Ort über die Medienzentren zu erreichen und ihre Ideen auszutauschen. Die dort versammelten Kulturschaffenden würden lernen, ihre Songs oder sonstigen Medienwerke unter "Creative Commons"-Lizenzen (CC) zu verbreiten. Davor hätten die meisten von ihnen "noch nie etwas von Urheberrecht und Patenten gehört". Nun würde es für sie erst verständlich, dass sie ihre Kreationen in gewisser Weise und in verschiedenen Abstufungen schützen und Wissen gleichzeitig doch verbreiten können.

Am wichtigsten erscheint es dem Regierungsvertreter, den Menschen Werkzeuge in die Hand zu geben und sie damit einfach machen zu lassen. Jobs und soziale Absicherung erwarte in Brasilien keiner mehr, betonte Prado. Es gehe also darum, Kreativität im Umgang mit den neuen Medien und über die abgemilderten Copyright-Formen eventuell auch Einkommensmöglichkeiten zu fördern. Als Beispiel nannte Prado die Entwicklung lokaler TV-Stationen, die Inhalte via Streaming über das Internet verbreiten. Wenig Wert sieht der Brasilianer im Rahmen seiner Idee freier Netzgesellschaften in den etablierten Medienkonzernen, Regulierungsinstanzen oder gar der Regierung. Sein Ministerium etwa arbeite in der Hoffnung, selbst bald nicht mehr gebraucht zu werden.

Ronaldo Lemos, Projektleiter Creative Commons Brazil, ergänzte Prados Bericht mit Einblicken in die "Krise in der Art und Weise, wie traditionelle Medienhäuser den Zugang zum Wissen handhaben". SonyBMG, die größte in Brasilien tätige Plattenfirma, bringe etwa im Jahr nur 15 CDs mit brasilianischer Musik heraus. Buchläden gebe es nur wenig, große Zeitungen würden im Jahr 30 Prozent ihrer Leser verlieren. Das "Creative Commons"-Modell werde dagegen in hohem Maße angenommen. So seien gerade erstmals ein Kartenspiel und ein Kinofilm mit den noch vergleichsweise jungen Lizenzformen veröffentlicht worden.

Die CC-Unterstützer wollen mit ihren auch für Deutschland adaptierten Lizenzformen einen großen weltweiten Pool an Medieninhalten schaffen, die komplett oder für nicht-kommerzielle Zwecke zum freien Download und zum Remixen freigegeben sind. Anders als beim gängigen Urheberrecht oder beim Copyright US-amerikanischer Prägung behalten sich die Künstler dabei nur einige ihrer Rechte vor, während sie die Nutzungsmöglichkeiten für Dritte erhöhen. Das Konzept geht zurück auf Lawrence Lessig, einem Rechtsprofessor an der Stanford University und Vordenker für einen neuen Umgang mit geistigem Eigentum.

Lessig wird erneut einer der "Stars" der WOS sein und nach einem Abendvortrag am Donnerstag zwei Tage später bei der großen "Show des Freien Wissens" auftreten. Die Konferenzmacher experimentieren dabei mit einem Format, "das weltweit einzigartig ist", erklärt der Show-Organisator Matthias Spielkamp. Netlabel-Musiker und DJs etwa würden dabei auf der Bühne Mixe erstellen, die dann untermalt von Erklärungen Lessigs direkt unter eine CC-Lizenz gestellt würden. Geboten würde eine unterhaltsame und allgemeinverständliche Aufbereitung der komplexen Materie, eine echte Fernsehshow eben.

Zwei Frauen oblag es während des Pressegesprächs, ein wenig Wasser in die Euphorie zu träufeln. Die US-amerikanische Kommunikationswissenschaftlerin Sandra Braman verwies auf Gefahren, welche die offene Verbreitung von Informationen und Wissen auch mit sich bringe. Weblogs etwa, die eine Übersicht über eine Vielzahl an persönlichen Standpunkten liefern, werden ihrer Ansicht nach bereits dazu missbraucht, um Gegner spezieller politischer Bewegungen oder Regierungskritiker ausfindig zu machen.

"Die Überwachungsbewegung wächst schneller" als die Transparenzverfechter sich dies wünschen würden, gab die Forscherin zu bedenken. Im Biotechnologie-Sektor gebe es Parallelen beim offenen Zugang zum menschlichen Genom. Dieser könne "wunderbare Forschungsarbeiten" ermöglichen, aber auch die Entwicklung von Methoden zur Identifizierung von Menschen mit Genomschwächen. Braman ist sich sicher: "Je mehr Offenheit wir haben, desto größer sind auch die Gefahren für die Bürgerrechte und die Transparenz." Die Hamburger Künstlerin Cornelia Sollfrank will zudem auf einem Workshop zu" Kunst & Copyright" neben einer Betrachtung der gesetzlichen Grauzonen beim Erstellen von Samples oder Collagen die in dem Umfeld fast schon ketzerische Frage aufwerfen, "inwieweit die offenen Lizenzen tatsächlich erfolgreich sind."

[Update]:
Sowohl die WOS 4 selbst als auch die "Show des Freien Wissens" finden in diesem Jahr übrigens als Teil des Informatikjahrs statt, das 2006 die Reihe der Wissenschaftsjahre fortsetzt. (Stefan Krempl) / (jk)