Einfach, preiswert, gut?

Kostengünstige Schnelltests sollen helfen, tödliche Krankheiten wie Aids oder Malaria auch in armen Ländern rechtzeitig zu erkennen und richtig zu behandeln. Doch nicht alle Produkte halten, was sie versprechen.

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Von
  • Susanne Donner

Kostengünstige Schnelltests sollen helfen, tödliche Krankheiten wie Aids oder Malaria auch in armen Ländern rechtzeitig zu erkennen und richtig zu behandeln. Doch nicht alle Produkte halten, was sie versprechen.

In Nicaragua, wo im Schnitt Strecken von 50 Kilometern die Bewohner vom nächsten Aids-Test trennen, treibt die Furcht vor dem schleichenden Tod jedes Jahr mehr als hunderttausend Menschen in die Gesundheitszentren der Großstädte. Sie wollen Gewissheit, obwohl die Diagnose "HIV-positiv" viele weitere beschwerliche Reisen um das Überleben bedeutet. Es gibt inzwischen viele Wirkstoffe gegen das Aids-Virus, aber keines der Medikamente kann die Krankheit heilen.

Viele der Präparate verursachen schwerwiegende Nebenwirkungen, daher ist eine Therapie erst sinnvoll, wenn das Immunsystem des Betroffenen bereits deutlich geschwächt ist. Als Faustregel gilt: Erst wenn das Virus beginnt, die Zahl der CD4-Immunzellen unter 350 pro Mikroliter Blut zu drücken, sollte die antivirale Therapie beginnen. Zuvor belastet sie den Körper nur unnötig. Nur Ärzte in der Hauptstadt Managua können diese kritische Größe im Blut bestimmen.

Das kostet Zeit, mindestens 20 Tage, und Geld. Allein der Test, ohne die Reise, verschlingt 100 US-Dollar, etwa das Doppelte eines durchschnittlichen Monatseinkommens. Das sind große Hürden für die Diagnose nur einer Krankheit. Da wundert es kaum, dass nicht einmal jeder zweite Nicaraguaner, der eine HIV-Therapie benötigen würde, diese auch bekommt. Eine Million Menschen sterben laut Weltgesundheitsorganisation jedes Jahr an Malaria, und fünf Millionen fallen Aids und Tuberkulose zum Opfer – oft auch, weil die Krankheit viel zu spät oder gar nicht diagnostiziert wurde.

Jean-François de Lavison kritisiert: "Gute Diagnostik beeinflusst 70 Prozent der gesundheitsrelevanten Entscheidungen. Aber dafür werden nur drei Prozent des weltweiten Gesundheitsbudgets ausgegeben." In Entwicklungsländern ist der Anteil noch viel geringer. Rund 80 Prozent der 35 Milliarden US-Dollar Umsatz mit Diagnostika erzielt die Pharmaindustrie in Japan, den USA und Europa. De Lavison, jahrzehntelang Manager eines französischen Unternehmens und Vorsitzender des Europäischen Diagnostikverbandes EDMA, ertrug diese Schieflage nicht länger. Im Jahr 2010 gründete er das Beratungsunternehmen Ahimsa mit dem Ziel, die diagnostische Versorgung der Entwicklungsländer zu verbessern. Das freut nicht nur die armen Länder, sondern auch europäische, US-amerikanische sowie indische und chinesische Unternehmen, die in portable, preiswerte Schnelltests investieren. Solche sogenannten Point-of-Care-Tests – kurz POC-Tests – sind einfach, billig, funktionieren an jedem Ort und amortisieren sich trotz kleiner Gewinnspanne über die große Anzahl von potenziellen Abnehmern, spekulieren die Unternehmen.

"POC-Tests gibt es inzwischen für HIV, Syphilis und Malaria", sagt Diagnostikexpertin Rosanna Peeling von der London School of Hygiene and Tropical Medicine. Verläss-liche Schnelltests für die Bestimmung der CD4-Zellzahl im Blut von HIV-Infizierten allerdings fehlen noch. Um den Erfolg der Aids-Therapie auch in ärmeren Ländern auf eine sichere Basis zu stellen, hat die Stiftung des Software-Milliardärs Bill Gates und seiner Frau Melinda bereits 2005 über acht Millionen US-Dollar für die Entwicklung eines solchen Schnelltests ausgeschrieben. Die Herausforderung für die Unternehmen war groß: Sie sollten einen Test erfinden, der "bei kaum vorhandener Infrastruktur funktioniert, ohne Elektronik auskommt, einfach zu bedienen und billig ist", beschreibt Steven Reid, Leiter der Initiative vom Imperial College in London, die Herausforderung. Neben dem kalifornischen Start-up Zyomyx bewarben sich fünf weitere Unternehmen.

Doch nur eines konnte gewinnen. Der Sieger Zyomyx entwickelte ein Gerät, das einem Fieberthermometer ähnelt. Der Test klingt simpel: Ein paar Tropfen Blut aus der Fingerkuppe mit einer Flüssigkeit vermengen, die Markierungskügelchen enthält. Die CD4-Zellen binden spezifisch über Oberflächenmoleküle an die Kügelchen. Nach einigen Minuten wird die Blutprobe in ein thermometerähnliches Röhrchen gefüllt. Die Kügelchen sind so schwer, dass sie binnen 20 Minuten vollständig absinken und eine rote Säule bilden. Die Zellzahl wird entlang dieser Säule auf einer Skala abgelesen. "Das Verfahren ist sehr elegant, robust und schnell", sagt Reid.

Im vergangenen Jahr haben Mediziner das "HIV-Thermometer" in London an Patienten getestet und mit der Routine-Labordiagnostik verglichen. Die Ergebnisse wurden zwar nicht veröffentlicht, aber Reid beteuert: "Beide waren gleich gut." Zyomyx bereitet nun klinische Studien in Uganda vor. In ein bis zwei Jahren könnte das HIV-Thermometer in Entwicklungsländern auf den Markt kommen, hofft Reid. Statt der knapp hundert US-Dollar für die gängige Labordiagnostik werde der Test schätzungsweise nur sechs bis acht US-Dollar kosten.

Auch andere Unternehmen haben den Markt der Schnelltests im Visier. Das kalifornische Diagnostikunternehmen Cepheid brachte vergangenes Jahr eine tragbare Kassette auf den Markt, die bis zu sechzehn verschiedene Keime im Blut erfasst – allerdings nur Krankheitserreger der westlichen Zivilisationen. Der britische Konkurrent TwistDx sowie die chinesische Ustar Biotechnologies haben für nächstes Jahr ein ähnlich kompaktes portables Gerät für die Outdoor-Diagnose angekündigt.

Viele der preiswerten Schnelltests beruhen auf dem diagnostischen Standardverfahren des Immunoassays: Eine Markierungssubstanz bindet an krankheitsspezifische Antikörper oder an Oberflächenmoleküle auf Immunzellen. Allerdings: "Diese Methode ist nicht immer ausreichend empfindlich. Sie springt erst bei einigen Tausend Erregern im Blut an", sagt Forschungsleiter Bernhard Weigl vom Point-of-Care-Zentrum in Seattle, Washington. Um schon einen einzigen Keim im Blut zu erkennen, arbeitet man im Labor mit einem Trick: Man weist spezifische Abschnitte aus dem Erbgut des Erregers nach. Für die Vermehrung des Genabschnittes wird die Probe in Spezialgeräten wiederholt erhitzt und abgekühlt.

Weigl will das hochempfindliche DNA-Nachweisverfahren in die Mangrovenwälder und Savannenregionen bringen. Dafür entwickelt er einen Laborchip mit stromloser Heizung. Dabei setzt er auf Calciumoxid, das heiß wird, wenn man Wasser daraufträufelt. Die Temperatur lässt sich über das Verhältnis von Wasser und dem gebrannten Kalk exakt einstellen. Die Wärme beschleunigt die Vervielfältigung des krankheitsspezifischen Genabschnitts auf dem Chip. In weniger als einer Stunde könne man so im Blut alle erdenklichen Krankheitserreger diagnostizieren. "Ganz ohne Labor", versichert Weigl. Testsets für Tuberkulose, Malaria, Typhus, Denguefieber, die Chagas-Krankheit sowie für die gefürchtete afrikanische Schlafkrankheit könne man in einer Kassette der Größe eines Feueranzünders unterbringen.

Die Londoner Diagnostikexpertin Peeling ist skeptisch: "Verunreinigungen könnten das Ergebnis außerhalb des Labors verfälschen", befürchtet sie. Weigl jedoch wiegelt ab. Das sei kein unlösbares Hindernis, so der Forscher. Ob die neuen Tests halten, was sie versprechen, wird sich erst in der Praxis herausstellen. In vielen armen Ländern gibt es keine gesetzlichen Auflagen für die Diagnostik. "Diese Lücke nutzen Firmen aus und probieren ihre Erfindungen ungeprüft aus", klagt Tikki Pang, Leiter der Abteilung Forschungspolitik bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf. Die Qualität der Schnelltests sei oft schlecht. Bei Malaria liegt die Trefferquote nur bei 60 Prozent, und Tuberkulose-Kits funktionieren überhaupt nicht. "Eine falsche Diagnose ist genauso schlimm wie ein falsches Medikament", echauffiert sich Pang. Kranke werden für gesund erklärt und Gesunde krank gemacht. Um den Diagnosepfusch einzudämmen, will die WHO Mindestanforderungen definieren. Ohne seriöse Studien soll es künftig nicht mehr gehen. (bsc)