Eine Frage der Programmierung

Mit seiner Arbeit „On Computable Numbers“ legte Alan Turing 1936 den Grundstein der heutigen Informatik. Am 23. Juni 2012 wäre der brillante Wissenschaftler 100 Jahre alt geworden.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 23 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Michael Riepe

Über Alan Mathison Turings Leben und Werk, seine Rolle im 2. Weltkrieg und die Umstände seines Todes im Alter von knapp 42 Jahren ist bereits genug geschrieben – nicht zuletzt aus Anlass des Alan-Turing-Jahres 2012. Lassen wir ihn deshalb lieber selbst zu Wort kommen.

„Ich glaube, in etwa 50 Jahren wird es möglich sein, Computer mit einer Speicherkapazität von etwa 109 so zu programmieren, dass sie das Imitation Game so gut spielen, dass ein durchschnittlicher Fragesteller eine höchstens 70-prozentige Chance hat, nach 5-minütiger Befragung die richtige Identifizierung vorzunehmen,“ schrieb Alan Turing 1950 in „Computing Machinery and Intelligence“. Die Aussage bezieht sich auf das, was wir heute den „Turing-Test“ nennen: Ein Fragesteller kommuniziert elektronisch mit einem Menschen und einem Computer und muss herausfinden, welcher von beiden der Mensch ist.

Wäre Turing noch am Leben, wäre er vermutlich begeistert von modernen Computern, deren Speicherkapazität die prognostizierten 109 Bit mittlerweile weit überschreitet, und deren Arbeitstempo um etliche Größenordnungen über dem liegt, das Turings eigene Computer erreichten. Sein Glaube, dass man um die Jahrtausendwende von denkenden Maschinen sprechen könne, ohne Widerspruch erwarten zu müssen, erwies sich hingegen als falsch. Andererseits hatte er selbst die Frage, ob Maschinen denken können, als „zu bedeutungslos, um eine Erörterung zu verdienen“ verworfen, und den Turing-Test als Alternative vorgeschlagen.

„Unsere Aufgabe ist es dann, herauszufinden, wie man diese Maschinen programmiert, das Spiel zu spielen,“ schrieb Turing in derselben Arbeit und schätzte den Aufwand anhand seines eigenen Arbeitstempos auf 3000 Mannjahre – 60 Programmierer, die 50 Jahre lang arbeiten. Dass eines Tages jeder Mensch einen Computer besitzen und sich die Softwareentwicklung zu einem Milliardengeschäft entwickeln würde, ging offenbar weit über Turings Vorstellungskraft hinaus. Doch natürlich konnte er nicht ahnen, dass die Elektronik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts rasante Fortschritte machen würde.

In anderen Punkten war Turing hingegen zu optimistisch. So schrieb er etwa: „Wir dürfen hoffen, dass Maschinen irgendwann in allen rein intellektuellen Bereichen mit Menschen konkurrieren.“ Dazu ist es bislang nicht gekommen. Schachcomputer können zwar nahezu jeden Spieler besiegen, weil sie schneller rechnen und mehr Züge im Voraus analysieren. Doch mit intellektueller Leistung hat das wenig zu tun – es sei denn, man bezieht sich auf die intellektuelle Leistung der Softwareentwickler. In einem Punkt hatte Turing nämlich völlig recht: „The problem is mainly one of programming.“

Ein Computer der Art, wie Turing ihn beschrieb und wie wir ihn im Prinzip heute noch benutzen, kann nur das tun, wozu er programmiert wurde. Das war Turing durchaus bewusst. Zwar schrieb er in „Computing Machinery and Intelligence“ über Computer, doch was er tatsächlich meinte, waren die Programme, die auf den Computern laufen – die Software, die Algorithmen. Die Hardware ist und war immer Nebensache: „Alle digitalen Computer sind in gewisser Hinsicht gleichwertig.“

Angesichts des hohen Entwicklungsaufwands für ein KI-Programm suchte Turing nach einer Abkürzung. Er spekulierte, dass der Verstand eines Kindes leichter zu simulieren sei als der eines Erwachsenen, und dass seine „Ausbildung“ mit etwa demselben Aufwand zu bewerkstelligen sei wie die Erziehung eines menschlichen Kindes. Die Idee, eine lernfähige Maschine zu bauen und zu „erziehen“, fand in der Science-Fiction regen Anklang.

Maschinelles Lernen kommt heute in begrenztem Rahmen zum Einsatz. So weit, Turings Vorschlag erfolgreich umzusetzen, ist die KI-Forschung jedoch noch lange nicht. Wir besitzen bessere Werkzeuge, doch in gewisser Hinsicht ist die Softwareentwicklung kaum weiter fortgeschritten, als sie es zu Turings Zeiten war. Was er 1950 schrieb, gilt heute noch: „We can only see a short distance ahead, but we can see plenty there that needs to be done.“

Alle Links: www.ix.de/ix1207100

(Vorabveröffentlichung aus iX 7/12, Erscheinungsdatum der gedruckten Fassung: 28.6.12.)

(mr)