Online werden Artikel besser gelesen als in Zeitungen

Die Analyse des Leseverhaltens mit einem Eye-Tracking-Systems eröffnet einige interessante Unterschiede zwischen Rezeption von Print- und Online-Medien.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Florian Rötzer

Viele werden wohl der Meinung sein, dass Artikel online flüchtiger gelesen werden als in Printmedien, weil die Aufmerksamkeitsspanne kürzer ist und meist nur kurze Texte zur Kenntnis genommen werden. Das aber scheint ein Mythos zu sein, an den sich möglicherweise die Vertreter der Printmedien klammern. Nach einer Studie des Poynter Institute werden Artikel online eher zu Ende gelesen als in Printmedien. Für die umfangreiche Studie, die auf der Tagung der American Society of Newspaper Editors vorgestellt wurde, ist das Leseverhalten bei vier Zeitungen und zwei Online-Ausgaben an mehr als 600 Personen, die regelmäßig eine der Zeitungen lesen, mit Eye-Trackern untersucht worden. Dabei wurde das Leseverhalten über eine Zeitspanne von jeweils 15 Minuten erfasst, um festzustellen, wie über die Seiten navigiert wird und wie sich das Lesen bei unterschiedlichen Formaten und Medien unterscheidet. Analysiert wurden die Augenbewegungen für eine Liste von 350 Elementen der Seiten wie Titel, Fotografien, Kommentare, Blogs et cetera.

Im Internet (St. Petersburg Times, Star Tribune of Minneapolis) lasen 77 Prozent der Personen die Artikel zu Ende, in großformatigen (broadsheet) Zeitungen 62 Prozent (St. Petersburg Times, The Star-Tribune of Minneapolis) und in kleinformatigen (tabloid) Zeitungen (Rocky Mountain News, Philadelphia Daily News) nur noch 57 Prozent. Bei den Printmedien spielt dabei offenbar eine Rolle, wenn ein Artikel auf einer anderen Seite fortgesetzt wird: Bei den großformatigen Zeitungen lasen 59 Prozent weiter, bei den kleinformatigen 68 Prozent.

Die Autoren der Studie haben zwei grundsätzlich verschiedene Arten des Leseverhaltens gefunden. Die methodischen Leser beginnen auf einer Seite mit einem Artikel, arbeiten sich dann systematisch, meist von oben nach unten durch die anderen Artikel durch und lesen auch Teile eines Textes noch einmal. Die andere Gruppe überfliegt die Seite kurz und entscheidet dann, mit welchem Artikel begonnen wird. Allerdings werden die Texte dann nicht im Stück durchgelesen, diese "Scanner" schauen zwischendurch auf Bilder oder andere Elemente und kehren dann wieder zum Text zurück, aber oft nicht zu der Stelle, an der sie aufgehört haben. Bei den Zeitungslesern überwiegen mit 75 Prozent die methodisch vorgehenden. Im Internet gibt es von jeder Gruppe etwa genauso viel, die aber genau dieselbe Menge lesen, während bei den Zeitungen die "Methodiker" mehr lesen als die "Scanner".

Erstaunlich ist auch, dass die Leser mehr Fragen über den Inhalt von Artikel beantworten konnten, wenn diese "alternative Darstellungsformen" wie Fragen und Antworten (Q&A), Grafiken, Listen, kleine Seitenfenster oder Chronologien enthielten. "Alternative" Elemente erhalten zudem mehr Aufmerksamkeit als normale Texte. Farbfotos kommen besser an als schwarzweiße oder Dokumentaraufnahmen als gestellte Bilder. Bei Printmedien werden große Titel und wenige, aber große Bilder zuerst angeschaut und ziehen die größte Aufmerksamkeit an sich, Online-Leser achten stärker auf Navigationshinweise, Menüs und Teaser. (fr)