WOS 4: Scharfe Kritik an EU-Urheberrechtspolitik

Die Urheberrechtsrichtlinie hat laut Kritikern die Schutzrechtschraube in der EU hoch gedreht und hohe Umsetzungskosten verursacht, die anvisierte Harmonisierung aber nur teilweise erbracht.

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Die seit 2001 geltende EU-Urheberrechtsrichtlinie hat laut Kritikern die Schutzrechtschraube in der Europäischen Gemeinschaft hoch gedreht und hohe Umsetzungskosten verursacht, die hauptsächlich anvisierte Harmonisierung aber nur teilweise erbracht. Dies sagten Forscher und Verbrauchervertreter am gestrigen Samstag auf der Konferenz Wizard of OS 4 (WOS 4) in Berlin. Auch ein Vertreter der EU-Kommission gestand ein, einige "seltsame Konzepte" im "harmonisierten" Urheberrecht gefunden zu haben. Es müsse geklärt werden, warum die Interessen von Rechtehaltern und Rechtenutzern nicht direkt in der Richtlinie ausgeglichen wurden und dafür andere Politikfelder wie das Wettbewerbsrecht herangezogen werden müssten.
Glatt verfehlt habe Brüssel den Anspruch, mit der Richtlinie das Urheberrecht rasch an die neuen Technologien anzupassen, führte Bernt Hugenholtz vom Institut für Informationsrecht an der Universität Amsterdam aus. Die Beratungen hätten 1996 begonnen, nachdem die Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) zwei neue Abkommen verabschiedet hatte. Darin geht es zum einen um ein Verbot der Umgehung technischer Kopierschutzmaßnahmen. Zum anderen sollen Urheber ihre Werke auch über das Internet und digitale Medien anbieten dürfen, ohne dabei ihre Verfügungsgewalt über die Inhalte zu verlieren. Doch Hugenholtz verwies darauf, dass zehn Jahre später einzelne EU-Mitgliederstaaten immer noch mit der Umsetzung ins nationale Recht beschäftigt seien. 1996 habe etwa kaum jemand Peer-2-Peer beachtet, sodass die Technik dem Gesetz längst wieder vorauseile.
In seinem über 200 Seiten starken Evaluierungsbericht zur Urheberrechtsgesetzgebung hat Hugenholtz herausgearbeitet, dass der Schutz geistiger Eigentumsrechte in fast allen untersuchten Fällen ausgeweitet wurde. So habe Deutschland etwa den anderen Mitgliedsstaaten die Schutzfrist für ein Werk von 70 Jahren nach dem Tod des Autors beschert. Dafür könne man nicht nur die starke Lobby von Medienkonzernen in Brüssel verantwortlich machen, erläuterte der Professor. Vielmehr komme es bei der Rechtsharmonisierung zu einer Art Automatismus, wonach Schutzstandards auf die höchste bestehende Stufe angehoben würden. Hugenholtz bezeichnete dies als "sehr besorgniserregenden Trend", da die Glaubwürdigkeit des demokratischen Prozesses unterlaufen werde und die Rechteinhaber bevorteilt würden.
Hugenholtz empfahl Brüssel, hier bei weiteren Richtlinien sehr vorsichtig zu sein. Besser seien Empfehlungen und Mitteilungen der Kommission, die nicht sofort das materielle Recht in den Mitgliedsstaaten verändern, die Linie von Politik und Rechtsprechung aber trotzdem beeinflussten. Es müsse über ein echtes "Gemeinschaftsurheberrecht" nach Vorbild des Gemeinschaftswarenzeichens oder des Gemeinschaftspatents nachgedacht werden. Dieses müsste aber "höchsten Ansprüchen an Transparenz und Qualität" genügen, Territorialrechte nach US-Vorbild abschaffen und einen besseren Interessensausgleich von vornherein festschreiben.
Schwere Fehler bei der Urheberrechtsgesetzgebung meinte auch Cornelia Kutterer vom europäischen Dachverband der Verbraucherorganisationen BEUC zu erkennen. Vor allem die rechtliche Absicherung von Kopierschutztechniken führe zum "Gegenteil eines harmonisierten Marktes", da damit die regionale und preisliche Segmentierung gefördert werde. Dass Privatkopien bei On-demand-Diensten von vornherein nicht gestattet seien, bezeichnete sie als ein Beispiel dafür, dass die Richtlinie eine Reaktion auf gesellschaftliche Anforderungen nicht zulasse. Viele Geschäftsbedingungen von Plattformanbietern mit DRM-Einsatz seien zudem "unfair", was bei der gleichzeitigen Überprüfung der Verbraucherschutzgesetzgebung zu beachten sei.
Tilman Lueder, Leiter der Urheberrechtsabteilung in der Binnenmarktskommission, stimmte der Kritik größtenteils zu. Das von der WIPO vorgesehene zusätzliche Recht zum Verfügbarmachen von Online-Inhalten sei unverständlich und behindere den Binnenmarkt, räumte er ein. Plattformanbieter müssten zusätzliche Rechte klären, als ob sie eine öffentliche Aufführung übers Fernsehen übertragen würden – und dies in der Regel bei verschiedenen nationalen Verwertungsgesellschaften. Daher gebe es eine erste Empfehlung zur Vereinfachung der territorialen Rechtevergabe im Musikbereich. Die Datenbankrichtlinie sei zudem ein Paradebeispiel dafür, wie die Harmonisierung zu einem Zweck an sich geraten und das von Großbritannien geprägte gesonderte Schutzrecht für Informationszusammenstellungen EU-weit ausgedehnt worden sei. Trotz ausgebliebener Produktivitätszuwächse halte man nun daran fest, da die Gegner der Direktive einen von ihr ausgehenden Schaden nicht beziffern könnten. Generell sollten Verwertungsrechte laut Lueder künftig schon im internationalen Kontext möglichst eng definiert und Aspekte des Zugangs zum Wissen stärker beachtet werden.