Virtuelle Banken-Pleite macht Avatare mittellos

Der Zusammenbruch einer der größten virtuellen Banken bestätigt die Warnungen der Experten, dass die Wirtschaft in Second Life auch nicht nach anderen Regeln funktionieren kann als im echten Leben.

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Die Warnung kam zu spät. Kaum hatten die Analysten von Gartner und Deutsche Bank Research in der vergangenen Woche vor den Risiken der virtuellen Welten gewarnt, da erschütterte eine Bankenpleite die Spielwelt Second Life. Ginko Financial, das vielleicht bekannteste Kreditinstitut in Avatarland, kann die Einlagen der Kontoinhaber nicht mehr auszahlen. Rund 200 Millionen der Spielwährung Linden-Dollar, im Gegenwert von immerhin fast 750.000 echten US-Dollar oder 540.000 Euro, sollen auf der Bank gelegen haben. Doch zuletzt wurden die Schlangen vor den virtuellen Geldautomaten immer länger, und irgendwann war das Geld dann alle.

Immerhin konnten zahlreiche Ginko-Kunden ihre Konten noch räumen, bevor der Bank das Geld ausging. Am 8. August war Schluss. Der Bankinhaber Nicholas Portocarrero – im echten Leben Andre Sanchez, ein Twen aus dem brasilianischen Sao Paolo – erklärte auf der Website der Bank die "Herausforderungen" der vergangenen Wochen: Eine Panik unter den Anlegern habe die Reserven erschöpft. Jetzt stehen noch 50 Millionen Linden-Dollar zur Auszahlung aus. Mit anderen Worten: Ginko schuldet seinen Anlegern noch gut 185.000 US-Dollar. Dafür sollen sie jetzt so genannte "Perpetual Bonds" erhalten, die an der (virtuellen) Börse WSE gehandelt werden können. An der Wall Street, in der realen Finanzwelt, nennt man solche Papiere "Junk Bonds".

Die paar Dollar, um die es hier geht, nötigen einem echten Banker wohl nur ein müdes Lächeln ab. Auf den realen Finanzmärkten sind die Masters of the Universe gewohnt, ganz andere Summen zu bewegen. Deshalb auch gibt es ein System verschiedener Aufsichtsbehörden und Sicherheitsmechanismen. Wenn sich die Herren an der Börse zum Beispiel mit Immobilienkrediten verzocken, pumpen die Notenbanken frisches Geld in die Märkte, um einen Kollaps zu verhindern. In Deutschland soll der freiwillige Einlagensicherungsfonds des Bankgewerbes die Spargroschen im Falle einer Bankenpleite auszahlen. Auch die wirtschaftliche Trennung von Einzelkundengeschäft und der Investmentsparte dient dem Schutz der Anleger.

Bei Ginko Financial gibt es das alles nicht. Portocarrero versprach seinen Anlegern teilweise über 40 Prozent Zinsen pro Jahr. Die wollte er verdienen, indem er mit einem Teil der Einlagen in die virtuelle Wirtschaft investierte – mit Krediten "für vertrauenswürdige Personen und Unternehmen". Für das tägliche Geldgeschäft wollte er eine "gesunde Reserve" bereithalten. Dabei wies er auf der Banken-Website durchaus deutlich auf die Risiken und die fehlende Absicherung der Einlagen hin. Doch musste sich Sanchez zuletzt immer lauter werdende Kritik an seiner Geschäftsführung anhören. Kunden klagen über zu wenig Transparenz, sie wollen wissen, wie viel Geld er investiert und wo.

Unumstritten war das im Dezember 2004 gegründete Geldinstitut von Beginn an nicht. Dass allerdings ausgerechnet die virtuelle Immobilienmogulin Anshe Chung die Bank angesichts der irrealen Zinssätze als illegales Pyramidensystem bezeichnete, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Kritiker meinen längst, das gesamte Wirtschaftssystem Second Lifes funktioniere wie ein Pyramidenspiel: Erfolgreich können nur die sein, die es früh genug an die Spitze schaffen. Wie Anshe Chung, die als eine der ersten Avatare mit dem virtuellen Immobilienboom zu Geld gekommen ist. Spielveranstalter Linden Lab schaut dem bunten Treiben zu und unternimmt trotz einiger Rufe aus Reihen der Community nichts.

Doch kühlt sich der Hype, den auch die Medien um Phänomene wie Chung und andere Second-Life-Erfolgsgeschichten veranstalten, merklich ab. Auf einer Veranstaltung der Stadt Köln wollen verschiedene Experten am 20. September zu einer nüchternen Bestandsaufnahme des Hypes zusammenkommen. Die Analysten warnen inzwischen vor den Gefahren, die in einer weitgehend unregulierten Spielwelt drohen. "Die Risiken, die das Engagement in virtuellen Welten für Unternehmen birgt, sind ganz real und können erheblich sein", mahnt Gartner-Analyst Steve Prentice.

Die Marktforscher haben eine Reihe von Risiken identifiziert, neben Sicherheitsfragen sehen sie Gefahren für das Ansehen von Unternehmen und Marken. Darüber hinaus stellen sie die Frage nach der Produktivität: Der praktische Nutzen eines Engagements in Second Life werde noch skeptisch beurteilt. Hochrangige Manager würden SL-Projekte nicht selten als kostspielige Zeitverschwendung betrachten. Statt Second Life empfiehlt Gartner mehr regulierte und moderierte Communities für das unternehmerische Engagement.

Die Analysten von Deutsche Bank Research begründen die Schwierigkeiten, echte und virtuelle Wirtschaft zusammenzubringen, mit einem ideologischen Dilemma: unsichere Rahmenbedingungen schwächten wirtschaftliche Aktivität in der wirklichen Welt, seien in virtuellen Umgebungen aber dem gewollten kreativen Freiraum geschuldet und damit systemimmanent. Für die Banker hängt der "klassische staatsphilosophische Streit zwischen Freiheit und Intervention wie ein Damoklesschwert über dem Lebensfaden der virtuellen Welt."

Über der Ginko-Bank ist das Schwert nun gefallen. Entgegen der Erkenntnisse der Deutschbanker soll daran nicht zu wenig, sonder zu viel Regulierung schuld sein. Das von Linden Lab kürzlich angeordnete weltweite Glücksspielverbot soll zu der Panik geführt haben, meint Portcarrero/Sanchez. In sein Geschäftsmodell hat er weiter Vertrauen: "Ginko Financial wird sich davon wieder erholen, und wenn ihr uns treu bleibt, werdet ihr nichts verlieren", fordert er seine Kunden zum Durchhalten auf. Die scheinen das anders zu sehen und unterwandern das neue Gesetz inzwischen mit illegalen Spielclubs. Ganz wie im richtigen Leben. (vbr)