Virtuelle Eisbären zwischen Tretminen und Scherzpralinen

Da der alljährliche 1. April auf einen ansonsten nachrichtenarmen Sonntag fiel, hatten Juxmeldungen einen größeren Anteil, besonders jene über Knut.

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Sonntags fließt tickerfütternden Redakteuren meist nur ein lahmer Nachrichtenstrom über den Schreibtisch. Aus der fast abgelaufenen Woche hallen einige Ereignisse herüber, Wochenmagazine schicken Meldungen vorab, weniger bekannte versuchen sich durch die gleiche Taktik in den Vordergrund zu schieben, und Politiker halten ihre Sonntagsreden. In dieser Situation kommt der Aprilanfang gerade recht, denn er bietet die Gelegenheit, die Meldungsdiät mit einer Scherzpraline abzurunden. Da aber an solch einem Tag ein Sonntagsredakteur mit seiner Idee nicht allein bleibt, kehrt sich Nutzen ins Gegenteil, und er sieht sich unversehends einem dichten Teppich Scherztretminen ausgesetzt, zwischen denen er sich die Wahrheit herauspicken muss.

Im Alltagsgeschäft, wenn der Redakteur lässig auf der Nachrichtenbrandung reitet, fallen Aprilscherze kaum ins Gewicht, doch gestern bestand beispielsweise die News-Verweisseite slashdot.org fast ausschließlich aus Hoaxen. So manche Leser wurden der Flunkerflut überdrüssig. Sie mögen nicht würdigen können, dass vielleicht nicht jede Zeitungsente wenigstens einen Wahrheitskern enthält, aber alle zusammen ein Mosaik dessen ergeben, was die Welt gerade bewegt.

Das war gestern eindeutig erkennbar das Berliner Eisbärbaby Knut, das schon in den Wochen vorab eine nicht ganz wahrheitsgemäße Berichterstattung provoziert hatte, gestern dann von der NZZ am Sonntag auf Europatournee geschickt und von der Süddeutschen Zeitung versteigert werden sollte – um nur zwei aus einer großen Menge an Knutereien aus Zeitungsredaktionen und Pressestellen zu nennen. Verwunderlich, dass niemand auf die Idee kam, das Tierbaby für Second Life virtualisieren zu lassen, derart mit der doppelten Garantie ausgestattet, heutzutage in die Schlagzeilen zu geraten.

Nicht ganz so niedlich wie Knut ist der Suchmaschinenanbieter Google, und da er zudem weniger bekannt ist, musste er sich anscheinend die Scherze auf eigene Kosten auch noch selbst ausdenken. Gmail Paper ist dabei herausgekommen, ein Dienst, bei dem der Kunde sich seine E-Mails ausgedruckt ausliefern lassen kann. Ökologisch unbedenklich, da das dafür verwendete Papier aus einem Nebenprodukt der Sojamehlproduktion hergestellt werde, wird beteuert. Aber was wäre Google, wenn es sich nicht selbst zu übertreffen in der Lage wäre. Nämlich mit dem Projekt "Dark porcelain" für einen Toilet Internet Service Provider, der einen schnellen, kostenlosen Internetzugang über die Abwasserleitungen bieten will.

Ebenfalls in der Lage, sich selbst zu übertreffen, ist offenbar der Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble. Wie weit zu gehen er in der Lage ist, mag noch niemand ermessen. So hoffte mancher am gestrigen Sonntag, seine Begehrlichkeiten nach weiteren Datenquellen für die Bundesermittler würden sich am Ende doch nur als Jux herausstellen. Auf heise online zumindest war er als solcher nicht gemeint, denn es gibt immer nur einen pro Jahr, aber wohl die vom Chaos Computer Club (CCC) herausgegebene Mitteilung dazu, welchen Weg die Polizei gefunden hat, den Bundesbürgern einen Trojaner unterzumogeln: über die Steuersoftware ELSTER. Die CCC-Analyse "zeigte verschiedene verdächtige Module, wie zum Beispiel wte0104-brsjm.digit, das unter anderem vorhandene Mikrofone und Kameras in modernen Computern einschalten kann".

Doch so ein Bundestrojaner lässt sich nicht nur für Schnüffeleien verwenden, sondern auch zur Verbesserung des Datenschutzes, meint Thilo Weichert, Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein, nämlich mit "heimlichen Datenschutzkontrollen": "Wir dürfen uns von kriminellen Hackern nicht abhängen lassen. Waffengleichheit ist das Gebot der Stunde – auch im Verhältnis zu den geheim agierenden Sicherheitsbehörden. Der Datenschutz kann es sich nicht leisten, mit dem Fahrrad hinter einem Porsche herzujagen."

Technisch gesehen vom Porsche auf ein Fahrrad umsteigen will die Redaktion des Magazins Titanic. Sie hat ihre jetzt gerade noch bestehende Domain titanic-magazin.de zum Verkauf angeboten. Künftig würden keine Heftinhalte mehr online gehen, denn das Internet sei "ein Irrtum", wird der Titanic-online-Verantwortliche Oliver Nagel zitiert. Inhalte gebe es künftig nur noch im Heft. Im Gegensatz dazu setzt die ARD-Nachrichtensendung Tagesschau jetzt endlich auf Modernität und lässt neuerdings ihre Titelmelodie vom Band abspielen. Nur der Gong werde weiterhin vom CvD Andreas Pawlouschek geschlagen.

Und noch einmal apropos Porsche: Nicht nur heise online steigt in den Automarkt ein (PDF-Datei), auch das schwedische Möbelhaus Ikea kümmert sich künftig nicht nur um die Immobilitätsbedürfnisse seiner Kunden. Das erste Ikea-Auto werde mit seinem Hybridkonzept auf Holzpellet-Diesel-Basis den Automarkt revolutionieren, hieß es aus Frankfurt. Dieses Auto müsste im südafrikanischen Johannesburg demnächst bei Grün halten und bei Rot fahren. Als Grund für die Umstellung wird angegeben, dass Taxifahrer bei Rot ohnehin nicht anhalten.

Wie zum Beweis dafür, wie schwer es Nachrichtenmacher am Montag nach all den Schelmereien haben, taucht heute eine dpa-Meldung auf, die auf einer Pressemitteilung des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) beruht. Ihr Wahrheitsgehalt ist schon angesichts des gestrigen Veröffentlichungsdatums zumindest zweifelhaft. Die Freunde und Helfer schreiben: "Wenn menschliche Kommunikationsleistungen abgerechnet werden, die gar nicht erbracht werden, ist dies gewerbsmäßiger Zeitdiebstahl." Sie schlagen vor, in solchen Fällen die "Abrechnungsumkehr" einzuführen: "Wird nach zwei Minuten kein menschlicher Kontakt hergestellt, werden die weiteren Gebühren der Wartezeit zugunsten des Anrufers abgerechnet." BDK-Pressesprecher Bernd Carstensen sagte denn auch gegenüber heise online, sein Verband habe die Forderungen mit der Gewissheit aufgestellt, dass sie wenigstens teilweise nicht umsetzbar seien. Dennoch dürfe man die Pressemitteilung nicht als Aprilscherz auffassen.

Ähnliches gilt für die wilden Spekulationen, was EMI und Apple denn so vorhaben: Beatles-freie DRM-Musik? DRM-freie Beatles-Musik? Oder gar Musik mit allem, mit "ohne Beatles" und mit "ohne DRM"? Die Ankündigung eines gemeinsamen Events für den heutigen Montag sorgte am 1. April für heftiges Rauschen im virtuellen Blätterwald – und doch hielt es keiner der eifrigen Beobachter für einen Aprilscherz, so harren wir denn gespannt der Dinge, die die Musikverwerter von EMI mit Steve Jobs so ausklamüsert haben.

Zu Aprilscherzen im Web siehe auch:

(anw)