Bundesregierung verfolgt "EU-Informationsverbund" der Sicherheitsbehörden

Das Bundesinnenministerium hat seinen Plan umrissen, Datenbanken von Strafverfolgern und Geheimdiensten EU-weit zu vernetzen und Zugriffsmöglichkeiten auch für Schlapphüte etwa beim Visa-Info-System zu schaffen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 44 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.

Das Bundesinnenministerium hat seinen Plan, den Datenaustausch zwischen Polizeien und Geheimdiensten in der EU im Rahmen eines "europäischen Informationsverbundes" zu erleichtern, etwas näher umrissen. "Zu diesem Zweck sollen bestimmte Datenbanken der Mitgliedstaaten miteinander vernetzt, die Funktionalität von bestimmten europäischen Datenbanken weiter ausgebaut und optimiert und die Zugriffsmöglichkeiten von Stellen mit Sicherheitsaufgaben auf ausgewählte europäische Datenbanken eröffnet werden", heißt es in einer jetzt veröffentlichten Antwort (PDF-Datei) der Bundesregierung auf eine Anfrage der Fraktion der Linken im Bundestag. Dabei solle aber nicht "schematisch vorgegangen werden", will Berlin Assoziationen an eine Art aufgeblasene Anti-Terrordatei im EU-Maßstab anscheinend verhindern. Vielmehr verfolge die Bundesregierung im Rahmen ihrer laufenden EU-Ratspräsidentschaft und darüber hinaus abgestufte Teilziele.

Bei dem sich noch in Verhandlungen befindlichen, umstrittenen Visa-Informationssystem (VIS) der EU etwa, mit dem Daten von Visum-Antragstellern einschließlich Fingerabdrücken und Lichtbildern gespeichert und verglichen werden können sollen, wolle man im Einklang mit den Schlussfolgerungen des EU-Rates Zugriffsmöglichkeiten sowohl für die Polizeibehörden als auch die Nachrichtendienste schaffen. Das geplante IT-System soll einmal die größte grenzüberschreitende Datenbank Europas bilden. Jährlich wird mit rund 20 Millionen neuen Einträgen gerechnet. Bei der 2003 gestarteten kleineren Fingerabdruck-Datenbank für Asylbewerber Eurodac werde dagegen im Einvernehmen mit dem Rat und der EU-Kommission "eine Öffnung nur für die Polizeibehörden angestrebt".

Eine Institution "europäischer Informationsverbund" im Sinne einer Datenbank mit zugreifenden Behörden existierte nicht und werde von der Bundesregierung auch nicht verfolgt, führt das Innenministerium weiter aus. Sollten im EU-Rahmen Rechtsgrundlagen für einen geheimdienstlichen Zugriff auf europäische Datenbanken entstehen, werde man aber freilich prüfen, ob und welcher innerstaatlicher Rechtssetzungsbedarf zur Anpassung an die Brüsseler Vorgaben bestehe. Beim Schengener Informationssystem der aktuellen und der nächsten Generation in Form des sich verzögernden SIS II seien Änderungen aber nicht geplant. Hier hätte nach dem Willen des Rates zwar zunächst auch für Deutschland ein Zugriff des Bundesamtes für Verfassungsschutz vorgesehen werden können. Das EU-Parlament habe aber anders entschieden. Nach den überarbeiteten Rechtsgrundlagen dürfen mit dem SIS im Allgemeinen allein Stellen arbeiten, die für Grenzkontrollen, sonstige polizeiliche und zollrechtliche Überprüfungen und deren Koordinierung zuständig sind.

Innerstaatliche Behördenorganisation und Aufgabenzuweisungen werden vom Beschluss der Völkervertretung zum SIS allerdings nicht erfasst. Insofern bleibt es dem Verfassungsschutz, dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) und dem Bundesnachrichtendienst (BND) hierzulande gemäß dem Schengener Durchführungsübereinkommen und dem Anfang des Jahres in Kraft getretenen Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz (TBEG) weiterhin möglich, eine Person oder Sache im polizeilichen Informationssystem verdeckt auszuschreiben und um Mitteilung über ein mögliches Antreffen derselben zu bitten.

Jenseits des Vorhabens zur Schaffung eines europäischen Informationsverbundes der Sicherheitsbehörden einigten sich die Justiz- und Innenminister der EU bei ihrem Ratstreffen in Brüssel im Februar auf die Überführung des maßgeblich von Deutschland ausgearbeiteten Vertrags von Prüm in den Rechtsrahmen der Gemeinschaft. Das zunächst 2005 von Belgien, Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Niederlande, Österreich und Spanien getroffene Übereinkommen soll eine vertiefte Phase der grenzüberschreitenden Bekämpfung des Terrorismus, der Kriminalität und der illegalen Migration begründen. Dazu sollen etwa DNA-, Fingerabdruck- und Fahrzeugregisterdaten elektronisch einfacher ausgetauscht und die entsprechenden Datenbanken der Mitgliedsstaaten vernetzt werden können.

Die EU-Kommission will biometrische Merkmale aus der neuen Generation der Reisepässe und anderweitig im Rahmen der Strafverfolgung und Grenzkontrolle gesammelte Körperdaten ferner in einer übergeordneten Superdatei speichern. Gegen diesen bislang öffentlich nur knapp umrissenen Plan zur schieren biometrischen Vollerfassung der EU-Bevölkerung laufen Bürgerrechtler und liberale Politiker aber Sturm. (Stefan Krempl) / (vbr)