Kritik von Datenschützern ist für Bundesinnenminister Schäuble "naiv"

Zur "Abwehr schwerer Gefahren" müsse man, so Innenminister Schäuble, "unter Umständen stärkere Eingriffe vornehmen" und das Grundgesetz verändern.

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Von
  • Florian Rötzer

Bundesinnenminister Schäuble, gegenwärtig Ratsvorsitzender der EU-Innenminister, hat sich gestern zu einem Gespräch mit dem Berater des Präsidenten der Russischen Föderation Victor Ivanow, dem russischen Innenminister Raschid Nurgalijew, dem US-Minister für Homeland Security Michael Chertoff, dem stellvertretenden US-Justizminister Kenneth L. Wainstein und dem Vizepräsidenten der EU-Kommission und EU-Justizkommissar Franco Frattini getroffen. Dabei ging es um "Terrorismusbekämpfung, Grenzschutz und den Kampf gegen die Drogenproblematik in Afghanistan".

Schäuble nutzte die Gelegenheit, um für seine geplanten Sicherheitsmaßnahmen auf die "zunehmende Verflechtung von innerer und äußerer Sicherheit" durch den Terrorismus hinzuweisen. Bedroht seien die USA, Russland und die EU gleichermaßen von der "terroristischen Gefährdung", die sich "am Ausmaß der Gewaltbereitschaft, der logistischen Vernetzung und der langfristig angelegten und grenzüberschreitenden Vorgehensweise der Täter" zeige. Dass Russland mit dem Tschetschenienkonflikt oder die USA und einige EU-Mitgliedsländer mit dem Irak-Krieg eigene Probleme geschaffen haben, blieb dabei außen vor.

Die Gesprächspartner gaben mehr oder weniger verblümt ihre Positionen wieder. US-Heimatschutzminister Chertoff betonte den "internationalen Informationsaustausch", der zur Bekämpfung des Terrorismus notwendig sei und plädierte damit für weitgehende Abschaffung des Datenschutzes, die er auch an anderem Ort im Hinblick auf die Übermittlung der Flugpassagierdaten (PNR) forderte. Franco Frattini lobte überschwänglich, wie sich heute "Innen- und Außenpolitik gegenseitig befruchten". Victor Ivanow forderte eine bessere "strafrechtliche Verfolgung von Terroristen und ihren Unterstützern".

Einig war man sich, die Grenzkontrollen zu verschärfen und dabei auch mehr Informationen auszutauschen. Ganz allgemein seien sich, so die Mitteilung der Bundesregierung, die Teilnehmer einig gewesen, "dass die Bekämpfung des Terrorismus eines umfassenden Ansatzes und enger Kooperation bedarf. Hierbei kommt es auf die Durchführung von Ermittlungen, die Aufrechterhaltung wirkungsvoller Grenzschutzmaßnahmen, die Bekämpfung illegaler Reisetätigkeiten, den Schutz kritischer Infrastrukturen und die Verhinderung von Radikalisierungstendenzen und Rekrutierungsbemühungen an".

Bundesinnenminister Schäuble machte in einem Interview mit dem Handelsblatt deutlich, was er unter dem Schutz des Terrorismus versteht. So könne man "zur Abwehr schwerer Gefahren ... unter Umständen stärkere Eingriffe vornehmen". Dazu gehöre auch, Computer heimlich durchsuchen zu können. Dafür müsse jetzt eine Rechtsgrundlage geschaffen werden, "damit zumindest für die Gefahrenabwehr das Instrument zur Verfügung steht. Terroristen kommunizieren nicht über Brieftauben". Es dürfe nicht sein, dass Verbrecher "besser ausgestattet sind als die Sicherheitsbehörden". Dazu sei es notwendig, auf den Datenfluss zwischen Computern und auf die Daten eines einzelnen Computers zugreifen zu können und, wenn nötig, das Grundgesetz zu verändern.

Die Kritik von Datenschützern ist für Schäuble "naiv" und irrelevant, die Menschen sieht der Innenminister hinter sich: "Es ist doch meine Aufgabe, für die Sicherheit der Menschen zu sorgen. Die große Mehrheit der Bevölkerung sieht das übrigens auch so." So verteidigt Schäuble auch, warum für ihn die Fingerabdrücke auch bei den Passämtern gespeichert werden sollen. Datenschützer sehen hier den Beginn einer zentralen Datenbank. Kritiker möchte Schäuble in die Schranken weisen: "Das Unbehagen an der Moderne kann aber nicht ausschließlich zu Lasten der inneren Sicherheit gehen. Wir dürfen nicht maßlos agieren, aber uns auch nicht wehrlos oder blind machen."

Zu den Auseinandersetzungen um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch die Übersicht über die bisherige und die aktuelle Berichterstattung im Online-Artikel zum Start der Anti-Terror-Datei:

(fr)