Velocity 2012: Branchentreff der Web-Community

Open Source und gut motivierte Mitarbeiter sind das A und O für den Erfolg im Web. Das legten die tonangebenden Vorträge auf der Trendsetter-Konferenz Velocity und die devopsdays Mountain View nahe.

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Von
  • Schlomo Schapiro
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Open Source und gut motivierte Mitarbeiter sind das A und O für den Erfolg im Web. Das legten die tonangebenden Vorträge auf der Trendsetter-Konferenz Velocity und die depopsdays Mountain View nahe.

Die IT-Welt ist nicht perfekt, und mit Ausfällen ist einfach zu rechnen. Die Kunst liegt deshalb darin, damit elegant umzugehen. Ein einzelner Ausfall an einer Stelle sollte deswegen nicht gleich die gesamte Website lahmlegen. Dabei lernt die Web-Community auch von anderen Branchen. Richard Cook, anerkannter Spezialist für Patientensicherheit, erklärte in seiner Keynote "How Complex Systems Fail", mit welcher Denkweise in der Medizin das Menschenleben trotz ausfallender Systeme geschützt wird.

Ausgehend von einigen Beispielen aus seiner medizinischen Praxis, etwa ein Massenausfall von Infusionspumpen, die alle genau ein Jahr nach Inbetriebnahme nicht mehr funktionierten, brachte Cook eine gute Definition des Begriffs Widerstandsfähigkeit (resilience), der sich aus vier Komponenten zusammensetze: Überwachung des Normalzustands (monitoring), Reaktion auf Abweichungen (responding), Anpassung (adapting) und Erkenntnisprozess (learning). Während technische Systeme üblicherweise für Zuverlässigkeit (reliability) gebaut würden, wäre eigentlich die Widerstandsfähigkeit (resilience) des Systems wichtiger. Zuverlässigkeit sei oftmals bei der Planung eines Systems ein wichtiger Faktor, während das Augenmerk beim Betrieb fast nur noch auf der Widerstandsfähigkeit liege. Denn damit gehe es um die Reaktion eines Systems auf die letztlich unvermeidbaren Ausfälle und nicht nur darum, Ausfälle zu vermeiden. Ein System, das sich entsprechend der Erfahrungswerte aus dem Betrieb neuen Gegebenheiten anpassen lasse, sei damit wesentlich widerstandsfähiger. In der Medizin sei dieses Thema meist eine Frage von Leben oder Tod, beim Betrieb von Webportalen könne es laut Cook um "Leben und Tod" einer Firma gehen. Die Kunst liege nun darin, die Systeme auf eine hohe Widerstandsfähigkeit hin zu planen und nicht nur auf eine hohe Zuverlässigkeit.

Es ist kein Wunder, dass die Firmenkultur ein wichtiges Thema der Konferenz war. Die Erkenntnis, dass Mitarbeiter über die Kultur zu Höchstleistung motiviert werden, ist dabei selbstverständlich. Paradebeispiel für das Thema war Jesse Robbins' (Opscode) Vortrag zu "Changing Culture & Being a force for Awesome". Er fasste seine Erfahrung im Ändern einer Firmenkultur in folgenden prägnanten Punkten zusammen: klein anfangen und durch schnellen Erfolg Vertrauen schaffen, Vorkämpfer suchen – angefangen beim eigenen Chef – und diese am Erfolg teilhaben lassen, harte Fakten durch empirische Daten finden, damit argumentieren (beispielsweise Seitenladezeiten) und weiteres Vertrauen schaffen, Erfolge feiern und anderen dafür die Anerkennung zollen und schließlich große Vor- oder Ausfälle ausnutzen, um einen Wechsel herbeizuführen. Das untermauerte Robbins mit markanten Sprüchen wie "Don't fight stupid, make more awesome!" und "If you can't make more awesome, go somewhere else!".

Ein anderer Teil dieser Kultur ist das Bekenntnis zur aktiven Teilnahme an der Open-Source-Gemeinschaft. Wie selbstverständlich erklärte Joshua Hoffman, Systems Engineer bei Tumblr, am Anfang seines Vortrags zu "Scalable System Operations", dass alle vorgestellten Softwareprojekte schon publik seien oder in Bälde veröffentlicht würden. Die folgende Reise durch die Details der vollständigen Automatisierung, mit der neue Server neu aufgesetzt würden, war dann so beeindruckend wie für viele Besucher beneidenswert, da in den meisten Firmen gerade bei Hardware die Automatisierung noch in den Kinderschuhen steckt. Auch kommerzielle Anbieter aus dem Unternehmensumfeld tun sich schwer, einen solchen Automatisierungsgrad anzubieten. Tumblr automatisiert alle Schritte für neue Server, inklusive BIOS-Konfiguration, Firmware Updates aller Komponenten, Einbrenntests und Integration in die Verwaltung des Rechenzentrums.

Die Großen der Branche zeigten, wo die Latte wirklich hängt, sodass sich kleinere oder jüngere Firmen daraus eine Vision für sich erstellen können. Jay Parikh, Vice President Infrastructure bei Facebook, nannte in seiner Keynote "Building for a Billion Users" einige Zahlen zu den unglaublichen Datenmengen, die Facebook gewöhnlich in 30 Minuten verarbeitet: 10 Terabyte Logs würden in Hadoop geladen, 105 Terabyte Daten in Hive gescannt, 6 Millionen Bilder hochgeladen, 160 Millionen Newsfeeds generiert, 5 Milliarden Echtzeitnachrichten versendet, 10 Milliarden Profilbilder angezeigt, 108 Milliarden MySQL Queries ausgeführt, 200 Milliarden Objekte zur Anzeigezeit überprüft, davon 300 Millionen Objekte blockiert. Die beiläufige Nennung von 15.000 Servern, die bei Facebook ein Rechenzentrumstechniker durchschnittlich betreut, zeigt nicht nur den Grad der Automatisierung, sondern ließ alle Zuhörer im Stillen ihre eigene Quote ausrechnen. Die agile Kultur zeigt Facebook am Bau neuer Rechenzentren, bei dem jedes neue durch die Erkenntnisse der vorherigen um Längen besser und günstiger werde.

Bei den Großen sind auch die Desaster von einem anderen Kaliber als sonstwo. Mike Christian, Director of Engineering, Infrastructure Resilience bei Yahoo, bewies, dass eine weiträumige Redundanz den einzigen verlässlichen Schutz von Daten und Diensten anbiete. In einer Tour durch die größten Rechenzentrumsausfälle von Yahoo zeigte er eindrucksvoll, dass keine Planung der Welt bei echten Katastrophen helfe. Beispielsweise ließ sich einmal der Diesel für die Notstromgeneratoren nicht nachliefern, weil die ganze Region nach einem Tsunami im Ausnahmezustand war.

Das Thema DevOps ist auf der Velocity seit einiger Zeit selbstverständlich. Die devopsdays Mountain View im Anschluss konzentrierten sich als Unkonferenz noch stärker auf das Thema. Die Vortragenden berichteten meist über ihre DevOps-Erfolgsgeschichten. Das vielleicht schönste Beispiel war der Bericht des Unternehmens Ancestry.com, das sich in den letzten zwei Jahren komplett umgestellt hat und jetzt seine großteils unter Windows laufende Plattform mit Chef als Werkzeug und DevOps als Mindset betreibt.

Darüber hinaus zeigte sich wieder einmal, dass DevOps als Konzept doch immer noch stark ein Operations-Thema ist: Fast alle Teilnehmer der devopsdays sahen sich eher auf Ops-Seite. Offensichtlich ist die DevOps-Bewegung in weiten Teilen außerdem eine Bewegung innerhalb der Ops-Gemeinde, mit der sich auch viele Admins erstmalig ein besseres Bild von der Dev-Seite machen können. In mehreren Sessions wurde daher das Thema "Mehr Dev in Ops" diskutiert. Im Ergebnis zeigt sich jedoch, dass der Aspekt immer noch nicht so gut entwickelt ist wie der "Ops in Dev"-Gedanke, der durch die vielerorts zu findenden Einbindung der Entwickler in die betriebliche Welt recht weit fortgeschritten zu sein scheint.

Mit 2500 Teilnehmern und 70 Ausstellern war die fünfte Velocity Web Performance and Operations Conference im Vergleich zum Vorjahr (1500 Teilnehmer) deutlich gewachsen, was auch das Wachstum der Branche widerspiegelt.

Wie immer macht es die richtige Mischung. Bei der Velocity besteht sie aus einerseits handfesten Detailinformationen, die einen manchmal auch schmerzhaft an die eigene Unzulänglichkeit erinnern. Wer sich vorher noch keine tieferen Gedanken über Monitoring von geschäftskritischen Kennzahlen, Seitenladezeiten im Detail, JavaScript-Performance oder die Untiefen mobiler Webseiten und Anwendungen gemacht hat, dürfte die Konferenz geheilt verlassen haben.

Egal ob es darum ging, sich über neue Trends zu informieren, sich zu bekannten Schwächen einer erneuten Gehirnwäsche zu unterziehen oder einfach neue Perspektiven zu entdecken – für jeden gab es mehr als genug mit nach Hause zu nehmen. Daneben hat sich die Velocity zu einem festen Klassentreffen des Who is who in der Webbranche entwickelt, das eine erstklassige Grundlage zum weiteren Austauschen bietet.

Die Velocity-Konferenz war in Kombination mit den devopsdays Mountain View eine echte "Powerwoche", deren positiver Effekt beim Autor – selbst bei einem großen deutschen Webportal tätig – sicherlich noch lange anhalten wird. Die nächste Velocity findet in London vom 2. bis 4. Oktober statt, in Santa Clara geht es nächstes Jahr wieder ab 24. Juni weiter. Die Aufzeichnungen der Keynotes sind veröffentlicht und mindestens einen Videonachmittag wert.

Schlomo Schapiro
ist Systemarchitekt und Open-Source-Evangelist bei der Immobilien Scout GmbH in Berlin.
(ane)