Online-Durchsuchung und präventive TK-Überwachung in der Schweiz geplant

Die Schweizer Regierung hat sich für die Revision des Bundesgesetzes über die Maßnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit ausgesprochen, die den Nachrichtendiensten erweiterte Befugnisse geben soll.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 117 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Tom Sperlich

Die Schweizer Regierung, der Bundesrat, hat sich dafür ausgesprochen, an den umstrittenen geplanten Maßnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus, Spionage und verbotenem Waffenhandel festzuhalten. Der Bundesrat befasste sich an einer Sitzung am gestrigen Mittwoch mit den kontroversen Ergebnissen eines vorbereitenden Vernehmlassungsverfahrens zum BWIS II, der Revision des Bundesgesetzes über die Maßnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit.

Mit dem BWIS II sind neue Mittel der Informationsbeschaffung zur frühzeitigen Erkennung von Gefährdungen durch Terrorismus, verbotene politische oder militärische Nachrichtendiensten und verbotenen Handel mit Proliferationsgütern vorgesehen, teilt das Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) mit. Den Nachrichtendiensten soll künftig die präventive Überwachung von Telefongesprächen, Mail- und Postverkehr sowie eine Verwanzung von privaten Räumen oder auch des Computers mittels Trojanern erlaubt werden. Diese Maßnahmen sollen ausdrücklich auch gegen Personen ermöglicht werden, gegen die kein konkreter Verdacht auf strafbares Verhalten besteht.

Der Bundesrat beauftragte jetzt das EJPD mit der Ausarbeitung einer Botschaft an die Bundesversammlung, das Schweizer Parlament. Wahrscheinlich wird sich dieses laut gut unterrichteten Kreisen noch in der Sommersession, also im Juni 2007 mit der Vorlage beschäftigen.

Um, wie es das EJPD formuliert, "die besonderen Mittel der Informationsbeschaffung anordnen zu können, braucht es gemäß Vernehmlassungsvorlage eine 'doppelte Zustimmung'". Ein Antrag des Bundesamts für Polizei müsste einerseits dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt werden, das die Rechts- und Ermessensfrage prüft. Bei positiver Entscheidung würde der Antrag an die Departementsvorsteher des EJPD bzw. an das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport weitergeleitet werden. Beide Departemente (Ministerien) müssen einer Präventivüberwachung zustimmen. Möglicherweise soll auch eine Schlichtungkommission implementiert werden. In speziellen Ausnahmefällen könnten die "besonderen Maßnahmen "auch vom Bundesrat selbst angeordnet werden, berichten informierte Kreise. Das komplizierte Anordnungs- und Genehmigungsverfahren soll in der Parlamentsvorlage aber noch verständlicher formuliert und die Notwendigkeit der Vorlage noch einmal ausführlich begründet werden, heißt es aus dem EJPD.

Die Vorlage für das BWIS II wurde im Juli 2006 in das vorparlamentarische Anhörungsverfahren geschickt und stieß auf heftige Kritik. 79 Vernehmlassungsadressaten (vor allem Kantone, politische Parteien, gesamtschweizerische Dachverbände und weitere Kreise) konnten zum Entwurf Stellung nehmen. Bis Mitte Oktober gingen insgesamt 63 Stellungnahmen ein. Die Kantone nehmen mit Ausnahme des Kantons Bern eine positive Haltung zur Vorlage ein. Bei den politischen Parteien findet die Vorlage hohe Akzeptanz bei der EVP und der LPS. Die CVP äußert sich grundsätzlich positiv. Die FDP stimmt zwar der Stoßrichtung zu, äußerte aber Bedenken. Eine ablehnende Haltung nehmen die SVP, die SP und die GPS ein. Die Dachverbände der Städte und Gemeinden beurteilen die Vorlage zustimmend. Die Wirtschaft ist gespalten: Verständnis signalisieren der Wirtschaftsverband "economiesuisse" und Swiss Banking. Abgelehnt wird die Vorlage vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund. Kritisch bis ablehnend äußerten sich Amnesty International, Demokratische Juristinnen und Juristen oder die Schweizerischen Datenschutzbeauftragten. Zustimmung signalisierten Polizeiorganisationen wie die Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten der Schweiz, der Verband Schweizerischer Polizeibeamter oder die Konferenz der städtischen Polizeidirektorinnen und Polizeidirektoren.

Scharfe Kritik an den Plänen des Bundesrats hat auch der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte Hanspeter Thür. Für ihn sind die bestehenden strafrechtlichen Mittel völlig ausreichend, um die Sicherheit des Landes zu gewährleisten und um auch präventiv gegen terroristische Gefährdungen vorzugehen. Laut Thür darf es nicht ermöglicht werden, dass der Staat ohne ordentliches Strafverfahren in die Privatsphäre, Räume und Computer der Bürger eindringen kann. "Wenn dieses neue Gesetz es nicht mehr verlangen sollte, dass ein hinreichend begründeter strafrechtlicher Tatverdacht vorhanden sein muss, dann wird ein Richter gar nicht anders können, als solche Maßnahmen zu bewilligen, vor allem wenn, geltend gemacht wird, es gehe um Aufklärung im Rahmen der Abwehr einer terroristischen Gefährdung", kommentierte Thür gegenüber heise online. "Was will außerdem ein Richter außerhalb eines strafrechtlichen Verfahrens überhaupt überprüfen, er kann ja eigentlich nur die Informationen der Staatschutzorgane absegnen. Das vorgesehene juristische und polizeiliche Prozedere wird keine große Hemmschwelle darstellen."

Der zuständige Leiter des EJPD, Bundesrat Christoph Blocher, der vehement für BWIS II kämpft, sagte gegenüber Schweizer Medien, dass er das Vernehmlassungsresultat erwartet habe. Wer für die innere Sicherheit verantwortlich sei, halte die Möglichkeit eines Lauschangriffs für nötig, wer gegenüber allen Eingriffen in die Grundrechte misstrauisch sei, lehne diese Maßnahmen ab. An ihm und den politischen Mehrheitsverhältnissen wird es nun liegen, ob die Vorlage für das revidierte Gesetz im Parlament verabschiedet werden wird. Gelingt es Blocher, seine Parteifreunde in der SVP umzustimmen und, wie so oft, hinter sich zu versammeln, wird wohl trotz einiger – auch parlamentarischer – Kritik die Gesetzesvorlage angenommen. Doch selbst dann ist für die Befürworter des präventiven Lauschangriffs der Fall noch nicht erfolgreich durchgezogen. Schließlich hat in der Eidgenossenschaft das Volk das letzte Wort und kann ein Referendum durchführen. Heftige weitere Debatten sowohl im Parlament als auch in der Öffentlichkeit sind also nach wie vor garantiert – Ausgang ungewiss.

Zu den Auseinandersetzungen um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch die Übersicht über die bisherige und die aktuelle Berichterstattung im Online-Artikel zum Start der Anti-Terror-Datei:

(Tom Sperlich) / (jk)