Virtuelle Spielwelten als Plattform für Seuchenmodelle

Online-Rollenspiele wie World of Warcraft könnten Leben retten, meinen Wissenschaftler: Virtuelle Welten seien als Modelle zur Ausbreitung von Seuchen und Epidemien geeignet, um bei der Seuchenbekämpfung zu helfen.

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Von
  • Cornelia Dick-Pfaff

Online-Rollenspiele für eine große Zahl von Spielern ziehen Millionen von Menschen in ihren Bann. Diese virtuellen Welten haben möglicherweise ein bislang ungeahntes Potenzial: Sie könnten Medizinern dabei helfen, den Verlauf von Epidemien in der realen Welt besser abzuschätzen. Darauf macht ein amerikanisches Forscherduo in der Fachzeitschrift The Lancet Infectious Diseases aufmerksam ("The Untapped Potential of Virtual Game Worlds to Shed Light on Real World Epidemics", Lofgren, E., N.H. Fefferman; The Lancet Infectious Diseases). Gewöhnliche Programme, mit deren Hilfe der Verlauf hochgradig ansteckender Krankheiten theoretisch vorhergesagt werden kann, haben ein entscheidendes Manko: Sie sind kaum in der Lage, das soziale Verhalten einzelner Menschen vorherzusagen. Ein entsprechender Einsatz von Online-Spielen wie etwa World of Warcraft könnte diese Einschränkung mindern, da das Verhalten der Spieler innerhalb der virtuellen Welt häufig das im echten Leben widerspiegelt.

"Indem wir diese Spiele als unberührtes, experimentelles Bezugssystem nutzen, könnten wir vielleicht einen tieferen Einblick in die unglaubliche Komplexität der Epidemiologie ansteckender Krankheiten in sozialen Gruppen erhalten", erklären Nina Fefferman von der Tufts School of Medicine in Boston und ihr Kollege Eric Lofgren. Massively Multiplayer Online Role-Playing Games (MMORPGs) wie zum Beispiel World of Warcraft ermöglichen es einer großen Zahl von Spielern, über das Internet zu interagieren. Die Wissenschaftler beschäftigten sich mit einem in World of Warcraft aufgetretenen Programmierfehler, durch den sich eine virtuelle Seuche wie eine echte Epidemie von Spieler zu Spieler ausgebreitet hatte.

Der Ausbruch begann, nachdem der Betreiber Blizzard im September 2005 ein Update herausgegeben hatte, mit dem Spieler Zugang zu einem neuen Spielbereich namens Zul'Gurub für hochstufige Charaktere erhielten. Ein dort vorkommender virtueller Gegner namens Hakkar infizierte zufällig manche der Anwesenden mit einer ansteckenden Krankheit namens "Verseuchtes Blut". Eigentlich war nie vorgesehen, dass diese Seuche Zul'Gurub verlässt, aber durch einen Programmierfehler war dies fälschlicherweise doch möglich. Die virtuelle Krankheit verbreitete sich rasend schnell und raffte eine Vielzahl von Spielfiguren dahin. Jegliche Quarantänestrategien scheiterten und schließlich blieb Blizzard nur noch die Notbremse: das Ausschalten und Neueinstellen der betroffenen Server-Rechner und damit das Neustarten der virtuellen Welt – ein Mittel, das in der Realität leider nicht zur Verfügung steht.

Dies war der erste Fall eines virtuellen Virus, das von Menschen gespielte Charaktere in einer Art und Weise infizierte, wie es auch bei einer realen Epidemie stattfinden könnte. Vorfälle wie dieser legen nahe, dass Online-Rollenspiele tatsächlich die Lücke zwischen Realität und rein mathematischer Modellrechnung eines solchen Vorfalls schließen können. Denn dieses ungewöhnliche Mittel erlaubt es, Variabilität und unerwartete Resultate, die durch das Verhalten einzelner Individuen entstehen, in die Berechnungen mit einzubeziehen. Wenn die Epidemie derart gestaltet und präsentiert wird, dass sie nahtlos mit dem Rest der bereits existierenden Spielwelt verschmilzt und ein Teil der von den Nutzern wahrgenommenen Erfahrungen innerhalb des Spiels wird, dann können innerhalb eines Computerspiels annehmbare Parallelen zu realen menschlichen Reaktionen beobachtet werden, glauben die Forscher. (Cornelia Dick-Pfaff) / (jk)