Online-Kampagne gegen TK-Vorratsdatenspeicherung gestartet

Bürgerrechtler rufen die Surfer auf, mit offenen Briefen an Abgeordnete Protest gegen die verdachtsunabhängige Vorhaltung von Telefon- und Internetdaten einzulegen. Die Justizministerin wendet sich zudem gegen eine Überwachung "ins Blaue".

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Bürgerrechtler rufen die Internetnutzer auf, mit offenen Briefen an Bundestagsabgeordnete der Großen Koalition gegen die verdachtsunabhängige Speicherung von Telefon- und Internetdaten zu protestieren. Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung hat dafür ein gesondertes Internetportal freigeschaltet. Dort finden sich Argumente, mit denen besorgte Netzbürger die Parlamentarier für die von ihnen bereits in einem Bundestagsbeschluss befürwortete "totale Protokollierung von Telefon, Handy und E-Mail" sensibilisieren sollen. Die Beschwerdemail lässt sich an alle 448 Abgeordnete von Union und SPD senden.

"Die Vorratsdatenspeicherung privatester Kommunikationsdaten widerspricht jeglicher Verhältnismäßigkeit und würde sich verheerend auf die Meinungsfreiheit auswirken", warnt Bettina Winsemann von dem Arbeitskreis. "Gespräche mit der Telefonseelsorge, mit Anwälten, mit Presseinformanten – all dies würde für die zugriffsberechtigten Personen und Behörden ein offenes Buch werden." Die Speicherung von Geschäftskontakten würde ihrer Ansicht nach sogar der Wirtschaftsspionage "Tür und Tor öffnen". Die pauschale Überwachung der Nutzerspuren "Terrorismus oder Kriminalität" werde nicht verhindert, da sie von Kriminellen leicht umgangen werde könne. Zudem sei die Vorratsdatenspeicherung "teuer" und belastete die Wirtschaft.

Der EU-Rat hatte im Februar eine Richtlinie mit dem Segen des EU-Parlaments abgenickt, wonach Telcos und Provider künftig Standort- und Verbindungsdaten zwischen sechs und zwölf Monate lang speichern müssen. Für eine Umsetzung der "Mindestanforderungen" der Direktive sprach sich auch der Bundestag bereits aus. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, die den in Brüssel erzielten Kompromiss für vereinbar mit dem Grundgesetz hält, arbeitet derzeit gemeinsam mit ihrem Stab mit Hochdruck an einem Gesetzesentwurf zur Umsetzung der Brüsseler Vorgaben. Im Einklang mit dem Wunsch der SPD-Politikerin hat sich der Bundestag dafür ausgesprochen, die Datenberge nicht nur für "erhebliche Straftaten" Sicherheitsbehörden zugänglich zu machen, wie es die Richtlinie vorsieht. Einblicke nehmen dürften die Ermittler demnach vielmehr auch bei Delikten, die "mittels Telekommunikation" begangen wurden.

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags hat dagegen erhebliche Bedenken geäußert, ob die Richtlinie mit dem Europarecht und der Verfassung vereinbar ist. Die Opposition arbeitet daher an einem Antrag gegen die Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung. Zugleich läuft eine Klage Irlands gegen die Richtlinie vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), bei der auch die Beschwerdeschrift inzwischen vorliegt. Datenschützer fordern bereits ein Moratorium bei der nationalen Gesetzgebung, um das Urteil in Luxemburg abzuwarten. Dafür haben sich mit Siegfried Kauder (CDU) und Jörg Tauss (SPD) auch erste Politiker der Koalition ausgesprochen. Ein Antrag aus den Reihen der Opposition, mit dem die Bundesregierung zur Beteiligung an der Klage vor dem EuGH aufgerufen werden sollte, scheiterte am aber Widerstand der Regierungsfraktionen.

Angesichts zunehmender Forderungen nach mehr Überwachung etwa im Rahmen der vom Bundeskabinett beschlossenen Anti-Terror-Datei hat allerdings auch Zypries vergangene Woche auf dem Deutschen Juristentag in Stuttgart das informationelle Selbstbestimmungsrecht und den Datenschutz verteidigt: "Der Staat darf nicht ins Blaue hinein unbescholtene Bürger überwachen, um herauszufinden, ob jemand verdächtig ist", betonte die Ministerin. In Bezug auf die Terrorismusbekämpfung äußerte sie weiter ihre Bedenken zu Maßnahmen, mit denen "über eine Vielzahl von Bürgern einfach Daten angehäuft" werden, und erteilte einer weiteren Verschärfung von Überwachungsmaßnahmen und Einschränkung der Bürgerrechte eine Absage. Die SPD-Politikerin machte aber nicht explizit deutlich, ob sich ihre Kritik auch auf die verdachtsunabhängige Vorratsspeicherung der TK-Daten bezieht.

Zur Auseinandersetzung um die Vorratsspeicherung sämtlicher Verbindungs- und Standortdaten, die etwa beim Telefonieren im Fest- oder Mobilfunknetz und der Internet-Nutzung anfallen, siehe den Online-Artikel in "c't Hintergrund" (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online):

(Stefan Krempl) / (anw)