It's a Wiki World - 5 Jahre Wikipedia

An ihrem runden Geburtstag sind die Macher der freien Internet-Enzyklopädie damit beschäftigt, die neusten Entwicklungen zu verarbeiten und eine langfristige Lösung der intern seit langem diskutierten Qualitätsfrage zu finden.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Torsten Kleinz

Runder Geburtstag für die freie Internetenzyklopädie Wikipedia: Heute vor fünf Jahren hoben der Internetunternehmer Jimmy Wales und Larry Sanger das Projekt aus der Taufe. Offizielle Feiern sind nicht geplant – zu beschäftigt ist die Community damit, die neusten Entwicklungen zu verarbeiten. Gleichwohl ist der runde Geburtstag ein Anlass für einen Blick zurück.

Heute gilt Wikipedia als einzigartige – wenn auch nicht unumstrittene – Wissensquelle im Internet, als Gallionsfigur des viel zitierten Web 2.0. Es existieren Wikipedia-Ableger in über 100 Sprachen mit insgesamt zirka 3 Millionen Artikeln, allein die englische Ausgabe bringt es auf über 900.000 Einträge, die Deutsche auf über 300.000. Die Wikipedia wird von Alexa.com heute zu den 30 am meisten abgerufenen Webseiten gezählt, die Tendenz ist immer noch steigend.

Die Wikipedia war der zweite Versuch von Wales und Sanger, eine frei verfügbare Enzyklopädie zu entwickeln. Das Vorläufer-Projekt Nupedia setzte zwar auch auf die Mitarbeit Freiwilliger, sah aber einen ausgefeilten und aufwendigen Redaktionsprozess vor. Das Projekt ging eher schlecht als recht voran, in einem Jahr kamen ganze 24 Artikel zusammen. Die Wikipedia wurde als Nupedia-Ergänzung gegründet, lief dem Ursprungsprojekt aber bald den Rang ab: Im ersten Monat wurden über 1000 Seiten erstellt. Im Jahr 2003 wurde die Nupedia ganz eingestellt.

Die Wikipedia begann schnell zu expandieren. Kurz nach der Gründung gingen weitere Wikipedia-Protale in mehreren Sprachen online – darunter auch eine deutschsprachige Version. Die Beteiligung und die Artikelanzahl steigen nach ersten Presseveröffentlichungen stark an, im September 2001 kann die englischsprachige Wikipedia 10.000 Artikel verbuchen. Das Wachstum des Projekts stößt bald an seine technischen Grenzen – neue Server werden gebraucht. Im Januar 2002 wird das perlbasierte Usemod-Wiki durch eine eigens programmierte PHP-Software ersetzte, die später unter dem Namen Mediawiki als freie Software veröffentlicht wird.

Im Jahr 2003 folgt der organisatorische Wechsel. Im Juni gibt Jimmy Wales die Gründung der Wikimedia Foundation bekannt, einer gemeinnützigen Organisation, die für den Betrieb der Wikipedia verantwortlich ist. Die Organisation löst die Abhängigkeit von Wales Firma Bomis.com und ist in der Lage, Spendengelder einzutreiben. Das ist dringend nötig: Die Wikipedia ist inzischen so groß, dass ständig neue Hardware angeschafft werden muss. Mit der Gründung der Organisation setzt eine neue Expansionswelle ein – die Wikipedia bekommt Schwesterprojekte zur Seite gestellt, vom Portal zur Erstellung offener Lehrbücher namens Wikibooks bis zur kollaborativen Nachrichtenseite Wikinews. Den beispiellosen Erfolg der Wikipedia konnte bisher noch keiner der Ableger nachahmen.

Inzwischen ist die Wikipedia in eine Phase exponentiellen Wachstums getreten. Nicht nur das Artikelwachstum in der Wikipedia geht ständig weiter, auch die Wikipedia-Referenzen im Internet nehmen stark zu. Erste Kooperationen mit Suchmaschinen entstehen, die Wikipedia wird zu einer der meistzitierten Quellen im Internet. Jimmy Wales – Larry Sanger hat das Projekt zwischenzeitlich verlassen – avanciert zum gefragten, wenn auch nicht immer unumstrittenen Visionär. So verkündet er im August 2005 10 Dinge, die frei sein müssen, die nicht überall auf Zustimmung stoßen. Für viele steht aber fest, dass diese Befreiung auf Wiki-Basis möglich ist.

Beim einem erklärten Ziel der Wikipedia, der Erstellung einer Print-Enzyklopädie, übernimmt die deutsche Wikipedia-Community seit 2004 eine Vorreiter-Rolle. Ein Jahr nach der US-Stiftung wird der Verein Wikimedia Deutschland gegründet. Nachdem die ersten noch etwas schmucklosen Zusammenstellungen von Wikipedia-Artikeln als Wiki-Reader erschienen sind, findet die Wikimedia im Berliner Directmedia-Verlag einen Partner, der die ersten Offline-Ausgaben der Wikipedia in den Handel bringt – zuerst auf CD, dann auf DVD, schließlich auch in Form von einer Sachbuch-Reihe. Andere Wikipedia-Projekte planen ähnliche Veröffentlichungen, sind bis heute aber noch nicht zu diesem Ziel gekommen.

Bis Ende 2005 wächst Wikipedia zu einer der meist angesehenen Webseiten im Internet heran, die Qualität der Beiträge wird auch von Fachleuten und in unabhängigen Tests bestätigt. Die Wende kommt. als der manipulierte Lebenslauf des US-Journalisten John Seigenthaler bekannt wird. Der für sich genommen eher unspektakuläre Fall fügt dem Projekt einen schweren Image-Schaden zu. Weitere Manipulationen werden bekannt, die Glaubwürdigkeit der Wikipedia wird auf breiter Front in Frage gestellt. Viele Missverständnisse des Wikipedia-Hypes der Vorjahre fallen jetzt auf das Projekt zurück und treffen die Verantwortlichen unvorbereitet.

Wikimedia-Vorstand Jimmy Wales reagiert mit Sofort-Maßnahmen: In der englischen Wikipedia können unangemeldete Nutzer keine neuen Artikel mehr anlegen, es wird eine neue Art von Seitensperre freigeschaltet, die den alltäglichen Vandalismus vermindern soll. Doch diese Schritte setzen nur an den Symptomen an, eine langfristige Lösung der intern seit langem diskutierten Qualitätsfrage steht bisher aus.

Unterdessen treibt die Wikimedia Foundation die Professionalisierung des Projekts voran. Der Mitarbeiterstab soll um vier Vollzeit-Stellen erhöht werden, Jimmy Wales wirbt verstärkt um die Beteiligung von Fachleuten und Wissenschaftlern an der Wikipedia. Auch wenn ein Paradigmenwechsel von Wikipedianern hartnäckig dementiert wird: Fünf Jahre nach ihrem Start tritt die sich ständig wandelnde Wikipedia in eine neue Phase ein.

Siehe dazu auch:

(Torsten Kleinz) / (jk)