Schiefergas statt AKW

Eigentlich sollten in den USA und anderswo zahlreiche neue Atomkraftwerke entstehen. In Amerika wird dies nun durch große Mengen billigen Erdgases verhindert.

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Von
  • Martin LaMonica
  • Narayanan Suresh

Eigentlich sollten in den USA und anderswo zahlreiche neue Atomkraftwerke entstehen. In Amerika wird dies nun durch große Mengen billigen Erdgases verhindert.

Trotz Atomausstieg in Deutschland: Die Nuklearindustrie hatte fest damit gerechnet, in den nächsten Jahren in Nordamerika und anderen Teilen der Welt endlich wieder viele neue Groß-AKWs bauen zu können. Doch daraus scheint nichts zu werden: Die atomare Renaissance schreitet im Schneckentempo voran. Der Grund dafür sind nicht nur jene Sicherheitsbedenken, die seit der Fukushima-Katastrophe wieder aufgeflammt sind. Stattdessen ist eine ganz andere Entwicklung Hauptschuldiger an der ausbleibenden Kernkraftboom: billiges Erdgas, das insbesondere in den USA in rauen Mengen zur Verfügung steht.

General-Electric-Chef Jeffrey Immelt sorgte im Juli für Wirbel, nachdem er der "Financial Times" gegenüber angab, es sei schwer, Atomkraft zu rechtfertigen, wenn das Gas so billig sei. Da GE zahlreiche Systeme für Kraftwerke verkauft, darunter auch solche für Nuklearanlagen, hatte dieser Kommentar Gewicht. Kostengünstiges Gas ist in Nordamerika mittlerweile zum Energieträger der Wahl für Elektrizitätswerke geworden. Teure neue AKWs können da offensichtlich nicht mithalten.

Grund für den Gasboom sind neue Fördertechniken wie Horizontalbohrungen sowie das umstrittene Fracking, bei dem sogenanntes Schiefergas auch aus Tongestein geholt werden kann, das früher kaum anzuzapfen war. 2008 lagen die Gaspreise noch bei fast 13 Dollar pro Million BTU, mittlerweile liegen sie bei schlappen 3 Dollar.

Als die Gaspreise noch stiegen, gab es Planungen für rund 30 neue AKWs in den Vereinigten Staaten. Derzeit schätzt das Nuclear Energy Institute, dass es bis 2020 höchstens fünf neue Großanlagen geben wird. Deren Bau sei aber nur durch kostengünstige Finanzierungen und Vorauszahlungen durch die Stromkunden denkbar. Zwei Reaktoren werden auf diese Art aktuell beispielsweise in Georgia gebaut: Sie profitieren von einer Bürgschaft über 8,33 Milliarden Dollar, die vom US-Energieministerium kommt.

Was mit den weiteren Planungen geschieht, bleibt unklar. "Die Frage ist, ob wir wirklich neue AKWs sehen werden", meint Revis James vom Electric Power Research Institute, einer Forschungseinrichtung der US-Stromkonzerne. "Die Aussichten sind nicht besonders gut."

Außerhalb Nordamerikas sieht es etwas anders aus. Weltweit sind derzeit noch 70 neue AKWs im Bau. Doch Schiefergasquellen gibt es auch anderswo, selbst wenn sie kaum ein Land aggressiver anbohrt als die USA. Sollten die Ressourcen in Asien und Europa intensiver ausgebeutet werden, könnte es auch dort zum Gasüberfluss kommen.

Einige Länder blockieren allerdings die Schiefgas-Ausbeutung. In Frankreich gibt es weiterhin eine große Konzentration auf den Nuklearbereich, während man aus Umweltschutzgründen kein Schiefergas anzapfen will. Auch in Deutschland ist das Thema äußerst umstritten. Im noch immer wachsenden China will man dagegen alle Energieressourcen nutzen, die es gibt, und baut Atomkraftwerke so schnell wie möglich, während gleichzeitig auf alternative Gasquellen geschielt wird.

Aber selbst in den USA wird das superbillige Gas nicht ewig vorhanden sein. Nachdem das Angebot mittlerweile die Nachfrage überschreitet, beginnen erste Lieferanten, Geld zu verlieren. Das wiederum könnte zur Schließung von Quellen führen. Die Preise würden auch durch die Verstromung nach oben gedrückt, weil dann der Bedarf wieder steige, wie James vom Electric Power Research Institute meint.

Ali Azad, leitender Geschäftsentwickler bei der Energiefirma Babcock & Wilcox, glaubt, dass die Antwort der Nuklearindustrie im Bau kleiner, billiger und vor allem schneller zu bauenden Reaktoren liegt. Der Konzern arbeitet wie eine Handvoll anderer Firmen an modularen AKWs, die in drei Jahren aufgebaut werden statt in zehn. Die Kosten sollen dadurch deutlich geringer sein als bei normalen Gigawatt-Anlagen. Obwohl sich die Technik im kommerziellen Umfeld noch nicht bewiesen hat, gibt es bereits einen Kunden: Die Tennessee Valley Authority will die erste Einheit 2021 ans Netz gehen lassen. Angeblich sollen solche Anlagen auch mit Billiggas mithalten können. Azad sieht eine große Nachfrage nicht nur in China, sondern auch in Saudi Arabien und anderen Ländern des Nahen Ostens.

Und selbst wenn das Erdgas billig bleibt – nur darauf verlassen wollen sich die Stromkonzerne offenkundig nicht. Es gab schon früher Preisfluktuationen, so dass Nuklearstrom nach wie vor zum Energiemix gehören soll, heißt es in der US-Szene. "Die Stromanbieter machen weiter mit Atomstrom, auch wenn der Enthusiasmus nicht mehr ganz so groß ist", sagt Hans-Holger Rogner von der Planungssektion der Internationalen Atomenergieorganisation. Es gehe hier um eine Art Hedging. "Die Konzerne wollen nicht wegen eines Neulings auf dem Markt wie dem Schiefergas alles auf eine Karte setzten." (bsc)