Fernsehen über Internet kommt nur langsam voran

Die Meinungen, ob Fernsehen über Internet (IPTV) die nächste Killer-Applikation wird, gehen auseinander. Für einige Experten ist es nur eine Frage der Zeit, bis IPTV einen Boom wie Voice over erlebt, andere beurteilen die Situation skeptischer.

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Von
  • Wolfgang Kleinwächter

Die Meinungen, ob "Fernsehen über Internet" (IPTV) die nächste Killer-Applikation wird, gingen bei der Pacific Telecommunication Council Conference (PTC 06) in Honolulu auseinander. Für einige Experten ist es nur eine Frage der Zeit, dass IPTV einen ähnlichen Boom wie Voice over IP (VoIP) erlebt, andere beurteilten die Situation skeptischer.

Die nur zögerlichen Fortschritte bei der Einführung von IPTV in den USA sind nach Ansicht von Patrick Campbell von der Washingtoner Anwaltskanzlei Paul, Weiss, Rifkind, Wharton & Garrison (PWRWG) vorrangig der unklaren Rechtslage geschuldet. Was technisch bereits prinzipiell machbar wäre, wird durch politische Auseinandersetzungen ausgebremst. Das Hauptproblem liege darin, dass IPTV eine Art Hybridservice ist. Einige sehen ihn als Informationsdienst, der nach US-amerikanischen Recht keiner Regulierung unterliegt, andere als ein Rundfunkdienst, der einer Lizenzierung durch die örtlichen Behörden bedarf. Würde man IPTV als einen Fernsehdienst qualifizieren, müssten Anbieter, wollten sie in den USA flächendeckend operieren, über 15.000 Lizenzen einholen. Dazu komme, das die großen Kabelgesellschaften IPTV mit aller Macht verhindern wollen. Ähnlich wie in der Musikindustrie oder der Telekommunikationsindustrie unterminieren die neuen IP-basierten Dienste die traditionellen Geschäftsmodelle der etablierten Giganten. IPTV sei zwar kein herkömmlicher Fernsehdienst, da IPTV aber "wie eine Ente watschele und wie eine Ente quake, sei es auch eine Ente" (It walks like a duck, it quaks like a duck, and so it is a duck).

Die US-Aufsichtsbehörde FCC hat sich bislang um eine eindeutige Festlegung, wie IPTV rechtlich zu qualifizieren sei, herumgedrückt und auf den US-Kongress verwiesen, der momentan an einer grundlegenden Reform des aus dem Jahre 1996 stammenden Telecommunications Act arbeitet. Die Arbeit an dem neuem Gesetz kommt aber nur schleppend voran, da auf beiden Seiten des Meinungsspektrums "Big Player" operieren, die sehr unterschiedliche Interessen haben. Große Unternehmen wie Verizon und SBC/AT&T haben mittlerweile bereits begonnen, IPTV vorzubereiten. Beide wollen jeweils rund 30 Milliarden Dollar in die neuen Dienste investieren. Als Verizon jedoch eine lokale IPTV-Lizenz in Tampa, Florida, beantragte, wurde es mit einer Wunschliste von 13 Millionen US-Dollar für Investitionen in die lokale Informationsinfrastruktur konfrontiert, die als "Preis für die Lizenz" zu entrichten sei. SBC/AT&T lehnt es hingegen bislang ab, sich um lokale Lizenzen zu bemühen. Als ein Kompromiss wird momentan eine Lösung diskutiert, dass Lizenzen für jeweils einen ganzen Bundesstaat erteilt werden. Die Staaten Indiana, New Jersey und Missouri hätten dazu jüngst entsprechende rechtliche Voraussetzungen geschaffen.

Unklar ist jedoch für alle Beteiligten, inwieweit der Kunde und die Werbewirtschaft zu IPTV wechseln wird. Trotz allem technischen Fortschritt kann IPTV zumindest in der überschaubaren Zukunft nicht die beim herkömmlichen Fernsehen erreichte Bildqualität garantieren.

Für Latif Ladid, Präsident des IPv6 Forum, ist IPTV auch für den europäischen Markt eher zweitrangig. Das etablierte Free-TV-System garantiere in Europa eine auch kostengünstige Überversorgung, sodass es mittelfristig kaum größere Zuschauerwanderungen geben wird. IPTV sei allenfalls etwas für die europäische Diaspora. Wenn ein Leipziger in Rio de Janeiro seinen Mitteldeutschen Rundfunk haben will, dann könnte er ihn über IPTV bekommen; aber in Leipzig wird er aller Wahrscheinlichkeit auch die nächsten Jahre sein Fernsehprogramm primär über Kabel oder Satellit empfangen. Anders sei die Perspektive in China, meinte Jeanette Chan von PWRWG Hongkong. Hier hänge eine dynamische Entwicklung primär von der Einstellung der Propagandaabteilung des ZK der Kommunistischen Partei Chinas ab. Wenn man sich dort für IPTV entscheiden würde, wäre "Fernsehen über Internet" der nächste Boom in Chinas Informationswirtschaft.

Für Richard Taylor, Professor an der Pennsylvania State University, hat IPTV jedoch nur eine nachrangige Bedeutung. Eine viel größere Perspektive hätte "Video over IP"(VIP). Bei VIP könne sich der Kunde sein eigenes Programm von bewegten Bildern zusammenstellen und sei nicht abhängig von der Programmgestaltung eines Fernsehdirektors. Außerdem würde VIP auch mit kleineren Bandbreiten auskommen, da die einzelnen Videodateien individuell downloadbar seien und nicht als ständiger Videostream wie bei einem regulären TV Programm zum Kunden gebracht werden müssten. Wenn Millionen von Videos im Netz seien, sei das auch eine neue gigantische Herausforderung für die Suchmaschinen. Das Problem sei dabei, eine brauchbare Form der Indexierung zu finden und neue Systeme für Video und Voice Recognition zu entwickeln. Sowohl Google als auch das neue europäische Projekt Quaero arbeiten bereits an entsprechenden Lösungen. (Wolfgang Kleinwächter) / (jk)