Campus Party: Tim Berners-Lee schwört Programmierer auf Offenheit ein

Der Erfinder des World Wide Web sagte geschlossenen Apps auf Smartphones oder Tablets den Kampf an und warb stattdessen für eine offene Web-Plattform für Anwendungen auf Basis von HTML5.

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Tim Berners-Lee hat auf der CampusParty in Berlin am Samstag geschlossenen Apps auf Smartphones oder Tablets den Kampf angesagt und stattdessen für eine offene Web-Plattform auf Basis von HTML5 geworben. Er rechne mit einem "großen Wandel" in Bezug auf das Design von Applikationen noch in diesem Jahr, erklärte der Erfinder des World Wide Web auf dem früheren Flughafen Tempelhof. Derzeit sei zwar viel davon die Rede, dass das Web "tot ist" und nur noch Smartphone-Apps angesagt seien. Doch der Direktor des Standardisierungsgremiums World Wide Web Consortium (W3C) gab sich zuversichtlich, dass sich mittelfristig mit offenen Web-Apps die alten Ideale des Internet wie Dezentralität und Nutzungsfreiheit durchsetzten.

Mit proprietären mobilen Applikationen ging der von der Queen zum Ritter geschlagene Forscher scharf zu Gericht. Diese verfügten über keine URL, sodass man nicht auf sie verlinken könne. Sie seien damit "nicht Teil des Diskurses der Menschheit". Web-Apps müsse man dagegen nur einmal schreiben und könne sie dann auf allen erdenklichen Geräten laufen lassen. Dank neuer Standards sei es möglich, sie mit lokalem Speicher zu versehen sowie mit Bewegungssensoren oder Kameras zu vernetzen. Man könne damit etwa ein Magazin offline lesen wie mit einer vergleichbaren Smartphone-Anwendung. Medienhäuser wie die Financial Times setzten daher bereits auf offene Web-Apps, da sie einsähen, wie viele Möglichkeiten diese bieten.

Web-Erfinder Tim Berners-Lee will HTML5-Anwendungen statt Apps, weil erstere allgemein verfügbar und verlinkbar sind.

(Bild: Stefan Krempl)

HTML5 bezeichnete Berners-Lee als fundamentalen Baustein für die Gestalt annehmende Open Web Platform des W3C. Damit werde es etwa viel einfacher, ein Video nebst eigener Kontrollfunktionen zu erstellen, was proprietäre Technologien wie Flash oder Silverlight überflüssig mache. Man könne auch Texte, animierte Grafiken oder andere multimediale Inhalte miteinander kombinieren. Zusammen mit CSS, offenen Schnittstellen (APIs) und Skriptsprachen wie JavaScript ergebe sich so eine allgemein nutzbare Plattform ohne zentrale Kontrolle.

Das Technikfestival selbst lobte der Brite als "großen Hackathon", auf dem Programmierer an einem Nachmittag mit Hilfe ihrer Fähigkeiten und der Technik das ein oder andere alltägliche Problem lösen könnten. Es sei wichtig zu zeigen, dass die dort versammelten Bastler und Hacker keine Bedrohung darstellten. "Ihr seid die Hoffnung aller für die Zukunft", schmeichelte Berners-Lee der versammelten Technikergemeinde. Auf ein Lob aus dem Publikum für seine bahnbrechende Erfindung hin räumte er zwar ein, dass das Web "ein guter Hack" war. "Ich bin aber kein Genie." Ausgebreitet habe sich die Idee des Hypertextmediums durch Leute, die freiwillig ihre Ressourcen zur Verfügung gestellt und die Vision geteilt hätten, dass es sich um eine "coole" Entwicklung gehandelt habe. Die Programmierer vor Ort rief er auf, ihre Ideen ebenfalls mit dem Rest der Welt zu teilen – im gemeinsamen Gedanken, dass man dies zum Wohle der Menschheit tue.

Gleichzeitig bemühte sich der Vordenker, den Anwesenden einige Grundideen und Prinzipien mitzugeben. Er halte es nach wie vor für wichtig, dass etwa jeder Browser mit jedem Server kommuniziere. Entscheidend sei die Freiheit, sich überall mit jedem verbinden zu können, ohne dabei von staatlichen Stellen oder Unternehmen überwacht zu werden. Frei sei aber nicht als gratis misszuverstehen. Berners-Lee warb in diesem Sinne für den Respekt der Programmierer gegenüber Künstlern. Anwendungen sollten eine Reihe von Bezahlmöglichkeiten von Abonnements über Micropayments bis hin zu Spenden unterstützen oder neue voranbringen.

Zentralisierten Plattformen, abgegrenzten Geschäftsmodellen und Monopolen verhieß Berners-Lee keine große Zukunft. Große Konzerne wie AT&T, AOL, Microsoft, Google und andere hätten es mit derlei Ansätzen versucht. Mit der Zeit litten derlei geschlossene oder auf einen Punkt ausgerichtete Systeme aber unter den immer gleichen strukturellen Problemen. Auch wenn von oben herab theoretisch über eine einfache Kommandostruktur vergleichsweise rasch Änderungen angeordnet werden könnten, sei es ihnen nach einiger Zeit gar nicht mehr möglich, Innovationen voranzutreiben und neue Trends zu erkennen. Vergleichsweise komplex erscheinende Strukturen, die Interessen und Gedanken aller Beteiligter einbezögen und die freie Verbreitung von Ideen förderten, seien letztlich effizienter und durchsetzungsstärker.

Mit auf den Weg gab der Informatiker den "Campuseros" noch einen Ausblick auf die Weiterentwicklung des Web-Protokolls HTTP. Ihm wäre es am liebsten, wenn sich der Standard stärker in Richtung eines Peer-to-Peer-Systems (P2P) entwickelte. Einem Browser, der aktuell keine Verbindung zu einer Seite aufnehmen könne, wäre es dadurch möglich, mit anderen zu kommunizieren und deren eventuell bereits gespeicherte Daten zu dem gewünschten Angebot abzurufen. Dies sei nicht nur ein Weg, Überlastungen zu vermeiden, sondern auch, Zensurbemühungen einfacher zu umgehen. Das W3C arbeite zudem an neuen Verschlüsselungsmechanismen für HTTP. Es sei aber auch wichtig, das Protokoll nicht zu kompliziert zu gestalten.

Weiter vorausblickend rief Berners-Lee die Zuhörer auch auf, sich über die mögliche Fortentwicklung des mit dem Web geschaffenen Informationsuniversums hin zur Singularität Gedanken zu machen. Gemeint ist damit der Punkt, an dem die Maschinenintelligenz die der Menschen übersteigen könnte und sich Roboter selbst verbessern könnten. Damit geht es dem bekennenden Scifi-Fan um noch etwas esoterisch angehauchte Fragen wie die, ob lieber die Menschheit oder künstliches Leben bewahrt werden sollten. (hb)