Geht doch! Der Einfluss agiler Ideen außerhalb der Softwareentwicklung

Letzte Woche war Jutta Eckstein auf der größten agilen Konferenz, der Agile 2012, Sie hat dieses Jahr in Grapevine in Texas stattgefunden hat. Dort hat die Autorin nachhaltig die Abschluss-Keynote von Joe Justice beeindruckt.

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Von
  • Jutta Eckstein

Joe Justice erzählte von WIKISPEED. Er ist (eigentlich) Softwareentwickler und Berater im agilen Umfeld und hat in diesem Bereich nach wie vor seinen Vollzeitjob. Ihn hat es einerseits genervt, dass die Kunden immer wieder meinten: "Die agile Idee ist ja ganz nett, aber unser Umfeld ist so komplex, das wird bei uns nicht funktionieren ..." (wer kennt das nicht?, und zwar unabhängig davon, ob es hier um die agile oder sonst eine Idee geht), und andererseits wollte er auch selbst gerne wissen, inwiefern sich die agilen Konzepte auf ganz andere Bereiche übertragen lassen. Und schließlich war/ist es ihm ein Bedürfnis, etwas zur Weltverbesserung beizutragen.

Deshalb gründete er WIKISPEED, ein Unternehmen, das (bis jetzt) lediglich mit Freiwilligen arbeitet, mit der Vision, "zur Verbesserung der Gesellschaft schnell Probleme zu lösen". Das erste Projekt, in dem Joe beteiligt war, war, mit agilen Methoden die schnellstmögliche Verteilung von Polio-Impfungen in den Gebieten, die diese am nötigsten benötigen.

Das Hauptprojekt, gestartet im Juni 2010, ist jedoch die Entwicklung von "ultraeffizienten automotiven Transportmöglichkeiten". Wobei ultraeffizient hier für geringe Emissionen und Verbrauch steht. Die Vision war, ein Auto zu konstruieren, das maximal 1,5 Liter auf 100 Kilometer braucht. Anforderungen an die Freiwilligen: keine. Der Lohn: die Begeisterung, etwas zu verändern, und wenn sich dann auch der finanzielle Erfolg einstellen sollte, monetäre Beteiligung. Das heißt, die Mitarbeiter brauchen weder Vorkenntnisse im Automobilbau noch sonst etwas Ähnliches.

Tatsächlich arbeiten derzeit 150 Mitarbeiter verteilt über 18 Länder mit unterschiedlichstem Hintergrundwissen (vorwiegend agile Softwareentwicklung, aber auch Künstler, Chemiker, Automechaniker, Musiker etc.). Das Unglaubliche daran, dieses Konzept der Open Source Economy funktioniert: Mit agilen Methoden (allen voran testgetriebene Entwicklung, automatisiertes Testen auf mehreren Ebenen: Unit-/ Integrations-/Regressionstests, wöchentliche Sprints, Pair Programming, kleine Releases) hat Joe mit seinem Team nach drei Monaten das erste Auto fertig gebaut.

Mit diesem Auto nahmen sie beim Progressive Automotive X Prize teil, ein Wettbewerb zur Förderung automotiver Innovationen, speziell der Idee von "100 Miles per Gallon". Dort wurde WIKISPEED – nein nicht erster – immerhin jedoch 10. Der Schwerpunkt der WIKISPEED-Konstruktion liegt auf Effizienz, Sicherheit und Modularität. Das komplette Auto besteht aus acht Modulen, die tatsächlich austauschbar sind. Beispielsweise kann der Verbrennerm- gegen einen Elektromotor getauscht werden. Features, die für Kunden relevant sind, stehen im Vordergrund, allerdings (bisher) nicht die Features, die für mehr Komfort sorgen würden.

Ein Jahr später stellte WIKISPEED auf der NAIAS, der North American International Autoshow in Detroit, neben vielen anderen auch zwischen Ford und Chrysler aus. Dort beeindruckten sie so, dass u.a. John Deere und Boeing mehr über das "Geheimnis" ihres Erfolgs wissen wollten und nun darüber nachdenken, ebenfalls mit agilen Methoden ihre Entwicklung (und hier ist nicht die Softwareentwicklung gemeint) voranzubringen.

Jetzt, zwei Jahre nach Start des "Projekts" wurden sogar bereits drei Autos verkauft. Allerdings, so Joe, ist es kein Ziel aus WIKISPEED, ein Automobilhersteller zu sein, sondern durch technische und methodische Neuerungen sowie durch die Leidenschaft der Kunden den Automobilherstellern zu beweisen, dass auch in kürzester Zeit umweltfreundlichere Autos gebaut werden können, und damit die Automobilhersteller zum Umdenken anzuregen.

Nach Meinung von Joe lässt sich die agile Idee ohne große Änderung problemlos auf alle möglichen anderen Bereiche übertragen. Die einzige Änderung, die er für notwendig, hält. ist im Agilen Manifest, wo immer Software steht, dies durch Kundennutzen zu ersetzen.

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