Die Karriere einer seltsamen Idee: 15 Jahre SMS

Es ist immer wieder überraschend, welchen Weg technische Neuerungen nehmen. Die Karriere der per Short Message Service verschickten Kurznachrichten in den Mobilfunknetzen hat wohl niemand vorhergesehen.

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Von
  • Sven Appel
  • Jürgen Kuri
  • dpa

Es ist immer wieder überraschend, welchen Weg technische Neuerungen nehmen: Im Dezember 1992 schickten britische Entwickler des Telekommunikationsriesen Vodafone einem Kollegen zu Testzwecken von einem PC aus die erste Nachricht per SMS aufs Handy. Vom heute bekannten Erfolg des Short Message Service – wobei die über ihn verbreiteten Kurznachrichten der Einfachheit halber bald schon selbst einfach nur SMS genannt wurden – wagten selbst kühne Zeitgenossen nicht zu träumen. Für die Carrier und Mobilfunknetzbetreiber stellte der SMS das Nebenprodukt einer technischen Lösung zur Signalisierung dar: SMS-Nachrichten werden über einen Signalisierungskanal im GSM-Netzes verschickt, der eigentlich dazu dient, Gespräche aufzubauen und zu halten und andere technische Steuerungsinformationen auszutauschen.

Mittlerweile ist die SMS nicht mehr aus den Handy-Netzen wegzudenken, der Begriff "simsen" für "eine SMS versenden" hat es sogar in den Duden geschafft. Kulturpessimisten ließ die SMS schon den Untergang der Schreib- und Sprachkultur beklagen – vor allem wegen des um sich greifenden Abkürzungsfimmels, der er auch in E-Mails und Usenet-Foren lange Zeit grassierte und der bei der SMS und ihrer Beschränkung auf 160 Zeichen pro Nachricht platzsparend ausführlichere Ergüsse ermöglichte. "Mit dem Daumen die Tastatur zu malträtieren – das war doch eine seltsame Idee", meint jedenfalls Professor Joachim Höflich von der Universität Erfurt in einem Gespräch mit dem dpa-Themendienst. "Heute sprechen wir von einer Daumenkultur. Das war damals nicht vorhersehbar", so der Kommunikationswissenschaftler.

Nach der ersten SMS-Übung in Großbritannien dauerte es noch einige Jahre, bis die Kurznachricht auch vom Kunden gesendet und empfangen werden konnte. Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit startete auf der CeBIT im Jahr 1994 der Dienst, der bei DeTeMobil "D1-Alpha" hieß. Selbst c't tat sich 1994 ein wenig schwer, den Lesern zu erklären, wie eine Kurznachricht auf dem Handy funktioniert: "Über den Short Message Service (SMS) lassen sich in Zukunft im D1- und D2-Netz Nachrichten bis zu einer Länge von 160 Zeichen absetzen. Als Endgerät ist dazu kein Notebook erforderlich, da die Nachrichten direkt im Display des Mobiltelefons erscheinen." Noch 2002 umschrieb man die SMS als "persönliches Handy-Telegramm". Was damals Ingenieure ins Staunen versetzte, weiß heute fast jedes Kind.

Dem Branchenverband Bitkom in Berlin zufolge verschickt – statistisch gesehen – jeder Deutsche heute 350 SMS pro Jahr. Dabei geht es nicht mehr nur um schnelle Verabredungen. Mittlerweile sind zum Beispiel auch das Einchecken am Flughafen oder der Kauf eines Parkscheins per SMS möglich. Hauptsächlich werden SMS laut Joachim Höflich immer noch von Jugendlichen verschickt. "Für die ist das ein Weg an den Eltern vorbei." Und so werden die meisten SMS von zu Hause aus versandt – aus dem Kinderzimmer heraus und von neugierigen Vätern und Müttern uneinsehbar.

Der Erfolg der SMS begründet sich nach Ansicht des Kommunikationswissenschaftlers Höflich zum Teil auf einen Widerspruch: "Die SMS schafft Nähe und Distanz zugleich." Auf der einen Seite sei der Nutzer stets erreichbar, andererseits müsse er nicht sofort antworten. "Die SMS ist nicht aufdringlich – das Handy dagegen geht uns auf den Geist."

Die SMS ist bei Frauen beliebter als bei Männern. Dafür gibt es mehrere Gründe: Mädchen und Frauen hätten eine größere Neigung zur Schriftlichkeit als Jungen und Männer. "Frauen schreiben die schöneren Briefe. Und sie schreiben die längeren SMS", sagte Höflich. Gleichzeitig nutzen viele Frauen die SMS, weil sie Distanz schafft: Eine Studie hat laut Höflich zum Beispiel gezeigt, dass geschiedene Frauen mit ihren Ex-Männern den nötigen Kontakt lieber auf die SMS beschränken, als mit ihnen zu telefonieren. Denn wer die SMS nutzt, muss nicht mehr sagen als das, was er schreibt. "Beim Telefonieren hingegen könnte es den Männern gelingen, mit den Frauen ins Gespräch zu kommen."

Auch wenn die SMS eine Erfolgsgeschichte ist, sieht Höflich in der Handy-Kurznachricht keine revolutionäre Erfindung. Schon im 18. Jahrhundert hätten sich junge Menschen aus vornehmen Häusern zusammengefunden und dann kleine, beschriebene Zettelchen ausgetauscht. "Der Unterschied ist, dass die dann irgendwann nach Hause gegangen sind und die Sache war vorüber." Heute sei man stets von Kommunikationsmitteln und Medien umgeben. Und so berge die Simserei auch ein gewisses Risiko: Wer sich beständig – etwa via SMS – über alles Mögliche austauscht, laufe Gefahr, sich schon bald nichts mehr zu sagen zu haben. (Sven Appel, dpa, Jürgen Kuri) / (jk)