Patentprüfer sehen Patentsystem gefährdet

Gewerkschaftsvertreter der Patentämter in den USA, Europa, Kanada, Österreich und Deutschland warnen ihre Behördenleiter, dass unter den derzeitigen Rahmenbedingungen gewerbliche Schutzrechte bald "Geschichte" sein könnten.

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Gewerkschaftsführer der Patentämter in den USA, Europa, Kanada, Österreich und Deutschland schlagen Alarm: Unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen könnte der effektive gewerbliche Rechtsschutz in der ganzen Welt bald "Geschichte sein", wenden sich die Vertreter von rund 10.000 Patentprüfern in einem offenen Brief (PDF-Datei) an die Leiter ihrer jeweiligen Behörden. Sie sehen die Zukunft des Patentsystems ähnlich wie Gegner von Softwarepatenten gefährdet. Als Ursache nennen die Autoren eine heillose Überlastung der Prüfer, unter der die Qualität der Patenterteilung massiv leide. Sie verweisen auf einen nicht mehr auszuhaltenden "Druck, der aus der Kombination von höheren Produktivitätsanforderungen, zunehmend komplexeren Patentanmeldungen und einem dauernd zunehmenden Fundus an relevanter Patent- und Nicht-Patent-Literatur entsteht". Die Prüfer seien so außerstande, sich für ihre Arbeit die eigentlich angemessene Zeit zu nehmen.

Der Zeitpunkt der Veröffentlichung des Brandbriefes ist nicht zufällig gewählt. Am Mittwoch will sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine Woche vor dem wieder zelebrierten "Tag des geistigen Eigentums" beim Europäischen Patentamt (EPA) in München über die Leistungsfähigkeit der Behörde informieren. Dabei dürfte sie die Bedeutung des Patentsystems als Wirtschafts- und Innovationsfaktor in einer Wissensgesellschaft hochhalten.

Die besorgten Unterzeichner des Schreibens aus den Reihen etwa der Internationalen Gewerkschaft im EPA (IGEPA), der US-amerikanischen Patent Office Professional Association oder der Prüfervereinigung des Deutschen Patent- und Markenamtes verweisen ebenfalls darauf, dass prinzipiell "ein starkes Patentsystem für das Wohlergehen und das wirtschaftliche Wachstum eines Landes von großer Bedeutung ist". Experten hätten aber in jüngster Zeit wahrgenommen, dass eine reine Zunahme der Patentanmeldungen nicht notwendigerweise eine Verstärkung des technologischen Fortschrittes bedeute. Qualitativ minderwertige Patente könnten vielmehr ein Hindernis zu Innovationen darstellen. Ein starkes Patentsystem sei gekoppelt an hohe Patentstandards und eine qualitativ hochwertige Prüfung.

Auf die Prüfer an den beteiligten Patentämtern kommen momentan jährlich rund 450.000 Anträgen auf gewerbliche Schutzrechte zu – Tendenz steigend. Allein die knapp 5000 Patentkontrolleure des US-Patentamtes nahmen 2006 etwa 450.000 Anmeldungen entgegen, konnten aber gleichzeitig nur 330.000 bearbeiten. Der Rückstau hat sich seit Beginn des Jahrzehnts auf derzeit gut eine Million Anträge verdoppelt. Bei den rund 3500 Prüfern des EPA landeten 2004 rund 178.000 Patentanträge auf den Tischen, im vergangenen Jahr waren es etwa 200.000.

Angesichts dieser Situation rufen die Gesandten der Patentprüfer die Chefs ihrer Behörden eindringlich auf, insbesondere mehr Zeit für die sorgfältige Prüfung und Recherche der Anmeldungen zur Verfügung zu stellen. Diese Forderung reibt sich mit der gegenwärtigen Linie der Führungsebene der weltweit größten Patentämter, den Ausstoß möglichst vieler Patente zu begünstigen. Erst im Dezember hatten die Mitarbeiter des Europäischen Patentamtes nach Protestaktionen im Mai und im Oktober bei einem Streik "Zeit für Qualität" gefordert. Das EPA-Management setzte daraufhin ein heftig umstrittenes Bewertungssystem zumindest bis Ende 2007 aus. Gewerkschaftsvertreter kritisieren, dass die neuen Prüfkriterien unter dem Titel PAX (Productivity Assessment for Examiners) allein auf Quantität angelegt seien.

In einem weiteren Punkt weisen die Unterzeichner des Briefes darauf hin, dass die Patentprüfer ihre Kompetenz kontinuierlich ausbauen müssten. Auch dazu sei ihnen von der Verwaltung die nötige Zeit für Weiterbildung einzuräumen. Zudem machen sie sich für die Erarbeitung objektiver Beurteilungsstandards stark. Sie sollen garantieren, dass Prüfer Patentanträge ausschließlich nach sachlichen und wissenschaftlichen Kriterien bewerten können. Die notwendige Ablehnung eines Patentantrages solle dabei den gleichen Stellenwert haben wie die gerechtfertigte Bewilligung eines Patentantrages. Dieser Wunsch ist im Zusammenhang mit der Tatsache zu sehen, dass sich die Patentämter größtenteils aus Gebühren für erteilte Patente finanzieren. Bislang werden bei Leistungsbewertungen daher angenommene Anträge auf Schutzrechte höher bewertet als zurückgewiesene. Abschließend plädieren die Vertreter der Prüfer für eine konstruktive Zusammenarbeit mit den Verwaltungen der angeschriebenen Patentämter beim Erhalt eines weltweit starken Patentsystems. (Stefan Krempl) / (anw)