SPD-Sprecher: Debatte um Online-Durchsuchungen noch ganz am Anfang

Die Stellungnahmen des Innenministeriums zu Online-Durchsuchungen haben nach Ansicht des SPD-Innenexperten Dieter Wiefelspütz auch nach der gestrigen Anhörung im Bundesinnenministerium zahlreiche neue ungelöste Fragen aufgeworfen.

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Die jüngsten Stellungnahmen des Bundesinnenministeriums zur geplanten Durchführung heimlicher Online-Durchsuchungen haben nach Ansicht des SPD-Innenexperten Dieter Wiefelspütz zahlreiche neue ungelöste Fragen aufgeworfen. "Wir stehen noch ganz am Anfang der Überlegungen", erklärte der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion gegenüber heise online. Die Sozialdemokraten hätten mit der Meinungsbildung begonnen, aber nicht "Ja" gesagt zu Online-Durchsuchungen. "Die Entscheidung ist offen", betonte Wiefelspütz, der sich persönlich frühzeitig für die Schaffung einer rechtlichen Grundlage für die Ausforschbarkeit "informationstechnischer Systeme" aussprach.

Momentan gibt es dem SPD-Sprecher zufolge noch zahlreiche ungeklärte Punkte zu den Plänen der Union und des Bundeskriminalamts (BKA) für Online-Razzien. "Es gibt offenbar noch kein ausgereiftes Verfahren des BKA", hat Wiefelspütz den Ausführungen des Innenministeriums sowie von Experten bei einer Anhörung zu dem Streitthema am gestrigen Montag entnommen. Die eng mit dem Innenressort sowie dem Bundesjustizministerium zusammenarbeitende Projektgruppe der Koalition zu verdeckten Online-Durchsuchungen ließ sich bei dem Sachverständigengespräch unter anderem von Strafverfolgern, dem Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar, dem Berliner Strafrichter Ulf Buermeyer sowie Abgesandten des Horst-Görtz-Instituts für IT-Sicherheit der Ruhr-Universität Bochum über technische Möglichkeiten der Netzbespitzelung unterrichten.

Für Wiefelspütz ist es aber unabdinglich, dass den Gesetzgebern zunächst Details zum Verfahren einer Online-Durchsuchung bekannt gegeben werden: "Erst dann können wir über die rechtlichen Rahmenbedingungen nachdenken." Dabei sei die wichtigste Frage, welche Schutzrechte des Grundgesetzes vom Ausspähen etwa einer Festplatte überhaupt betroffen seien. In der Wissenschaft gebe es dazu "ein ganz breites Meinungsspektrum", ob etwa die Unverletzlichkeit des Wohnraums wie beim großen Lauschangriff oder die informationelle Selbstbestimmung berührt sein könnte. Von dieser Einschätzung hänge aber ab, ob eventuell auch die Verfassung für eine Befugnis des BKA zu Online-Durchsuchungen geändert werden müsste. Generell spiele zudem der vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur akustischen Wohnraumüberwachung festgezurrte Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung eine wichtige Rolle.

Derlei rechtliche Fragen sollen laut dem SPD-Sprecher trotz der verbliebenen Ungereimtheiten rund um die technische Realisierung von Online-Razzien erstmals am Freitag bei einer weiteren Koalitionsrunde angeschnitten werden. Beim Kernbereichsschutz fände es Wiefelspütz in diesem Zusammenhang gut, wenn schon die vom BKA als "Remote Forensic Software" bezeichnete Applikation zur "Datenerhebung" der Ausspähung höchstpersönlicher Bereiche einen Riegel vorschieben würde. Er könne aber noch nicht hinreichend beurteilen, ob die Technik etwa zwischen einem privaten Tagebuch oder einem Geschäftsbrief unterscheiden könne. Datenschützer haben derlei Fähigkeiten verneint. Die von der Union beim großen Lauschangriff geforderte und nun möglicherweise auf Online-Durchsuchungen übertragene Lösung eines Richterbandes, bei der die Justiz über verwertbare Teile einer automatischen Aufzeichnung privater Kommunikationsinhalte oder Daten entscheiden soll, hält Wiefelspütz für einen "Schritt in die richtige Richtung". Auch hier sei es aber eine andere Frage, ob der Ansatz für Online-Durchsuchungen praktikabel sei.

"Die SPD spielt auf Zeit", beklagte dagegen Unions-Innenexperte Wolfgang Bosbach nach der gestrigen Fraktionssitzung. Laut dem CDU-Politiker gibt es beim Koalitionspartner das erkennbare Bemühen, nicht zu Entscheidungen zu kommen. Die SPD müsse nun aber endlich die Grundsatzfrage beantworten, ob sie dem BKA die Befugnis zur Online-Durchsuchung geben wolle oder nicht. Wiefelspütz hält dagegen, dass die Koalition nicht letztlich wenige Tage vor dem absehbaren Urteil des Bundesverfassungsgericht zu Online-Razzien "Spektakuläres neu entscheiden" dürfe. Die SPD werde ihre Meinungsbildung jedenfalls erst im Lichte des Richtspruchs aus Karlsruhe abschließen, der für Anfang nächsten Jahres erwartet wird. Bis dahin seien noch "intensive" Diskussionen erforderlich.

Einen ausführlichen Einblick in die jüngsten Ausführungen des Bundesinnenministeriums zu den Plänen für Online-Razzien und in die Antworten Schäubles auf den Fragenkatalog des Bundesjustizminsteriums und die SPD-Anfrage zur Online-Durchsuchung bieten Meldungen vom Wochenende im heise-Newsticker und ein Bericht in c't – Hintergrund:

Die heimliche Online-Durchsuchung von Computern stößt bei vielen Datenschützern und Juristen auf Skepsis. Sie melden grundsätzliche Bedenken an und warnen vor eventuell angestrebten Grundgesetzänderungen. Siehe dazu:

Zu den Auseinandersetzungen um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)