Reputation und Wikipedia: von Einfluss, Anerkennung und Vergleichen

Dass der Wissens- und Reputationstransfer bei der freien Online-Enzykolopädie nicht unbedingt nur in eine Richtung geht, zeigen zwei aktuelle Fälle. Und der Brockhaus bezweifelt die Ergebnisse des Vergleichstest, bei dem Wikipedia vorne lag.

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Von
  • Torsten Kleinz

Schon lange versucht die Wikipedia, angesehene Autoren für die Mitarbeit in der freien Online-Enzyklopädie zu gewinnen. Dass der Wissens- und Reputationstransfer nicht unbedingt nur in eine Richtung geht, zeigen zwei aktuelle Fälle. Und der Herausgeber des Brockhaus bezweifelt inzwischen die Ergebnisse des Vergleichstest, bei dem die Kauf-Enzyklopädie gegenüber dem Mitmach-Lexikon den Kürzeren gezogen hatte.

"Der Test des Stern war unfair", erklärt der Klaus Holoch, Pressesprecher vom Bibliographischen Institut & F. A. Brockhaus AG (Bifab) im Gespräch mit heise online. So sei für den Vergleichstest nur die Online-Ausgabe mit 150.000 Stichworten herangezogen worden, während die vollständigere Ausgabe der Brockhaus-Enzyklopädie mit 300.000 Stichworten außer acht gelassen worden sei. Auch mit der Bewertung kann sich Holoch nicht anfreunden: Dass ein Artikel über die Band U2 wegen der falschen Schreibweise des Namens drastisch abgewertet worden sei, könne er nicht nachvollziehen. Dass der Tod des Sängers Luciano Pavarotti nicht erwähnt worden sei, sei ein technisches Versehen gewesen.

Diese Kritik weist Ulrich Kämper, Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Informationsdienstes, zurück. Der Kölner Recherchedienst hatte den Vergleichstest im Auftrag des Stern durchgeführt. "Dass wir die 15-bändige Enzyklopädie zum Vergleich herangezogen haben, liegt an der Produkt- und Preispolitik des Verlags", sagt Kämper. Die Inhalte der 30-bändigen Ausgabe stehen online nur den Käufern der kompletten Enzyklopädie zur Verfügung, während man Artikel der 15-bändigen Ausgabe auch einzeln gegen Bezahlung abrufen kann. Laut Kämper sind entgegen der Produktbeschreibung des Brockhaus viele Artikel nicht aktualisiert gewesen. Beispielsweise sei der Nobelpreis der Autorin Doris Lessing nicht erwähnt worden, die neusten Informationen über Bundeskanzlerin Angela Merkel stammten aus dem Jahr 2005.

Dass die Wikipedia einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die wahrgenommenen Informationen hat, nahm sich die israelische Regierung offenbar zu Herzen. So lud das Außenministerium nach Informationen der Jerusalem Post den Wikipedia. und Wikinews-Autoren David Shankbone zu einer Informationsreise nach Israel ein. Ein Sprecher des New Yorker Konsulats verwies darauf, dass die Berichte in der Wikipedia über Israel nicht immer der Realität entsprächen. Shankbone hat als "akkreditierter Reporter" des kollaborativen Nachrichtenportals Wikinews eine Reihe von Interviews mit Politikern und Aktivisten geführt. Wikinews ist ein Schwester-Projekt von Wikipedia, das im Gegensatz zur Enzyklopädie noch eine eher geringe Rolle spielt und bisher nur wenige Meldungen pro Tag produziert.

Akademische Reputation ist aber andererseits kein Garant für hohes Ansehen in der Wikipedia. So berichtet der britische Observer vom Fall des MIT-Professors Carl Hewitt, der wegen seines Benehmens in der freien Online-Enzyklopädie gesperrt wurde. Hewitt hatte unter mindestens drei verschiedenen Accounts seine Biographie in der Wikipedia zu beeinflussen versucht und fiel dadurch auf, dass er seine eigenen Forschungsergebnisse in möglichst vielen Wikipedia-Artikeln selbst zitierte. Obwohl das Wikipedia-Schiedsgericht den Professor schon Anfang 2006 von der Mitarbeit ausschloss, kehrte der emeritierte Professor unter mehreren Pseudonymen wieder, um nochmals Einfluss auf die ihn betreffenden Artikel zu nehmen. (Torsten Kleinz) / (jk)